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Nordelbische Kirchenbibliothek Hamburg verscherbelt wertvolle Altbestaende



Viele werden sich an meine Empoerung im Zusammenhang mit der Aufloesung
von Adelsbibliotheken erinnern. Nun aber besteht Anlass, einer
hochangesehenen evangelisch-kirchlichen Bibliothek, der in Hamburg
ansaessigen Nordelbischen Kirchenbibliothek

http://home.t-online.de/home/04041325926-001/nekb.htm

den Vorwurf zu machen, dass sie in skandaloeser Weise Teile des ihr
anvertrauten Kulturguts, naemlich wertvolle Altbestaende, in den
Antiquariatshandel gegeben und dabei eine traditionsreiche historische
Buechersammlung als Ganzheit zerstoert hat. Dass der dafuer
verantwortliche Bibliotheksleiter Dr. Stueben im Vorstand des Verbands
kirchlich-wissenschaftlicher Bibliotheken und in dessen
Altbestandskommission

http://www.ekd.de/bibliotheken/altbestandskommission.htm

taetig ist, gibt diesem ungeheuerlichen Vorgang eine pikante Note.

Ich habe heute einige Telefonate gefuehrt, die noch nicht das Ende
meiner Recherchen bedeuten, aber bereits hinreichend sind, die oben
erhobene Anschuldigung einwandfrei zu belegen. Es liegt auf der Hand,
dass die Verantwortlichen in Hamburg das Geschehene vertuschen und
schoenreden wollen. Das ganze Ausmass der Katastrophe wird daher vorerst
ein kircheninternes Arcanum bleiben.

Dr. Stueben gab Veraeusserungen aus dem Bestand zu und berief sich auf
einen Kirchenleitungsbeschluss aus dem Jahr 2000, sein
Bibliotheksbestand muesse aus Platzgruenden auf die Haelfte reduziert
werden. Er mache das ja nicht freiwillig, sondern vor dem Hintergrund
einer eindeutigen Beschlusslage. Es handle sich um Dubletten. Die SUB
Hamburg und die Fachbereichsbibliothek seien kontaktiert, zuvor seien
aber schon Stuecke ins Antiquariat abgegeben worden. Die HAB
Wolfenbuettel (zustaendig fuer das 17. Jh.) sei nicht einbezogen worden.

Der Leiter der SUB, Prof. Rau, bestritt ausdruecklich, dass man ihn bei
den Veraeusserungen aus dem historischen Altbestand herangezogen habe.
Er haette gerne davon gewusst, um Verhandlungen ueber einen Verbleib in
HH fuehren zu koennen. Er aeusserte sein Bedauern, meinte aber, nach
Auskunft von Dr. Stueben habe es sich um ein Versehen gehandelt. Alles
habe sehr schnell gehen muessen. Vor etwa einem Monat sei das Ganze (auf
Betreiben eines Lehrstuhlinhabers aus der theologischen Fakultaet?) in
der Hamburger Presse gewesen, aber natuerlich muesse ich verstehen, dass
er einen entsprechenden Nachweis des Presseartikels nur nach
Ruecksprache mit Dr. Stueben herausgeben koenne - sapenti sat (in der
MOPO kams nicht, in der WELT nach Ausweis des Onlinearchivs auch nicht).

Oberkirchenrat Dr. Heling, der Vorgesetzte von Dr. Stueben, gab zu, man
habe die durch Wurmfrass zerstoerte Ahlefeldtsche Kirchenbibliothek aus
Itzehoe nach im Sommer letzten Jahres eingeholter Zustimmung des
Eigentuemers (Kloster und Kirchenkreis Itzehoe) aufgeloest. Sie werde
aber nicht in toto verscherbelt, sondern mit groesstmoeglicher Sorgfralt
durch Dt. Stueber, der ein ausgewiesener Fachmann sei, zu dem er volles
Vertrauen habe und der abgleiche, ob ein Band in anderen Hamburger
Bibliotheken noch vorhanden sei. Es sei zwar schmerzlich, erfolge aber
aufgrund von Absprachen. Trotz der prekaeren Situation laufe nichts
willkuerlich.

Die Priorin des Adeligen Klosters Itzehoe, eines evangelischen
Damenstifts, Graefin zu Rantzau, bestaetigte, dass man sich im letzten
Jahr aus Hamburg an sie gewandt habe. Da man vor allem den schlechten
Erhaltungszustand der Buecher (und auch die Raumnot) angefuehrt habe und
sie nicht in der Lage seien, eine Bibliothek zu pflegen, habe sie die
Zustimmung zur Aufloesung gegeben. Sie wisse sie nichts von den
Antiquariatsverkaeufen und an den Verkaufserloesen sei das Kloster nicht
beteiligt worden.

Was ist/war die Ahlefeldtsche Bibliothek?

Im "Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland", Bd. 1
(Hamburg), Hildesheim 1996, S. 267-270 steht im Artikel "Nordelbische
Kirchenbibliothek":

S. 268: Übernommen wurde "1985/86 die Ottilie von Ahlefeldtsche
Kirchenbibliothek (mit z. T. wertvollem Altbestand."

S. 269: Ottilie von Ahlefeldtsche Kirchenbibliothek, benannt nach der
Äbtissin des Adeligen Klosters Itzehoe, Ottilie Elisabeth von Ahlefeldt
(1703-1774?). "Es handelt sich um eine aus ehemaligen Gemeindebeständen
erwachsene Bibliothek von 2100 Titeln aus dem 17.-19. Jh., die vormals
der Probstei Münsterdorf gehörte und bis zur Übernahme (1984) in Kiel
aufgestellt war. Neben theologischen Werken umfasst sie auch
pädagogische und philosophische Literatur."

Literatur:
Katalog der Ottilie von Ahlefeldtschen Bibliothek in Itzehoe (Itzehoe
1898) (gedr. syst. Katalog)
Bücher-Verzeichniß der Ottilie von Ahlefeldtschen Kirchenbibliothek, in:
Alphabetischer Katalog der vereinigten Kirchen-Bibliotheken in Itzehoe,
Itzhoe 1831 (532 Nr.), Mss., alphabet. u. system. Bandkatalog.

Hinsichtlich der augenblicklich im Antiquariat erhaeltlichen Titel
laesst sich klar aus der Liste im zvab.com und durch Autopsie
eines hervorragend erhaltenen Bandes das Argument widerlegen, Wurmfrass
oder der Erhaltungszustand habe es erforderlich gemacht, diese Stuecke
auszusondern. In einem schoenen Sammelband des 17. Jh. (Auflagen alle
nicht in Wolfenbuettel) Sammelband des 17. Jh. befinden sich die
Stempel:

"Eigentum der Kirche zu Itzhoe" (alter Stempel)
neue Stempel:
"Nordelbische Kirchenbibliothek
Aus dem Bestand der Ottilie von Ahlefeldt'schen Kirchenbibliothek"
"Ausgeschieden NEKB"

Der Antiquar gab an, seine alten theologischen Werke im ZVAB (Liste
siehe unten) stammten alle aus der gleichen Quelle, einer oeffentlichen
Institution. Er habe seit letztem Jahr schon den einen oder anderen
Sammelband - alles Theologica - gehabt, die Sache gehe aber
unregelmaessig weiter. Es handle sich nicht um Dubletten, was die SUB
Hamburg nicht wolle, bekomme er.

Bewertung: Was aus der gewachsenen Itzehoer Bibliothek in den Handel
gelangt ist, sind Teile einer Bibliothek, deren Altbestand im Sinne des
Handbuchs der historischen Buchbestands als Ganzheit allen Schutz
verdient. Es handelt sich um rare Drucke, die einem historischen
Ensemble angehoeren, und die als Sammelbaende historische Zeugnisse,
Dokumente der Kulturgeschichte der evangelisch-lutherischen Kirche
Schleswig-Holsteins, sind. Keine Raum- oder Geldnot berechtigt dazu,
solche Bestaende in den Handel zu geben. Dass diese Stuecke (fast alle
im Preisbereich von 200-350 EUR) "versehentlich" im Antiquariat gelandet
sind, kann mir niemand weissmachen. Hier haetten alle Mittel und Wege
ausgeschoepft werden muessen, die historischen Teile der Sammlung als
Ganzes - ggf. als zeitweilige Leihgabe in einer anderen Bibliothek ohne
Platznoete - zu erhalten. Aber mutmasslich war es Geldgier, verbunden
mit einem selbstherrlichen Dublettendenken, die dazu gefuehrt hat, dass
eine historische Buechersammlung einmal mehr als Ganzheit zerstueckelt
wurde. 
Wenn ich in der Altbestandskommission des Verbands der
Kirchenbibliotheken etwas zu sagen haette, wuerde ich den
Verantwortlichen Dr. Stueber mit Schimpf und Schande rauswerfen.

Einmal mehr zeigt sich, wie desolat es um den bibliothekarischen
Kulturgutschutz in diesem Lande bestellt ist. Da darf nach Kraeften
gemauschelt und vertuscht werden, und das Denkmalamt weiss vermutlich
wie immer von nichts und ist natuerlich auch ueberhaupt nicht fuer
solche Sammlungen zustaendig!

Ich moechte nicht wissen, wieviel des unersetzbaren bibliothekarischen
"patrimoine" aus katholischen Klosterbibliotheken oder evangelischen
Kirchenbibliotheken oder Schulbibliotheken jaehrlich still und heimlich
im Antiquariat landet. 

Dr. Klaus Graf
http://www.uni-koblenz.de/~graf/#kulturgut

Anmerkung: Die Liste aus zvab.com haette diese Mail fuer INETBIB zu lang
gemacht. Text:
http://www.ub.uni-dortmund.de/Listenarchive/LIB-L/200205/20020507.html#0


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.