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AW: Enteignung der Verlage...



Liebe Liste,

ich bin wirklich froh, dass das Thema in der Liste diskutiert wird, da es
mich auch in der täglichen Arbeit stark betrifft.
Der Umstand, dass Forschungen mit öffentlichen Geldern finanziert werden,
die wissenschaftliche Öffentlichkeit aber nicht an den Ergebnissen teilhaben
darf, ist ein wirklich unhaltbarer Zustand. Solange eine Zeitschrift an
einem Universitätsstandort vorhanden ist, ist ja eigentlich alles in
Ordnung. Je nach Infrastruktur des Bibliotheksnetzes sind die Publikationen
untereinander zugänglich. Sie können auf Anfrage von der Bibliothek A an die
Bibliothek B gesandt werden. Aber ist es auch lizenzrechtlich einwandfrei
abgedeckt? In vielen Vereinbarungen z.B für Online-Zugänge untersagen die
Verlage das Zusenden von e-Artikeln an dritte (z.B. Springer). Und wie ist
der Umstand zu bewerten, das die Veröffentlichung eines wiss. Mitarbeiters
in einer nicht Abonnierten Zeitschrift defacto eingekauft werden müsste, um
für "nichtangehörige" an die erzielten Informationen zu kommen. Das mag
etwas überspitzt klingen, ist aber Realität bei älteren Veröffentlichungen,
wo die Zeitschrift am Standort nicht vorhanden und der Mitarbeiter
ausgeschieden ist. Wenn die Bibliothek keine Archivfunktion übernommen hat,
muss für die Ergebnisse einer schon einmal finanzierten Arbeit noch einmal
bezahlt werden. Und auch bei dem Thema Archivfunktionen für Bibliotheken
lauern eine Reihe von Problemen und Unklarheiten, wie die jüngste Diskussion
"frei zugängl. Publikationen im www" in der Liste ja gezeigt hat.
Da nicht abzusehen ist, dass die Verlage die Preisschraube zurückdrehen oder
das Schrauben einstellen, ist ein einwandfreies Funktionieren der
Dokumentlieferdienste umso wichtiger. Jedoch sind entgeldpflichtige
Dokumentlieferdienste doch nur das geringere Übel (bitte nicht als Anklage
an Subito & co zu verstehen). Wenn wiss. MitarbeiterInnen oder junge
DoktorantInnen damit konfrontiert werden, dass ihre langen Literaturlisten
den Umfang von mehren hundert Euro haben, dann ist ihr Forschungseifer erst
einmal gedämpft und beschränkt sich auf das notwendigste und wesentlichste.
Das da voraussichtlich viele Blickwinkel und Ansätze verloren gehen liegt
auf der Hand.
Ich will das Problem der täglichen Literaturbeschaffung hier gar nicht
weiter breit treten, wahrscheinlich kann hier jeder seine Strophe zum Lied
beitragen. Jedoch muss in der Zukunft etwas geschehen und das
Bibliothekswesen muss daran massgeblich beteiligt sein. Sonst wird es immer
wieder Expertenanhörungen zu seinem Bibliotheksthema ohne deren Beteiligung
geben.
Eine Forderung muss lauten, dass Arbeitsergebnisse, die mit öffentlichen
Forschungsgeldern ganz oder zum Teil erzielt worden sind, auch der wiss.
Öffentlichkeit frei zugänglich sein sollen. Das muss Standard sein, egal in
welcher Zeitschrift oder bei welchem Verlag Publiziert worden ist. Da dieses
wohl kaum mit den Verlagen zu vereinbaren ist, muss der  Gesetzesgeber von
der Notwendigkeit überzeugt werden.

Ich wünsche Allen ein schönes Wochenende

Oliver Weiner
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Bibliothek der Universitäts Kinderklinik Kiel


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: owner-inetbib _at__ ub.uni-dortmund.de
[mailto:owner-inetbib _at__ ub.uni-dortmund.de]Im Auftrag von Klaus-Rainer
Brintzinger
Gesendet: Freitag, 31. Januar 2003 10:21
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: Enteignung der Verlage...




Jörg Schwiemann wrote:

> Korrektur: der Text ist nicht im Auftrag des Vorstandes von subito e.V.
> entstanden, sondern ist eine private Meinung von Herrn Franken als
> Direktor der UB Konstanz.
>
>
>>[BEGINN]
>>Zum Beitrag "Enteignung der Autoren und Verlage?" in der FAZ vom 29.1.03
>>
>>Der Beitrag wirft Fragen, auch außerhalb der Diskussion um das Urheber-
>>recht, auf:
>>1. Warum müssen aus öffentlichen Mitteln unterhaltene Bibliotheken die
>>   Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern, die an den Universitäten
>>   arbeiten, über Verlage für teures Geld zurück kaufen? Diese Wissen-
>>   schaftler erhalten aus öffentlichen Mitteln ihre Gehälter, ihr Ar-
>>   beitsumfeld wie Labore, Mitarbeiter usw. Zu ihren Dienstpflichten
>>   gehört die Forschung und das Publizieren.


[...]


>>5. Das eigentliche Problem liegt weder im Urheberrecht noch auf tech-
>>   nischem Gebiet: Es geht um die Zukunft des wissenschaftlichen Publi-
>>   kationswesens und die Frage, wie künftig der weltweite wissenschaft-
>>   liche Austausch von Erkenntnissen stattfinden soll. Damit müssen sich
>>   aber die Wissenschaftler befassen, die mit Blick auf die eigene
>>   Karriere eigentlich nur ein Interesse haben: Publikation in möglichst
>>   renommierten Zeitschriften. Für die finanzielle Seite interessieren
>>   sie sich (bisher) kaum.
>>[ENDE]
>

Lieber Herr Franken, liebe Liste,

vielen Dank für Ihre rasche Reaktionen an die FAZ - hoffen wir, dass der
Leserbrief bald gedruckt wird!
Eine kurze Anmerkung (zur Diskussion):
Ihren Punkt 5 möchte ich etwas pointieren:
Es handelt sich m.E. ausschließlich um ein ökonomisches (und daraus
resultiernd um ein juristisches) Problem. Die entscheidende Frage ist:
Wie sind die *Eigentumsrechte* bei wissenschaftlichen Publikationen
definiert?
Liegt das Eigentum bei den Urhebern persönlich - dies würde
grundsätzlich der Privatrechtsordnung unserer Gesellschaft entsprechen -
oder liegt bei öffentlich finanzierter Forschung eine besondere
Situation vor?
Hier müssen wir wie Sie unter 1. ganz offensiv argumentieren: Die
Eigentumsrechte (=Verwertungsrechte) der Urheber von wissenschaftlichen
Publikationen müssen weitgehend durch die öffentliche Alimentierung der
wissenschaftlichen Forschung abgedeckt sein.
Mit den Informationsbedürfnissen, mit der Zahlungskraft, mit Demokratie
und sozialer Gleichheit zu argumentieren, nützt uns (=wissenschaftlichen
Bibliotheken) überhaupt nichts, wenn wir nicht zu einer Art Rotem Kreuz
des Informationswesen werden wollen. (Hier werden wissenschaftliche und
öffentliche Bibliotheken in der Tat unterschiedlich argumentieren
müssen) Kein Bäcker gibt sein Brot kostenlos ab, mit dem Hinweis auf die
besondere Bedeutung des Brotes für die Ernährung, aber - um im Beispiel
zu bleiben - wer kostenlosen Weizen bekommt, ist beim Festlegen des
Brotpreises nicht mehr frei. Dies muss unser bibliothekarisches ceterum
censeo sein!

Beste Grüße

Klaus-Rainer Brintzinger




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Dr. Klaus-Rainer Brintzinger
Universitaet Tuebingen, Juristisches Seminar
Wilhelmstr. 7, 72074 Tuebingen
Tel. 07071/29-72550, Fax: 07071/29-3304
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