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§52a knapp nach dem 1.4.



Kein Streit mehr um geistiges Eigentum – Informationsfreiheit (beinahe) gesichert :-)

Auf der Website www.52a.de der Exploiter-Verbände wurde knapp nach Mitternacht vom 2.4. auf den 3.4 2003 eine Einigung im Streit um geistiges Eigentum angekündigt, die einfach sensationell ist, ja utopische Züge hat: Wissen und Information sollen in Wissenschaft und Unterricht endgültig frei sein, nichts mehr kosten. Die Exploiter verzichten auf Einnahmen. Keine Rede mehr davon, dass die Nutzungsprivilegien für Wissenschaft und Ausbildung, wie in § 52a des Entwurfs zur Anpassung des Urhebergesetzes vorgesehen, einer Enteignung der Exploiter gleich käme. Die Anzeigen der letzten Tage in großen Tageszeitungen. „Stellen Sie sich vor, Sie schreiben ein Buch und der Staat nimmt es Ihnen einfach weg“ Oder: „Universitäten und Schulen müssen sparen. Darum dürfen sie in Zukunft Bücher und Zeitschriften klauen.“ sind zurückgezogen.

Wie konnte es zu dieser sensationellen Wende kommen? Wieso stellen jetzt die Exploiter das Wissenschaftsinteresse über ihr eigenes?

Der Justiziar des Wertpapiervereins der Deutschen Vermarktungs- und Exploitergesellschaften, Dr. Malte Hopste, hatte, so hieß es auf der Website, zu einem ganztägigen Geheimtreffen führender Exploiterchefs ins Berliner Tacheles eingeladen. Aus der Exploiterliste sind zunächst nur bekannt geworden: Dr. Martin Erbach, Chef von Mehr-Erbach, Prof. Dr. Nikolaus G. Süss vom gleichnamigen Verlag und Prof. Dr. Hagen Abgott vom (wissenschaftlichen) Läufer-Verlag, aber es sollen weitaus mehr gewesen sein. Zeitweilig sind dazugestoßen der Berliner Kultur- und Buchsicherungssenator und der Direktor der Frankfurter Verwertungsmesse Hans Altfrau. Das soll schon geholfen haben.

Der Durchbruch zur Einigungsformel soll aber erst erzielt worden sein, als aus dem Unterhaltungsbereich Dieter Dielen, aus dem Medienbereich Günter Unrat, aus dem Sport-Bereich Günter Wirrwarrer sowie ein nicht namentlich bekannt gewordener Philosoph gehört worden waren.

Wir wollen den Leser nicht weiter auf die Folter spannen. Fassen wir das Ergebnis des geheimen Tacheles-Meeting zusammen. In der auf www.52a.de angeführten Pressemitteilung wird das Justizministerium aufgefordert, die Formulierungen des bis gestern strittigen §52a der Urheberrechtsanpassung gänzlich zu streichen und das auch dem Bundestag bei der anstehenden Abstimmung zu empfehlen. Aber nicht nur sollte der §52a gestrichen werden, sondern durch eine einfache Formel ersetzt werden: Veröffentlichte Werke jeder medialen Art aus der Wissenschaft sind als öffentliche Güter anzusehen und sind für die Nutzung in Forschung und Lehre für jedermann frei, d.h. nicht nur uneingeschränkt und unzensiert, sondern auch ohne weitere Gebühren verfügbar. Wie ist es dazu gekommen?

Schon nach gut einer Stunde interner Exploiterdebatte im Tacheles, also vor der Anhörung der erwähnten Experten, war den Profis klar geworden, dass sie ihre bis dahin mit Zähnen und Klauen verteidigten Geschäftsmodelle, die ihnen gute Gewinne im bisherigen analogen Medium gesichert hatten, nun in der elektronischen Umgebung nicht länger beibehalten können. Zunächst schien sich nur Resignation breit zu machen. Alle Versuche, die Piraterie im elektronischen Medium einzugrenzen, seien gescheitert. Alles scheint umsonst zu sein, denn alles wurde, so schnell wie implementiert, auch wieder von den Piraten und Informations-Robin-Hoods außer Kraft gesetzt.

Aber einfach aufgeben kann man ja auch nicht. Wie - das wurde zur entscheidenden Frage - kann man erfolgreich scheitern und dabei überleben, d.h. weiter Geld einnehmen? Da helfen nur Anhörungen bei kreativen Experten, kaum noch bei den Juristen.

Hilfreich für die Entscheidungsfindung war zunächst die mit dem Direktor der Frankfurter Verwertungsmesse Hans Altfrau und dem Berliner Kultur- und Buchsicherungssenator abgesicherte Erklärung, dass bei einer Verlegung der Frankfurter Verwertungsmesse nach Berlin eine neunzigjährige Rente aller Verlagsangestellten aus den in Berlin zu erwartenden Mehreinnahmen einer vergesellschafteten Verwertungsmesse exklusiv zugesichert würde.

Aber, wie erwähnt, erst die Anhörung von Dieter Dielen, Günter Unrat, Günter Wirrwarrer und des ungenannt gebliebenen Philosophen hat den Verwertungsprofessionellen den Weg gewiesen.

Günter Unrat sicherte zu, bei jedem Millionenquiz einen Exploitervertreter, natürlich unter Pseudonym, einzuladen, bei dessen Bildungsstand die Wahrscheinlichkeit hoch sei, dass er/sie sich der oberen Millionengrenze leicht annähere. Das würde dann in den Verwertungs- und Rentenfond eingespeist. Möglicherweise anfallende Probleme bei Trivialfragen aus dem Sport könnten dadurch gelöst werden, dass Günter Wirrwarrer, das hat dieser dann auch mit ernster Stimme zugesichert, als anzurufender Experte einen Dauervertrag bekomme, dessen Honorar er einer Stiftung informationsfrei-geschädigter Exploiter übergeben wolle – schließlich mache ihm dieser Umgang mit Wissen ja in erster Linie Spaß. Weitere Einnahmen für diese Stiftung seien über die Stadien-Banden „Rettet die Exploiter vor sich selbst“ bei der WM 2006 zu erwarten (wobei die Unklarheit der Botschaft vermutlich vom Publikum als Spendenaufruf gedeutet und daher befolgt würde).

Dieter Dielen von Ancient Silent war sich sicher garantieren zu können, dass keines seiner Bücher und sonstiger Produkte und die seiner ihm verwandten Kollegen je für Wissenschaft und Ausbildung relevant würden, so dass hier die Informationsfreiheit nie zum Tragen kommen werde. Man solle insgesamt in sein Genre überwechseln und, so die weitere Empfehlung von Dielen, das Publizieren in und für Wissenschaft und Ausbildung den dort Tätigen selber überlassen. Er, Dielen, haben jedenfalls vor, reputative, also nicht über Geld erwerbliche Aktien der Publikationsserver der Hochschulbibliotheken zu kaufen. Dort liege die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens. Die Bibliotheken, eventuell auch Ancient Silent, seien die Verlage des digitalen Zeitalters. Das wolle er demnächst besingen lassen.

Zuletzt, wie die Eule der Minerva schon spät in der Abenddämmerung, kam der anonym gebliebene Philosoph argumentativ entscheidungsentscheidend ins Tacheles und sicherte zu, dass die Vermutung, Kreativität würde nicht durch monetäre Anreize (sprich Honorare) gefördert, mit dem Kant´schen Kategorischen Imperativ und mit Artikel 19 der Allgemeinen Menschenrechte kompatibel sei. Das hätten die US-amerikanischen Präsidenten als „free flow of information“ im übrigen immer schon so gesehen und gehalten, und das sei ja auch in Wirklichkeit, sehe man es transzendental und nicht kurzfristig verwertend, immer schon Geschäftsgrundlage der Exploiter gewesen. Scharf könne geschlossen werden, dass es auch logisch und faktisch keine monetären Anreize für die Verwerter geben müsse, diese also ebenso gut aufgegeben werden könnten. Wenn man es nicht kantisch möge, dann doch wenigsten utilitaristisch: es stehe den Verwertern gut an und sichere ihnen, den Exploitern (wie, wisse er als Philosoph natürlich nicht), mittelfristig auch den Geschäftserfolg, wenn sie sich am Gemeinwohl durch Wissenschaft und Ausbildung orientierten. Das hat endgültig überzeugt und zu dem Informationsfreiheitsbeschluss geführt.

Rainer Kuhlen

Professor für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz

P.S. Berichtigung

Nach Abschluss dieses Manuskripts erreichte den Autor eine global verteilte Email des Webmasters von www.52a.de, in der beschwörend darauf hingewiesen wurde, dass die oben beschriebene Einigung nur ganze 20 Sekunden auf der Website zu lesen gewesen war und eine Fälschung sei. Offenbar war es bislang nicht identifizierten Hackern (oder waren es Cracker?) gelungen, sich für diese 20 Sekunden des Webservers zu bemächtigen und die anfänglich aufgeführte Meldung und die vermeintliche Geschichte ihrer Entstehung im Tacheles zu platzieren. Man vermutet sie aus dem Umkreis von Chaos Computer Club und „Rettet die Privatkopie“, aber das entbehrt wohl jeder Zufälligkeit Der Autor entschuldigt sich, dass er darauf reingefallen ist. Außerdem versichert er, dass der Zugriff auf www.52a.de nicht von einem Uni-Rechner erfolgt ist, sondern von seinem privaten DSL-Anschluss.

Um den Schaden wieder gutzumachen, soll der Verwertungsanspruch auf diesen Artikel aufgegeben werden (jeder Exploiter und jeder andere darf ihn an den Bundestag schicken). Zu versuchen, quasi interessenfrei wiederzugeben und zu interpretieren, was wirklich von Exploiterseite aus gewollt ist, wenn die Exploiter von Enteignung der Exploiter durch §52a Urheberrechtsentwurf sprechen, kann nicht gewagt werden. Aus der Website direkt zu zitieren, traue ich mich nach den Erfahrungen mit dem Schwindel nicht mehr. Kann ja auch jeder selber da herein gehen und sich seine Meinung bilden, ob das, was da steht, wirklich die langfristigen Interessen der Exploiter widerspiegelt. Keine Garantie kann allerdings dafür gegeben werden, ob die geneigten Leser dann beim Browsen in www.52a.de nicht erneut den Verdacht einer Satire haben werden.




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