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Offtopic: Donaueschinger Vandalismus



Liebe Listen!

Ich moechte auf einen skandalösen Verlust von Kultugut aufmerksam
machen, der sich, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, dieser
Tage vollzieht.

Der Abtransport hat bereits begonnen: Seit Anfang Juni wird fast der
ganze Buchbestand der traditionsreichen Fürstlich Fürstenbergischen
Hofbibliothek Donaueschingen (ca. 130.000 Bände) ins Ausland verbracht.
Über den Käufer, ein angloamerikanisches Antiquariat, wurde
Stillschweigen vereinbart. Nur ein Anstandsrest von etwa 10.000 Bänden,
die Regionalliteratur, wird künftig im Fürstlichen Archiv nutzbar sein.
Vor Ort regt sich kein Widerstand gegen den Vandalismus, denn der
frühere Eigentümer, der Fürst von Fürstenberg, ist nach wie vor äußerst
einflußreich. Der Leiter des Archivs, zugleich Vorsitzender des
örtlichen Geschichtsvereins "Verein für Geschichte und Naturgeschichte
der Baar", lehnt jegliche Stellungnahme ab.

Man fühlt sich an die barbarischen Szenen vor knapp zweihundert Jahren
erinnert, als die Säkularisation geschlossene und reiche
Klosterbibliotheken als Ensembles zerstörte. Für Petr Masek vom Prager
Nationalmuseums ist die Donaueschinger Hofbibliothek "eine der größten
und schönsten Schloßbibliotheken". Der Betreuer von über 300
denkmalgeschützten böhmischen Schloßbibliotheken weiß, wovon er spricht,
ist er doch vor einigen Jahren der Herkunft der Donaueschinger
Druckschriften nachgegangen. Undokumentiert der Vernichtung durch den
Einzelverkauf preisgegeben werden nicht nur die Reste frühneuzeitlicher
Adels- und Klosterbibliotheken, allen voran die Buchbestände des einst
bibliophilen Hauses Fürstenberg, sondern auch das Gros der 11.000 Bände
des bedeutenden Germanisten Joseph von Laßberg (1770-1855). Der Schwager
der Dichterin Anette von Droste-Hülshoff hatte seine Bibliothek, die
nicht nur aus Handschriften, sondern auch aus Druckschriften bestand und
durchaus als national wertvolles Kulturgut bezeichnet werden könnte,
1853 dem Fürstenhaus verkauft, damit sie geschlossen erhalten bliebe.
Seine nun zerstörte, im Bestand ohne weiteres rekonstruierbare
Büchersammlung, Handapparat eines international renommierten
Altertumsforschers, wurde bislang unter buch- und
wissenschaftsgeschichtlichen Aspekten nicht erforscht. Durch den Verkauf
verschwinden handschriftliche Einträge Laßbergs oder ihm zugedachte
Widmungsexemplare. Ebenso werden aus anderen Provenienzen unzählige
frühneuzeitliche Besitzeinträge, eine herausragende kulturgeschichtliche
Quelle,  für die Forschung nicht mehr greifbar sein. Vernichtet wird ein
Ensemble, ein beziehungsreiches Ganzes, in dem vielfältige
aufschlußreiche Querverbindungen zwischen den Büchern bestehen. Die
Stiftung Kulturgut des Landes Baden-Württemberg hatte angesichts der
Bedeutung der Bibliothek eine Inventarisierung des Bestandes geplant,
was nun durch den Verkauf vereitelt wurde.

Der Ausverkauf hatte in den 1980er Jahren begonnen, als 20 wertvolle
Handschriften bei Sotheby's versteigert worden. Es folgten heimliche
Verkäufe illustrierter Drucke im Antiquariatshandel. 1993 verkaufte das
Haus Fürstenberg die Handschriften - mit Ausnahme der Laßbergschen
Nibelungenliedhandschrift - an das Land Baden-Württemberg. In alle Welt
zerstreut wurde im Juli 1994 die bedeutende Inkunabelsammlung, in der
sich unter anderem die erhaltenen Reste der Klosterbibliothek der
Villinger Franziskaner (90 Bände) befanden. Während das Land sich jetzt
für den Ankauf der Musikhandschriften und Musikalien entschied, lehnte
es ein überhöhtes Übernahmeangebot der restlichen Bibliothek ab.

Die Kette eklatanter Fehlentscheidungen der zuständigen Stellen des
Landes Baden-Württemberg, die die bisherigen Verkäufe ermöglicht hatte,
riß auch in den vergangenen Wochen nicht ab. Während bei archäologischen
Funden Notgrabungen selbstverständlich sind,  nimmt man die Zerstörung
eines hochrangigen Kulturdenkmals achselzuckend hin. Der Eigentümer soll
offenbar möglichst wenig behelligt werden. Hatte  man im Fall der
Markgrafensammlung von Baden-Baden 1995 wenigstens eine vorläufige
Unterschutzstellung nach dem Denkmalschutzgesetz vorgenommen, um eine
Inventarisierung zu ermöglichen, beruft man sich seitens des für den
Denkmalschutz zuständigen Wirtschaftsministeriums (!) auf ein
seinerzeitiges "Gutachten" von ca. 1984, das in zwei Sätzen und ohne
Erwähnung der Laßbergschen Bücher die Denkmaleigenschaft der Bibliothek
als Sachgesamtheit verneinte - aus fachlicher Sicht absolut unhaltbar.
Auf einer am 2. Juni einberufenen Besprechung mit Bibliothekaren und
Vertretern des Landesdenkmalamtes mußten diese wider besseres Wissen das
ministeriell gewünschte Resultat abnicken. Das Wissenschaftsministerium
sieht keine Veranlassung, wegen einer nach wie vor möglichen
Bestandsaufnahme der verkauften Bücher auf den neuen bzw. alten
Eigentümer zuzutreten. Über die Abstimmung der Kaufinteressen bei einem
Erwerb der wohl auf den Antiquariatsmarkt gelangenden Bücher durch
wissenschaftliche Bibliotheken oder andere öffentliche Institutionen in
und außerhalb des Landes hat man sich ebensowenig Gedanken gemacht. Man
kann und will nichts mehr tun - der unbezifferbare Schaden für die
Forschung spielt keine Rolle. Vielleicht gibt es ja irgendwann ein mit
viel Geld finanziertes Forschungsprojekt "Virtuelle Rekonstruktion der
Hofbibliothek Donaueschingen" ...

Beileidsbekundungen bitte an mich persoenlich: graf _at__ uni-koblenz.de

Weitere Informationen zu Kulturgutverlusten:
http://www.uni-koblenz.de/~graf/index.html#kulturgut


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.