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Re: Fachterminologie: virtuelle Bibliothek



Was an der Diskussion über die Fachterminologie merkwürdig berührt, 
ist der Umstand, daß hierbei permanent mit Definitionen operiert wird 
und die Meinung verbreitet wird, erst die richtige definitorische 
Fassung von ?Bibliothek? ermögliche oder sei Wissenschaft.
Daß das keineswegs der Fall ist, ist leicht einzusehen.
Erstens hat jeder Sprecher des Deutschen ein Verständnis des Wortes 
?Bibliothek?, das hinreicht, um erfolgreich kommunizieren zu können. 
Die Einwände gegen das muntere Definieren können sich daher zu Recht 
auf den alltagssprachlichen Sachverhalt stützen, daß wir uns durchaus 
verstehen können, auch ganz ohne vorherige Definitionen von dem, was 
eine ?Bibliothek? ist.
Zweitens versucht man erst dann, wenn man nicht verstanden wird, 
schärfer zu fassen, was man meint. Das kann über Definitionen als 
Verabredungen laufen, muß aber nicht. Bei Difinitionen hat man 
außerdem stets das Problem, daß die einzelnen Worte dann selbst wieder 
definiert werden müssen und man vom Hundertsten ins Tausendste kommt. 
Verschärft wird das dadurch, daß beim Definieren dann oft auch der 
Hintergrund der Definitionen nicht mehr ausgewiesen wird, so daß wir 
eigentlich weniger Definitionen als Behauptungen lesen.
Drittens endlich ist Wissenschaft keineswegs identisch mit haarschafem 
Definieren. Wenn Wissenschaft überhaupt etwas ist, dann die Reflexion 
der Begriffe. So impliziert der Begriff der klassischen Bibliothek das 
Aufbewahren von Büchern als physischer Objekte. Dieses Aufbewahren 
gehorcht einer Logik ds Ortes, denn jedes physische Buchobjekt hat 
einen wohldefinierten Standort im Regal. Das ist bei der virtuellen 
Bibliothek nicht der Fall; ihre Logik ist die des Sendens und 
Übertragens. Diese Differenz bringt es nun aber mit sich, daß man 
keinesfalls mehr von einer ?Bibliothek an sich? sprechen kann, wie das 
hier getan wurde. Mit Hegel möchte man dann gerne fragen: Und was wäre 
die ?Bibliothek für sich? ? gar dann ?die Bibliothek an und für sich??
Also: Nicht aufs Glatteis führen lassen! Mit Definitionen ist nichts 
gewonnen, schon gar keine Bibliothekswissenschaft.
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Jochum

-- 
Dr.Uwe Jochum
Fachreferent für Allgemeine Literaturwissenschaft,
Anglistik, Germanistik und Pädagogik
Bibliothek der Universität Konstanz
78457 Konstanz
Tel.: 07531 / 882842
E-Mail: uwe.jochum _at__ uni-konstanz.de
Homepage: tpp24.net/u.jochum





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