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Re: BDB und DBI



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

obwohl die Diskussion absolut NICHT in InetBib gehoert,
kann ich als Betroffener zu der Mail von Frau Bechtold
nicht schweigen.

Am 19 Jan 00 um 10:53 hat Ingrid Bechtold geschrieben:

> Schuldzuweisungen und "Schuldverwaltung" halte ich fuer destruktiv, und
> ich frage mich, ob die Verbaende sich in dieser Situation damit wirklich
> ausfuehrlich befassen sollten.

Hier geht es nicht um Schuldzweisungen, sondern um Aufklaerung, d.h. um
Rechenschaft darueber abzulegen, was getan und erreicht wurde und die
Verantwortung dafuer zu uebernehmen, was unterlassen und/oder falsch
gemacht wurde. Dies ist die Pflicht einer jeden Vereins- und Verbands-
fuehrung, und wenn wir dies nicht einfordern, kann das nach meinem
Empfinden offensichtlich gestoerte Vertrauensverhaeltnis zwischen den
Mitgliedern an der Basis und der Fuehrung der bibliothekarischen Vereine
und Verbaende nicht wiederhergestellt werden.

> Ich denke, alle Berufsverbaende sollten jetzt ihre gesamte Energie und
> Kompetenz buendeln und darauf verwenden, ein ueberzeugendes Konzept fuer
> ein Nachfolge- oder neues Institut zu erarbeiten und dessen Aufgaben zu
> spezifizieren. Dieses Konzept muss vor allem auch Politiker ueberzeugen.

Hier bin ich sehr skeptisch. Denn bislang fehlt den Verbaenden noch jegliche
Einsicht, dass sie mit ihrem Verhalten bzw. Nicht-Verhalten ganz wesentlich
zum Untergang des DBI beigetragen haben. Es ist mitnichten eine unabwendbare
Naturkatastrophe gewesen, die das DBI getroffen und dahingerafft hat.

Vielmehr ist es doch das Ergebnis einer ueber Jahrzehnte von den Spitzenvertretern
der bibliothekarischen Vereine und Verbaende betriebenen Interessen-  und
Lobbypolitik, die gegenueber der breiten Oeffentlichkeit und insbesondere gegen-
ueber den politischen Gremien und Entscheidungstraegern ganz offensichtlich
nicht gegriffen hat. Im Gegenteil, ich wage zu behaupten, dass hier dem Naehrboden
fuer eine Stimmung Raum gegeben wurde, dass hier ohne grossen Widerstand
die Axt angesetzt werden kann, um endlich einmal die Entschlossenheit des
Staates im Kampf gegen ineffiziente Institutionen und verkrustete Strukturen im
oeffentlichen Dienst demonstrieren zu koennen.

Dieses Kalkuel ist aufgegangen ! Trauriger Hoehepunkt und Beweis fuer diese
These ist der juengst am 29.12.99 in der angesehenen Frankfurter Allgemeinen
Zeitung (FAZ) erschienene Artikel unter dem Titel "Ausgeblaeut", in dem es u.a.
heisst:

[Zitat-Anfang]
" Zu den solcherlei gesegneten Haeusern im Paradiesgarten der
  bundesrepublikanischen Forschungsfoerderung zaehlt auch das
  Deutsche Bibliotheksinstitut (DBI) in Berlin - noch jedenfalls. In
  drei Tagen aber, mit dem Ausbruch des neuen Jahres, in der Nacht
  der Naechte, wird das DBI aus dem Stand der Gnade entlassen,
  seiner laengst matt gewordenen Blaeue beraubt. Mehr noch: Am
  1. Januar 2000, so will es ein vom Berliner Abgeordnetenhaus
  erlassenes Gesetz, hoert die Einrichtung auf zu existieren. Das
  ist fuer das Haus, das laut Satzung bibliothekarische Methoden
  und Techniken erforschen, entwickeln und vermitteln sollte, eine
  unschoene nachweihnachtliche Bescherung, fuer die deutsche
  Wissenschaftspolitik aber eine veritable Sensation. Man muss
  lange zurueckdenken, um sich eines Falles zu entsinnen, in
  dem ein verheerender Pruefungsbericht fuer ein Haus tatsaechlich
  Finale Folgen hatte. Schon vor zwei Jahren bescheinigte der
  Wissenschaftsrat dem Berliner Institut, bei "ueberwiegend
  grosszuegig bemessener" personeller Ausstattung, den ihm
  gestellten Anforderungen nicht gerecht zu werden. Die Innovations-
  leistung des DBI sei "nicht ausreichend", und eine Kooperation
  mit Institutionen in Westeuropa oder den Vereinigten Staaten
  finde "kaum statt", obwohl das DBI doch nicht zuletzt gegruendet
  worden war, um internationale Kontakte zu knuepfen. Doch
  mochten die Institutsmitarbeiter auch vor Zorn blau anlaufen,
  das DBI wurde von der Liste gestrichen, und das verarmte Land
  Berlin beschloss die Liquidation des Hauses. [...] Eine
  Entscheidung, die umso leichter fiel, als maechtige Institutionen
  bereit stehen, die wertvollen Reste des DBI zu uebernehmen:
  Die "Normdateien" wandern an die Deutsche Bibliothek nach
  Frankfurt, die Zeitschriftendatenbank an die Berliner Staats-
  bibliothek. Deren Traegerin, die Stiftung Preussischer Kultur-
  besitz, wird auch eine Service-Agentur unter ihren weiten
  institutionellen Mantel nehmen, die kuenftig mit deutlich weniger
  Mitarbeitern das besser machen soll, was das DBI versaeumt
  hat: Auslandskontakte zu pflegen, neue Technologien zu er-
  schliessen, deutsche Interessen in internationalen Gremien
  einzuspeisen."
[Zitat-Ende]

Wenn eine serioese und hochangesehene Zeitung wie die FAZ
sich so despektierlich, abfaellig, ja geradezu verspottend ueber
das DBI und seine Leistungen aeussert, indem es bewusst
einzelne Satzteile aus dem WR-Gutachten herausgreift und
diese in, man muss schon sagen "boeswilliger Absicht", sinn-
entstellend verdreht und fehlinterpretiert, so muss man sich doch
fragen:

"Wie kann das sein ? Wie kommt es dazu ? Was haben sich
der Autor dieser Zeilen und die Chefredaktion der Zeitung dabei
nur gedacht ??"

Die Antwort faellt relativ leicht: Offensichtlich war und ist man
davon ueberzeugt, dass mit dieser Sicht und Darstellung der Dinge
exakt die Meinung und Stimmung der FAZ-Leser getroffen wird:

Ein mit Steuergeldern finanziertes staatliches Forschungs- und
Dienstleistungsinstitut wurde dank Pruefung durch den Wissen-
schaftsrat als in-effektive und in-effiziente Einrichtung entlarvt und
bekommt nun als Quittung voellig zu Recht, die ganze Haerte der
oeffentlichen Hand zu spueren.

Das es zu einer solchen katastrophalen Fehleinschaetzung in
der Presse, bei den Politikern und in der breiten Oeffentlichkeit
kommen konnte, ist natuerlich auch (wenn nicht sogar im be-
sonderen Maße) ein "Verdienst" der Oeffentlichkeitsarbeit und
Interessenvertretung der Verbaende.

Verantwortung tragen aber auch das Kuratorium als "Aufsichtsrat
des DBI" und der Fachbeirat, der die inhaltliche Arbeit des DBI
mitbestimmte und mitkontrollierte. Bislang hat sich nur der Direktor
zu seiner Verantwortung bekannt und ist zurueckgetreten. Alle
anderen waschen ihre Haende noch wie vor in Unschuld und gehen
ganz selbstverstaendlich davon aus, dass sie bei der Neukonzeption
des An-Institutes bei der Stiftung Preussischer Kulturbesitz wieder in
der ersten Reihe derjenigen sitzen werden, die mitreden, mitfuehren
und mitkontrollieren duerfen.

Leider habe ich wenig Hoffnung, dass sich an diesem Zustand in
naechster Zukunft Entscheidendes aendern wird - jedenfalls sehe
ich keine Signale, die in Richtung Aufarbeitung, Reflexion des eigenen
Redens und Handelns, Ueberdenken der eigenen Strukturen und
ggf. Neuorientierung in den bibliothekarischen Verbaenden weisen.
Im Gegenteil, schon jetzt werden die Stimmen laut, die sagen:

"Pech gehabt, dumm gelaufen, da kann man nichts machen,
 lasst uns das ganze vergessen und nach vorne schauen !!"

Ich werde aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen ziehen
und noch vor der Fusionierung von VdDB und vba meinen
Austritt aus dem VdDB erklaeren. Andere moegen weiter
gegen Windmuehlen kaempfen, ich moechte meine Kraft
zukuenftig lieber fuer lohnenswertere Dinge verwenden als
fuer E-Mails wie diese, die mir immer wieder soviel Zeit und
Muehe kosten, Schmerz bereiten und doch nichts bewirken.

Mit besten Gruessen und Wuenschen fuer die Zukunft

Christoph Albers

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Senatsverwaltung fuer Wissenschaft, Forschung
und Kultur des Landes Berlin (SenWissForschKult)
EHEMALIGES DEUTSCHES BIBLIOTHEKSINSTITUT (EDBI)
CHRISTOPH ALBERS, Kurt-Schumacher-Damm 12-16,
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E-Mail:	albers _at__ dbi-berlin.de


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