[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Dissertationen Online und/oder Printexemplar?



Sehr geehrter Herr Motylewski,

Sie schreiben:
> Ihre Aussage koennte so verstanden werden, dass Problemloesung auf
> wissenschaftlicher Grundlage unvermeidlich zu Ergebnissen fuehre, die
> unbestreitbar seien, so dass eine demokratische Legitimation dieser
> Loesungen nicht mehr notwendig sei, waehrend demokratische Entscheidungen
> zunehmend marginale Bedeutung erlangten.

so ausschließlich würde ich das nicht sehen. Auch Wissenschaft ist per
definitionem
nicht unfehlbar, sonst wäre sie nicht falsifizierbar. Es ist aber sicher
richtig, dass ich
davon ausgehe, dass eine Problemloesung auf wissenschaftlicher Grundlage
fundierter ist, als eine solche ohne diese Grundlage.

Bezüglich ihrer Anmerkung, die sich auf meinen Beitrag in
Password 10/94 S.16-17 (1994)" bezieht:
>
>  > Man kann Wissen nicht durch mehrheitlichen Dilettantismus ersetzen.
>  > Das ist auch nicht der Sinn einer demokratischen Entscheidung, die
>  > lediglich dazu dient festzustellen, welche Interessen mehrheitlich
>  > vorherrschen. Um aber ein Interesse bekunden zu können, fehlt es
>  > uns im ABD-Bereich nicht selten an Kenntnissen darüber, welche
>  > Möglichkeiten und Gefahren die Digitale Bibliothek und ihre
>  > Informationslogistik mit sich bringt.
>
> Ihren Worten entnehme ich, dass Interesse nur auf der Basis von Wissen
> bekundet werden kann, das nur vom Gegenpol des Dilettantismus, naemlich
der
> Wissenschaft zu erwarten ist. En passant verknuepften Sie die
> (demokratische) Mehrheit mit dem Dilettantismus, so dass die demokratische
> Legitimation eines wissenschaftlich begruendeten Interesses zur absurden
> Vorstellung wird.
>
liegen sicher zwei Missverständnise vor.
1. ist es doch sicher so, dass es Sinn einer demokratischen Entscheidung
ist, festzustellen
welche Interessen mehrheitlich vorherrschen. Insofern können Interessen
nicht "nur auf der
Basis von Wissen bekundet werden". Sie können z.B. auch aus einer Stimmung
heraus kommen.
2. war es schon das Problem der griechischen Philosophen, dass sie in der
Demokratie das
Problem des unzureichenden Sachverstandes sahen. Dies gilt natürlich nur für
Bereiche in denen
Sachkenntnisse erfoderlich sind. Es gilt nicht für persönliche Wünsche oder
persönliche Weltanschauungen.

> Klingt wie das Plaedoyer fuer eine "benevolent dictatorship" der
> Wissenschaft, auf die ich jedoch angesichts der unbestreitbaren
> "Loesungen", an denen Wissenschaftler in der Geschichte schon mitgewirkt
> haben, gern verzichte.

Ihr Unbehagen, sich auf Wissenschaft zu verlassen teilen Sie sicher mit
vielen Menschen. Ich kann es
natürlich auch gut nachvollziehen, da ich die Fälle, in der sich
Wissenschaftler (und noch mehr
Pseudowissenschaftler) geirrt haben, auch kenne. Sie sollten bei dieser
Betrachtung aber nicht
vernachlässigen welche Fehler durch Mehrheiten oder auch durch unterlassene
Entscheidungen
schon gemacht worden sind.

Sie schließen mit der Feststellung:
> Mit Ihrer pauschalen Formulierung
>
> (weil das Bibliothekswesen in Deutschland zu wenig von der
> Wissenschaft und zu stark von Demokratie bestimmt ist)
>
> trafen Sie nicht nur das wissenschaftliche Bibliothekswesen, sondern
ebenso
> die oeffentlichen Bibliotheken, von denen ich in den letzten Jahrzehnten
> allerdings nur gelegentlich den Eindruck hatte, dass sie sich auch als Ort
> demokratischer Auseinandersetzung und kontroverser Meinungsbildung zu
> Gegenwarts- und Zukunftsfragen der Gesellschaft verstehen. Es wuerde
> allerdings zu weit fuehren, an dieser Stelle darueber zu streiten, ob das
> deutsche Bibliothekswesen eher zu schwach als zu stark von Demokratie
> bestimmt ist.

Abgesehen davon, dass ich den Eindruck habe, dass sie meine Formulierung zu
pauschal betrachten, ich selbst sehe sie differenzierter, liegt auch in
Ihrer letzten
Feststellung eine Differenz zu meiner Aussage. Ich habe mit der
Feststellung,
dass das Bibliothekswesen in Deutschland zu stark von Demokratie bestimmt
ist,
nicht die demokratische Auseinandersetzung und kontroverse Meinungsbildung
zu
allgemeinen Gegenwarts- und Zukunftsfragen der Gesellschaft gemeint. Ich
hatte
mich speziell auf die Entscheidungsträger im Bibliothekswesen bezogen, das
was
Stolzenburg vor Jahren einmal den Inneren Kreis nannte.

Dieser Personenkreis kann sich nur sehr begrenzt auf wissenschaftlich
fundierte
Entscheidungsgrundlagen stützen, die er auf den Bibliothekartagen zu
erläutern
versucht. Meist ist er aber einer Vielzahl von widersprüchlichen Meinungen
und
Interessen ausgesetzt, unter denen er mehrheiten suchen muss. Mein Beispiel,
auf dass ich mich bezog, waren speziell die Dissertationen. Speichern wir
auf
Papier oder auf digitalen Medien? Auf Festplatten, Magnetbändern, CD-ROM,
DVD, etc.? Lassen wir beliebige Formate zu, oder nur PDF, PS, Tex, SGML,
HTML, XML, Winword, WorPerfect ...? Zur Zeit kann jede Universität frei
entscheiden. Nun ist nur noch die Frage ob das Chaos, die Mehrheit, oder die
Vernunft siegt. Wir stimmen sicher darin überein, dass es am erfreulichsten
wäre,
wenn sich die Mehrheit für die Vernunft entscheiden würde. Es geht immerhin
um
die Archivierung wissenschaftlicher Leistungen in Milliardenhöhe.

MfG

Umstätter




Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.