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Re: Dissertationen Online und/oder Printexemplar?



Lieber Herr Umstaetter,
als ehemaligem theoretischem Physiker gefaellt mir natuerlich Ihre
Ueberzeugung:
> Ich bin aber trotzdem sicher, dass sich
> unsere Erkenntnis, dass unter bibliothekswissenschaftlicher Sicht z.Z. nur
> eine Archivierung in SGML akzeptabel ist, durchsetzen wird. Das ist das
> schöne an wirklichen Theorien, im Gegensatz zu Hypothesen, am Schluss
> erweisen sie sich als richtig. insofern kann man diese Entwicklung mit
> Gelassenheit betrachten.

Nur: sowohl im Bibliotheksbereich als auch in der EDV allgemein
richtet sich die Entwicklung nicht immer nach dem theoretisch
besseren :-(

Beispiele aus meiner Sicht:
PL1 war in den 70er Jahren die Programmiersprache der Zukunft,
   da sie die Vorteile von FORTRAN und COBOL kombinierte.

DOS/WINDOWS/UNIX haben sich als Betriebssysteme nicht deshalb durch-
   gesetzt, weil sie besser waren. Da waren andere haushoch ueber-
   legen.

X.25 wurde lange Zeit als Kommunikations-Standard EG-weit vorgeschrieben.
   Theoretisch durchaus TCP/IP ueberlegen. Seine Rolle heute?

Im bibliothekarischen Bereich:

Hierarchische Datenstrukturen sind bei mehrbaendigen Werken das
  einzig akzeptable: durchgesetzt haben sich weltweit flache
  Strukturen, ausser in Deutschland.

Ansetzung von Koerperschaften in der Originalsprache
  Die einzige Moeglichkeit fuer internationalen Datenaustausch;
  diese Ansetzungsform wurde auch ueber internationale Gremien so
  festgelegt. Auch hier duerfte Deutschland eine Insel sein, soweit ich
  das beurteilen kann.

Im praktischen Leben setzt sich halt nicht immer das (theoretisch)
bessere durch ;-)

Die Bibliotheken sind ja Initiativen fuer die bessere Erschliessung
nicht abgeneigt: viele erfassen Metadaten nach dem Dublin Core
Schema, ohne unbedingt ueberzeugt zu sein, dass sich dieses auf
Dauer durchsetzten wird. Aber der Aufwand bei den Einzelbibliotheken
ist ueberschaubar. Mit Cut and Paste kann man die DC.Keywords auch
als normale Keywords in den Headern eintragen und damit allen
Suchmaschinen zur Auswertung anbieten. Sicher ist sicher.

Bei XML ist der Aufwand erheblich hoeher, das Know How war bisher
in den Bibliotheken nicht vorhanden. Ein Pilotprojekt wie an der
Humboldt-Universitaet sollte ja ergebnisoffen sein,
dh evtl. auch zum Ergebnis kommen koennen, dass die Strukturen 
zwar gut sind, aber in der Praxis (noch) nicht verwendbar.

Zum anderen sollte von dort Vorgaben fuer eine einheitliche Anwendung
kommen und nicht jeder das Rad neu erfinden. Insofern sollte der
XML-Workshop im Januar in Goettingen nicht der letzte gewesen sein,
sondern der Start zur Popularisierung von XML in Bibliotheken.

Die Masse der online verfuegbaren Dokumente stammt nun nicht von
Bibliotheken, sondern entweder direkt von Wissenschaftlern auf
Preprint-Servern, meist in PostScript, oder indirekt von Ihnen ueber die
Verlage  im PDF-Format. Gegenueber diesen vermutlich ueber 100.000
Dokumenten ist die Anzahl der von Bibliotheken / Universitaeten
angebotenen Dokumente doch sehr bescheiden.

Zur Ursprungsfrage von Frau Hotzel:
Wir archivieren (bisher) in den Formaten PostScript oder PDF (bei
Dissertationen) und verlangen Uebereinstimmung mit den
Druck-Exemplaren. Vorteil: keine Zitier-Probleme und hoehere
Akzeptanz in den Fachbereichen. Bei anderen Publikationen akzeptieren
wir auch HTML. (XML war bisher von der Angebots-Seite her kein Thema).


In den neuen Promotionsordnungen werden 4 Print-Exemplare verlangt:
2 lokal (1 fuer die Ausleihe, ein Archivexemplar), 2 fuer die DDB.
Persoenlich faende ich ein weiteres Exemplar gut, so dass sowohl
in der Zentralbibliothek als auch dezentral ein Exemplar vorliegt.
Zuweilen verlangen die Fachbereiche noch eine variierende Zahl
fuer sich selbst. 

Grund fuer die Print-Exemplare: Schlimmstenfalls, wenn die
Online-Dokumente praktisch nicht mehr verfuegbar sind, weil es keine
Reader mehr gibt, ist man immerhin in der Situation wie in den 20er oder
nach 1945, als es keine Druckpflicht gab. Ausserdem: Die Skepsis
gegenueber Online-Publikationen in den Fachbereichen ist nicht zu
vernachlaessigen. 
Und machen wir uns nichts vor: die Publikationen werden zwar online
zur Verfuegung gestellt, aber um sie zu nutzen, werden sie natuerlich
ausgedruckt, aber eben vor Ort, "just in time".

Viele Gruesse
Lothar Kalok

Giessener Elektronische Bibliothek:
http://www.uni-giessen.de/ub/geb/geb_info.htm

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