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Re: Zwei Artikel in der WOCHE



Luise von Loew wrote:

> Zum selben Thema aeussert sich auch wiederholt Dieter E. Zimmer in der
> Wochenzeitung DIE ZEIT.

So interessant die Ausführungen von Herrn Zimmer sind, sie sollten mit der
notwendigen
Vorsicht betrachtet werden:
Er beginnt (in http://www2.zeit.de/zeit/tag/digbib/digbib1.html) mit dem
Zitat "Bonn baut globale digitale Bibliothek" und setzt dem entgegen:
"Ja, keine einzige der bestehenden Bibliotheken wird sich je in den Zustand
völliger Virtualität auflösen".
Hier wird Digitale Bibliothek mit Virtueller "Weltbibliothek" gleichgesetzt,
was zum entsprechenden Ergebnis führt.

Sein Beispiel: "Eine kleinere deutsche Universitätsbibliothek hat etwa eine
Million Bücher und für Neuanschaffungen einen jährlichen
Etat von drei Millionen Mark, ..." führt ihn dazu, dass diese Bibliothek,
wenn sie ihren
Bestand digitalisieren ließe "in 833 Jahren als Digitale
Universitätsbibliothek neu eröffnet" werden könnte. Das unterstellt, dass
alle Bibliotheken dieser Welt ihre Bestände selbst digitalisieren lassen
würden. Bei nur 1.000 gleichgroßen Bibliotheken, die sich (wie das bereits
im Ansatz geschieht) bei ihrer Digitalisierung absprechen, würde es weniger
als ein Jahr dauern.

Dass die amerikanischen Bibliotheken bei OCLC nur "bis zu 80 Prozent ihrer
Bestände" bereits katalogisiert finden, dürfte eine nicht ganz unwichtige
Untertreibung sein. Ich habe auch schon von Werten, die bei 97% lagen,
gehört. Das ist eine Frage wie rasch in einer Bibliothek katalogisiert wird.

Der wohl beste Satz - und der ist wirlich gut - ist: "Die meisten (Bücher)
stehen da, nicht um gelesen zu werden, sondern um gelesen werden zu können".
Um es noch deutlicher zu sagen: Wir gehen nicht in eine Bibliothek um uns
den Kauf eines Buches zu spraen, das wir ohnehin kaufen müssen, sondern um
durchzusehen, was wir alles nicht zu lesen und noch weniger zu kaufen
brauchen. Darin liegt der größte ökonomische Gewinn einer Bibliothek für
ihre Benutzer.

Die Feststellung: "Während der letzten hundert Jahre hat sich die Zahl der
wissenschaftlichen Veröffentlichungen etwa alle sechzehn Jahre verdoppelt,"
ist nicht unrichtig, auch wenn es eigentlich schon die letzten dreihundert
Jahre so war, und die Verdopplungsrate bei genauerem Hinsehen eher bei 20
Jahren liegt.

Und dann kommt ein Fehler, der sehr weit verbreitet ist (auch bei den
politischen Entscheidungsträgern): "Nicht, daß die Menschheit alle sechzehn
Jahre doppelt so klug und weise würde. Das meiste dieses Faktenwissens in
den Naturwissenschaften, die den Löwenanteil beisteuern, ist durchaus
vorläufiger Art und nach drei bis fünf Jahren nicht widerlegt, aber
überholt, aufgegangen in neuerem, genauerem Wissen."
Hier wird die Zahl der Publikationen nicht nur stillschweigend mit der Menge
der darin enthaltenen Informationen gleichgesetzt, sondern gleich mit
Wissen. Der große Vorteil von Wissen (und dies gilt auch für
Geisteswissenschaftler) ist aber, dass es uns erlaubt, eine Vielzahl von
Informationen zu Komprimieren. Damit kann das erworbene Wissen nicht so
schnell wachsen, wie die Menge an Informationen bzw. Publikationen.
Ansonsten sollte man die Verdopplungsrate der Literatur auch nicht mit der
Halbwertszeit (die nur 5 Jahre beträgt) verwechseln.

Genau hier liegt aber die Chance der Digitalen Bibliothek, die natürlich
(und darin hat Dieter E. Zimmer recht) nicht alle 100 Mio. bisher gedruckter
Buchtitel in dieser Welt digitalisieren muss. In der Digitalen Bibliothek
müssen Bücher und Zeitschriftenaufsätze nicht mehr immer neu geschrieben
werden, man kann sie auch nur ergänzen bzw. berichtigen.

Wissenschaftlichen Bibliotheken haben die Aufgabe dazu beizutragen, dass
Wissenschaft nicht zu teuer wird. Sie helfen überflüssige Doppelarbeit zu
verhindern, Probleme leichter zu lösen und zu erkennen, welche
Problemlösungen noch nicht publiziert worden sind. Copyrightverletzungen
können nur verhindert werden, wenn man weiß was andere schon publiziert
haben. Das wird in Zukunft nur auf der Basis der Digitalen Bibliothek
überprüfbar sein.

Zu dieser dringend notwendigen Rationalisierungsmaßnahme der Wissenschaft
trägt die Digitale Bibliliothek bei. Das scheint man in den USA sehr viel
klarer erkannt zu haben als in Deutschland, weil man sich dort schon vor
Jahren die Frage gestellt hat, was würde geschehen, wenn man die
Bibliotheken abschaffen würde. Das Ergebnis war bekanntlich nicht die
Abschaffung von Bibliotheken.

Und nun noch ein Beispiel zum Schluss. Dieter E. Zimmer schreibt: "Wer bei
der Suche in einem elektronischen Schlagwortkatalog oder im ganzen Web je
17.873 Treffer gelandet hat, ..." hat falsch gesucht, muss ich ergänzen.
Darum ist dies auch Gegenstand eines bibliothekarischen bzw.
dokumentarischen Studiums. Man kann es auch im Selbststudium erlernen, es
ist aber abwegig, beispielsweise eine Wort wie Psychologie im Internet
einzugeben, und sich zu wundern, wenn eine halbe Million Treffer kommen.
Kein Mensch wird glauben, er könne alles über Psychologie lesen - hier
empfiehlt sich mindestens eine logische UND-Verknüpfung  ;-).

Das zum Thema Journalismus und Digitale Bibliothek.

MfG

Umstätter

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tel;fax:030 2093 4335
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fn:Prof. Dr. Walther Umstätter 
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