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Re: Digitales Wasserzeichen fuer Texte + Rolle der Bibliotheken



Sehr geehrter Dr. Graf, 

Sie schrieben:
>ein solches wasserzeichen erscheint mir hoechst ueberfluessig und nur
>dazu geeignet, die veralteten grundsaetze des derzeit gueltigen
>urheberrechts, das in der informationsgesellschaft nicht mehr
>zeitgemaess ist, zu perpetuieren. 

Wer mich (in Oesterreich) kennt, weiss dass ich ein offenes Ohr fuer die
Bibliotheken habe. Nur darf man die Fakten (primaerer Informationsmarkt:
Autoren, Verlage, Rechteinhaber; Sekundaerer bzw. derivativer
Informationsmarkt: Bibliotheken, Archive etc.) nicht auf den Kopf stellen.
Sekundaer ist nicht negatig gemeint, sondern betrifft nur die zeitliche
Abfolge des Wertschoepfungsprozesses.

Einige Ergaenzungen meinerseits:
1. Die ueberragende und unbestrittene Leistung der EU/EG/EWG war die
Tatsache, dass Sie Europa einen gemeinsamen Rechtsrahmen gegeben hat
(primaere Intention der EU als Rechtsgemeinschaft). 

2. Das liebe Internet hat vielleicht die Kosten und Moeglichkeiten der
Publikation, Distribution und des Marketing erleichtert bzw. verbilligt,
aber nichts an den Rechtsgrundsaetzen geaendert. In allen Rechtsmaterien
(Datenschutz, Urheberrecht, Medienrecht, Wettbewerbsrecht, Vergaberecht
etc.) blieben die Prinzipien und Eckpfeiler aufrecht. Nur kleine
Adaptierungen hinsichtlich elektronischer Produkte wurden gemacht.

3. Ein Grossteil der bestehenden Rechtsvorschriften kann schon heutzutage
(und wird auch von den Gerichten) problemlos mittels Analogie auf das
Internet angewandt werden. Der Rest wird durch die aktuelle europaeische
Rechtssetzung (E-Commerce Richtlinie, Fernabsatzrichtlinie etc.) geregelt. 

4. Es gibt keine ernstzunehmenden Wissenschaftler in Europa, die fuer eine
gaenzliche Abschaffung des Urheberrechts plaedieren. Klar ist, dass sich
verschiedenste Umsetzungsmassnahmen und Hilfsinstrumente (z.B. indirekte
Verguetung via Verwertungsgesellschaften) den neuen technischen
Moeglichkeiten anpassen werden. z.B. der Trend in Richtung direkter Verguetung 

5. Wenn die Bibliotheken wirklich das Urheberrecht abdrehen moechten,
wuensche ich Ihnen das allerbeste, denn die Bibliotheken werden die ersten
sein, die vom zusammenbrechenden primaeren Informationsmarkt betroffen sein
werden. WOLLEN SIE DIE AUTOREN, Künstler, Musiker etc. wirklich fuer dumm
verkaufen?
Glauben Sie wirklich, die produzieren nur und ausschliesslich fuer die
Bibliotheken, damit denen nicht fad wird und Arbeitsplaetze
aufrechtgehalten werden? 

Wie man es NICHT macht, haben ja einige dt. Bibliotheken (cf. Subito)
hervorragend demonstriert. Wenn man sich nicht vorher mit den
Rechteinhabern und Verlagen bespricht, braucht man sich ueber rechtliche
Massnahmen nicht wundern. Da gibt es gluecklicherweise in Oesterreich schon
mehr Verstaendnis und Gespraechskultur.

6. Bibliotheken hatten und haben immer eine komplementaere Rolle, die den
jeweiligen Rahmenbedingungen anzupassen ist mit Priorisierung des primaeren
Informationsmarktes. Dies ist unbestritten. Doch jedes Derivat sollte sich
des zugrundeliegenden Stammtitels (z.B. Aktie) bewusst sein. Sie verzeihen
den fachfremden Vergleich aus der Finanzwelt; doch er ist mehr als
anschaulich. Derivate waren urspruenglich ein sehr nuetzliches Instrument
der Finanzwirtschaft (diente zur Risikominimierung der volatilen Aktie).
Problematisch wurde es erst dann, als man die Derivate gaenzlich vom
Stammtitel entkoppelte und diese sich zu Risikomultiplikatoren entwickelten. 

7. Dass Bibliotheken grosse (finanzielle) Probleme bei der
Langzeitarchivierung und Restaurierung haben, die den ueblichen
Budgetrahmen sprengen, ist auch mir bekannt, und ich habe bereits bei den
oeffentlichen Stellen angeregt, dies besser zu dotieren. Nur wird man bei
urheberechtlich geschuetzten Titeln a la longue nicht von einer zeitlich
abgestuften Entkoppelung von Archivierung und gradueller
Bibliotheksbenutzung herumkommen. 


Mit freundlichen Gruessen, 


Gerhard K. Wagner


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Gerhard K.Wagner, Verbandssekretaer
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