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Monumenta Historiae Catalogorum (laenglich)



Monumenta Historiae Catalogorum - Was wird aus Online-Katalogen?
Mit bes. Beruecksichtigung des ehem. VK

"Warum und zu welchem Ende" man Bibliotheksgeschichte studieren
sollte, das muss man in diesem Kreise nicht eroertern.
Wenn Fachgeschichte mehr sein will als Institutionen- und
Personengeschichte, dann wird sie auch die Mittel und
Methoden in den Blick nehmen, die den bibliothekarischen
Alltag bestimmen und das Denken und Handeln praegen. Also auch 
und besonders die Kataloge. Grosse Kataloge sind das Werk von 
Scharen und Generationen von hauptamtlichen Fachkraeften, sie 
sind intellektuelle Mega-Erzeugnisse mit recht besonderen 
Qualitaeten. Die Beachtung, die sie als solche erfahren, steht 
dazu in umgekehrtem Verhaeltnis.

Alte Bandkataloge stehen, auch wenn sie konvertiert wurden,
als Zeugen alter Zeiten repraesentativ in Katalogsaelen.
Auch Zettelkataloge hat man vereinzelt schon als Monumente einer
vergangenen Epoche gewuerdigt oder ihr spurloses Verschwinden
beklagt. (Am 4.4.1994 stand ein denkwuerdiger Essay mit dem
genialen Titel "Discards" in der Zeitschrift New Yorker,
geschrieben vom Nichtbibliothekar(!) und Schriftsteller Nicholson
Baker, der gegen das achtlose oder gar freudenfeurige Vernichten 
der Zettelkataloge bittere Vorwuerfe erhob.) Mit dem Digitalisieren
grosser Zettelkataloge ergibt sich nebenbei auch deren Konservierung,
jedenfalls und immerhin inhaltlich. So etwas gibt es in den USA kaum.
(Hinzuweisen ist auch auf die Ausstellung "Der Zettelaktalog, ein 
historisches System geistiger Ordnung", die 1999 in Wien am Museum fuer 
Angewandte Kunst stattfand. Katalog dazu: ISBN 3-211-83273-4, 
Rezension:
http://www.b-i-t-online.de/archiv/2000-01/rezen3.htm )

Was aber wird aus Online-Katalogen? Wie oft wird nicht von einem
System, das lange den Alltag begleitete, auf ein anderes
uebergegangen - und dann ist das alte unwiederbringlich
verschwunden, binnen kurzem weiss kaum mehr jemand viel darueber
zu sagen.
Nun steht es selten oder nie zur Diskussion, einen "alten" OPAC
so zu konservieren, dass man ihn bei Interesse spaeter wieder
hervorholen und benutzen kann - wer das vorschluege, wuerde
belaechelt, und es waere auch im Normalfall schlicht zu teuer.
Vorschlaege in der Richtung hat es dennoch vor einigen Jahren
gegeben (von W. Umstaetter und J. Palme), verbunden mit der 
Forderung, dabei XML zur Strukturierung der Daten einzusetzen,
damit spaetere Generationen damit noch was anfangen koennen, 
wenn MAB laengst vergessen ist. Aus der Sicht des Kataloghistorikers 
ist es anders. Denn MAB ist ein wichtiges Kapitel der ganzen 
Geschichte, ohne das manches Detail der Daten wie der Denkweise nicht 
verstaendlich waere. 

Zwar sind es die Oberflaechen, die das Denken und Verhalten
praegen ("The medium *is* the message" gilt auch hier: die
Oberflaeche *ist* der Katalog, aus Nutzersicht). In Wahrheit ist es 
aber der Gehalt, sind es die Daten mit ihrer Aussage und in ihrer
Struktur, die dem Katalog seine Moeglichkeiten verleihen und seine
Grenzen setzen. Und bei einem Systemwechsel wird dieser Gehalt nicht
automatisch besser! Potentielles Studienobjekt des Kataloghistorikers
waere also gerade die Substanz der Daten - darin spiegelt sich die
Anwendungspraxis der Regelwerke und Formate. Wenn man ein
Regelwerk oder eine Formatdokumentation liest, weiss man in der
Tat noch lange nicht, wie die angeblich darauf beruhenden Daten
wirklich aussehen. Es ist leider normal, dass Normen so oder anders
"angewendet" werden, weil ein konkretes Softwaresystem dann und
nur dann die gewuenschten Resultate an der Oberflaeche liefert.
Wechselt man die Software, koennen alte Praktiken ploetzlich
obsolet sein. Im Nachhinein koennen die Dinge undurchschaubar
werden. Warum es gewisse Unterschiede zwischen den Verbuenden
A und B gibt, das wird irgendwann zum Raetsel. 
Lueckenlose Dokumentation der Anwendungspraktiken in allen Systemen,
das ist jedoch voellig illusorisch. Handbuecher kann man archivieren,
die Daten aber sind im Normalfall eine Weile nach einem Umstieg nicht
mehr in ihrer frueheren Gestalt rekonstruierbar. 
Was man tun kann, ist wohl nicht mehr als das Konservieren einiger
exemplarischer Kataloge. Das geschieht bisher, mehr nebenbei, nur
dadurch, dass CD-Kopien von Katalogen hergestellt werden.

*Ein* erhaltenswertes Objekt ragt allerdings als wahres Monument
aus der breiten Masse weit heraus: der ehemalige VK des ehemaligen 
DBI. Nur der tatkraeftigen Initiative einiger weniger ist es zu 
danken, dass wenigstens der Datenbestand des Retro-VK (also blanke
Titelaufnahmen ohne Besitznachweise) gerettet werden konnte. Die 
Software, mit der man ihn benutzte, ist weg. Die jetzt noch 
nutzbare Version arbeitet mit "allegro". Die Daten koennen auf
5 CDs beim Berliner Gesamtkatalog bestellt und dann lokal
installiert werden. Die Daten sind im MAB-Format und wohl schon
deshalb als studierenswertes Dokument zu betrachten.

Wir haben, um einen Einblick zu ermoeglichen, den Katalog
fuer die Online-Nutzung aufbereitet und dazu auch das Supplement
in den Hauptteil eingemischt. Zusammen sind das gut 15.Mio. Saetze.
Die Adresse wird in den naechsten Tagen bekanntgegeben, wenn
einige Dinge noch verbessert sind. Hier ist vorerst nur die
Startseite:
  http://subito.biblio.etc.tu-bs.de/vk/
Wichtig sind die Register: in diesen sieht man unmittelbar vieles,
was sonst nur muehsam zu ueberblicken und zu analysieren waere: 
Differenzen und Details der gesamten Ansetzungspraxis entfalten sich
hier vor dem Auge des staunenden Betrachters.

Auf Dauer werden wir dieses Angebot nicht vorhalten koennen, es
dient nur erst einmal als Anschauungsobjekt. (Nutzung als Retro-Quelle
bleibt machbar, aber schneller waere dafuer eine lokale Installation.)
Die Datenbestaender der Verbuende gehen aber inzwischen inhaltlich, 
abfragetechnisch und hinsichtlich der Bestellfunktion z.T. weit ueber den VK 
hinaus!

Die Datensubstanz des VK ist damit aber vorerst erhalten und sogar
nach vielen Aspekten leicht studierbar. 
Ein Aspekt verdient dabei gewisse Beachtung: der 
Datenbestand endet kurz vor der Rechtschreibreform. Man findet
noch wenige Brennnesseln drin und kaum Rhein-, See-, Binnen- oder
Handelsschifffahrt.
Falls es zu einem Regelwerkswechsel oder einer -reform kommt, 
gewinnt dieser Katalog eine weitere historische Dimension...



MfG  B.E.


Bernhard Eversberg
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