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AW: Zeit fuer Elite-Bbliotheken? (Sparen!)



SZ 13.1.2004:
Wissen und Sparen

Bücher erst ab 18 Uhr

Aus dem Alltag der Elite: Am gestrigen Montag um 13:09 Uhr erreichte uns der
Newsletter der Staatsbibliothek zu Berlin, in dem wir Benutzer eindringlich
gebeten werden, den Lesesaal der ehemals Preußischen Staatsbibliothek, einer
der bedeutendsten Büchersammlungen der Welt, weniger zu frequentieren. "Die
720 Arbeitsplätze dieses Lesesaals sind bereits zur Mittagszeit restlos
belegt, an Samstagen schon um 10 Uhr." Von der Belegungsquote von 700 an
werden nur noch Dauerkartenbenutzer eingelassen, wer länger als eine halbe
Stunde von seinem Arbeitsplatz fernbleibt (etwa, um eine entfernt aufgestellte
Enzyklopädie zu konsultieren), hat diesen zu räumen. "Die Generaldirektorin,
Barbara Schneider-Kempf, appelliert vor diesem Hintergrund an die Benutzer des
Hauses Potsdamer Straße der Staatsbibliothek, sich so weit wie möglich auf
diese Situation einzustellen." Man solle, wenn möglich, "auf die Zeiten mit
geringerer Auslastung von Montag bis Freitag ab 18 Uhr" ausweichen. Zwar freut
sich die Staatsbibliothek über den großen Zuspruch, und die aus
Sicherheitsgründen gebotene Abweisung von Benutzern "steht völlig konträr zu
unserem Anspruch der umfassenden Literaturversorgung und
Informationsvermittlung". Doch ist dieser große Erfolg der Staatsbibliothek im
freien Wettbewerb der öffentlichen Berliner Literaturanbieter nicht nur selbst
erarbeitet: Er beruht nicht unwesentlich auf den Etatkürzungen in den
Bibliotheken der Universitäten und des Landes Berlin, die von der dortigen
politischen Elite - mehrheitlich sozialdemokratisch - zur Sanierung des
Haushalts verfügt wurde. So befindet sich das Land Berlin erstmals seit 1945
wieder in der Situation, den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur
rationieren zu müssen. In den Minuten, während diese bewusst tendenziöse
Meldung verfasst wurde, flossen wieder mehrere hunderttausend Euro in die
Subventionierung des deutschen Steinkohleabbaus.


g.s.


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Bernhard Eversberg [mailto:ev _at__ buch.biblio.etc.tu-bs.de]
Gesendet: Montag, 12. Januar 2004 15:38
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: Zeit fuer Elite-Bbliotheken?


On 12 Jan 04, at 12:48, W. Umstaetter wrote:

> Darum hatte Harnack recht,
> als er die Bibliothekswissenschaft als eine Nationalökonomie des Geistes
> und als eigene Geistes-wirtschaft bezeichnete.

So einsichtsvoll und treffend diese Bezeichnung ist, wir sollten eine neue
finden, denn sie passt nicht recht in den heutigen Sprachgebrauch.
"Wissens-Wirtschaft" wuerde wohl besser ankommen, finde ich persoenlich aber
auch
nicht so ganz ideal. Denn wir handeln nicht wirklich mit Wissen (oder Geist!).
Was wir auffindbar machen, vorhalten und über die Theke schieben, sind
*Aufzeichnungen* von Erkenntnissen und Eingebungen, nicht das Wissen selbst.
Das
bildet sich erst neu im Kopf des Lesers, wenn der kapiert, was er liest, es
ist
aber dann wohl nie 100% identisch mit dem, was der Autor sich gedacht hat,
weil
das Vorwissen (die "Bildung") immer individuell anders ist. Der freie und
leichte
Zugang zu Aufzeichnungen aller Art ist es, was der Leser braucht und
Bibliotheken
ermoeglichen muessen. Die Sacherschliessung allerdings, die befasst sich schon
recht eng mit dem Wissen, das in den Aufzeichnungen steckt. Aber das ist
Theorie, so genau wird das nicht jeder bedenken wollen in dieser
unserer Zeit.

B.E.


Bernhard Eversberg
Universitaetsbibliothek, Postf. 3329,
D-38023 Braunschweig, Germany
Tel.  +49 531 391-5026 , -5011 , FAX  -5836
e-mail  B.Eversberg _at__ tu-bs.de


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