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Re: (Fwd) R-Reform: Verschlimmbesserung



Ulrike Müller-Kaspar schrieb am 08.05.2004 um 09:24 Uhr:

> So ein Unsinn.

und meinte damit die folgende Einschätzung von B. Eversberg:

> Das Chaos, die nunmehr vorherrschende neue Beliebigkeit und
> Wurschtigkeit, wird also nicht zurueckgedraengt, sondern noch
> vergroessert werden. Die Schleusentore zur voelligen Gleichgültigkeit
> oeffnen sich immer weiter...

Sie begründet dieses Verdikt mit der rhetorischen Frage:

> Wie viele Wörter verwenden Sie denn von denen,
> die mehrfach möglich sind, als eindeutig zu schreibende Suchbegriffe?

Warum, Frau Müller-Kaspar, kanzeln Sie eine Aussage in dieser harschen Form
("So ein Unsinn") ab, wenn Sie garnicht Ihrem Kern widersprechen, sondern nur
unterstellen, daß sich die Folgen besagter Beliebigkeit mengenmäßig kaum
bemerkbar machen?

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S. Wolf hebt ebenfalls ab auf die geringe Zahl von Wörtern, deren
Schreibweisen-Änderung zu Problemen bei der Datenbank-Recherche führen kann,
und schließt weitere Gedanken an:

> ... Rechtschreibfehler in Dokumenten, verschiedene Schreibweisen,
> insbesondere in alten Dokumenten (es ist ja nun weiß Gott nicht die
> erste Rechtschreibreform seit 1000 Jahren, oder?) etc. etc. ein viel
> größeres Ärgernis sind und zu einer viel größeren Reduktion der
> "precision" führen, als die paar Wörter, die durch die
> Rechtschreibreform verändert wurden?

Ich würde sagen, daß die jetzige die 2. Rechtschreibreform in 1000 Jahren ist,
und daß die erste 1901 (Staatliche Orthographiekonferenz in Berlin) stattfand.
Jene wie auch Dudens Wörterbuch von 1880 waren auf _Vereinheitlichung_ aus,
wärend die jetzige Reform und ihre
Novellierungen eher auf _Flexibilisierung_ (um nicht zu sagen: Beliebigkeit)
aus sind, wie u.a. aus dem Interview mit der rheinland-pfälzischen Ministerin
Ahnen hervorgeht:

> BILD: Frau Ministerin, im Juni soll eine Reform der Rechtschreibreform
> beschlossen werden. Schreiben wir bald wieder wie früher?

> Doris Ahnen: Nein! Wir wollen die Änderungen nicht zurücknehmen.
> Vielmehr sollen weitere Schreibmöglichkeiten erlaubt sein.

Immerhin kann man den Promotoren dieser Rechtschreibreform nicht vorwerfen,
daß sie mit Ihrer Absicht, der Beliebigkeit Tür und Tor zu öffnen, hinter dem
Berge gehalten hätten: Im (auf den 10.12.1994 datierten) Vorwort zu
"Informationen zur neuen deutschen Rechtschreibung" (Mannheim [u.a.]:
Dudenverlag, 1994.- 55 S.- ISBN 3-411-06131-6) schreibt Prof. Dr. Günter
Drosdowski (Leiter der Dudenreadaktion): "... An den Schulen wurde die
Rechtschreibung häufig unkritisch vermittelt, vieles, was der
Vereinheitlichung dienen sollte oder nur als Orientierungshilfe gedacht war,
zur starren Norm erhoben, jede Abweichung von der Norm streng mit dem Rotstift
geahndet und so vielen Menschen für ihr ganzes Leben die Angst vor der Blamage
beim Schreiben eingeflößt. Diese Überbewertung der Rechtschreibung belastete
mehr und mehr den Deutschunterricht ..."

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Hinzu kommt, daß die zumindest in der allgemeinen Einschätzung als mit einer
durchgehenden Beliebigkeit verbundene neue Rechtschreibung zu Blüten führt,
die man sich früher schlecht hätte vorstellen können und die man
gerechterweise auch nicht der neuen Rechtschreibung in die Schuhe schieben
darf: Nehmen wir das neue vierteljährlich erscheinende Magazin der
Süddeutschen Zeitung (sie nennt es "Lifestyle-Magazin"), dem man den Titel
"wohl fühlen" verpaßt hat.

Nach S. Wolf muß

> ... jede vernünftige Suchmaschinen und jeder vernünftige
> Bibliothekskatalog einfach alte und neue Schreibung
> berücksichtigen
...

... also bei Eingabe des Suchwortes "wohlfühlen" auch diesen
Zeitschriftentitel finden. Warten wir 's mal ab (na ja, Google findet bei
Suche nach 'wohlfühlen' das fragliche Magazin immerhin schon an der 4. Stelle
...), obwohl, um es noch einmal zu sagen, selbst nach den neuen
Rechtschreibregeln dieser Titel "wohl fühlen" ein sprachliches Unding
darstellt und nur mit der mit ihr einhergehenden Wurschtigkeit diesen Dingen
gegenüber erklärt werden kann, die offensichtlich selbst die Redaktionen
anspruchsvollerer Periodika befällt.


Mit freundlichen Grüßen:

Heinrich Allers

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* Für eine nachhaltige Wirtschaftsordnung an Stelle der Marktwirtschaft!
* ¡En favor de una economía sostenible en lugar de la economía de mercado!


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