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Re: Nochmals zur R-Reform



Hallo Herr Eversberg,

ein weiteres wichtiges Argument, was immer wieder in die Runde geworfen wird,
ist, daß die R-Reform auch Rücksicht auf die Östereicher und Schweizer nehmen
sollte. Wie stehts denn eigentlich damit ? Zwar haben Sie die Frage bereits
indirekt durch die Konventionen im angelsächsischen beantwortet, allein ist
denn durch die R-Reform tatsächlich das deutschsprachige Schriftbild
länderübergreifend vereinheitlicht ?

Gruß Hoppe

--

.... wo aber Gefahr ist, waechst das Rettende auch...  (Hoelderlin - Patmos)

Dr. Frank Dirk Hoppe
- Abt.-Ltd. Landesbibliothek -
Stadt- und Landesbibliothek Potsdam
Am Kanal 47
14467 Potsdam
Tel.: 0331 / 2896500          http://slb.potsdam.org


 "Bernhard Eversberg" <ev@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx> wrote ..
>
> Die Aktion "Bibliothekare zur R-Reform" ist ja inzwischen abgeschlossen.
> Bei der FAZ wurde der Brief verwertet, bei der Nds. Staatskanzlei ist er
> angekommen und harrt seiner Verwertung.
>
> Allen denen, die ausdruecklich oder stillschweigend zugestimmt haben, hier
> noch
> eine vielleicht noch unvollständige, kommentierte Liste der Argumente,
> mit denen
> noch immer hier und da für die Reform plädiert wird.
>
> Damit soll's denn für's erste gut sein, denn jeder hat offenbar seine
Meinung
> und
> wird sich nun nicht mehr bewegen.
>
> MfG
> B.E.
>
>
-----------------------------------------------------------------------------
----
> Argumente, zusammengestellt nach Lektüre vieler einschlägiger
Publikationen.
>
> "Man muß doch endlich zu einer Versachlichung kommen!"
> Genau das wurde immer wieder den Reformern abverlangt und nicht eingelöst.
> Die
> Kritiker legten Fakten vor, die Kommission nahm sie nicht zur Kenntnis
> oder nahm
> dazu nicht Stellung, ging auf Fragen nicht ein oder behauptete ohne Beweise
> das
> Gegenteil. Wo war da Sachlichkeit? Empirische Erkenntnisse, die den Erfolg
> der
> Reform stützen und die Verbindlichkeit rechtfertigen könnten, fehlen.
>
> "Warum kommen erst jetzt auf einmal die Kritiker aus dem Sommerloch?"
> Das falscheste und unpassendste aller Argumente. Wer es äußert, kann die
> Sache
> nicht verfolgt haben.
> Kritik wurde von Anfang an geübt, auch konstruktive, und nicht nur Kritik:
> Die
> Sache ging bis vor das Bundesverfassungsgericht! Dieses hielt das Verfahren
> für
> rechtens, war aber (zusammen mit den Kultusministern! Urteil vom 14.7.98)
> der
> Meinung, die endgültige Einführung solle nur bei angemessener Akzeptanz
> erfolgen.
> Haben wir die? Genau dazu sagen jetzt die Befürworter rein gar nichts.
>
> "Aber wir haben viel wichtigere Probleme!"
> Sicher, also warum dann nicht eines aus der Welt schaffen, das gar nicht
> hätte
> sein müssen, und einen Schaden begrenzen, der absehbar immer weiter wachsen
> wird?
> "Das ist jetzt nicht mehr möglich!" ist ein Killerargument, es stimmt
einfach
> nicht. (S. den Beitrag von H.H. Munske am 17.7. im Feulleton der FAZ. Auch
> Verleger Klett ist der Meinung, ein Rückbau sei möglich.)
>
> "Dass oder daß - wen schert's?"
> Das ist ein oberflächliches und sachfremdes Augen-zu-und-durch-Argument,
> das sich
> nicht auf das Grundproblem einlassen will: die Reform ist miserabel gemacht
> und
> wurde in unakzeptabler Weise durchgepaukt, deshalb haben wir die geringe
> Akzeptanz und in der Folge die galoppierende Gleichgültigkeit und
Beliebigkeit.
> Dies haben auch die Reformer natürlich nicht gewollt, warum schweigen sie
> dazu?
> Nirgends als bei diesem Thema würde ein solches Vorgehen durchkommen, warum
> also
> hier? Eine Mehrheit, wie man jetzt weiß, akzeptiert es ja eben nicht.
>
> "Das Problem der Suche läßt sich doch technisch lösen, Google hat ja auch
> schon
> eine Rechtschreibkontrolle!"
> Google hat keine Rechtschreibkontrolle, sondern etwas ganz anderes: Geprüft
> wird,
> ob das gesuchte Wort selten oder gar nicht vorkommt, dann wird eine
Alternative
> vorgeschlagen. Tippt man "Brennnessel" ein, wird auf "Brennessel"
hingewiesen,
> denn ersteres kommt sehr viel seltener vor. Umgekehrt wäre es wichtiger,
> aber da
> gibt's keinen Hinweis, z.B. von "bibliographie" zu "bibliografie". Die
> Sache
> greift auch nur bei wirklich hochfrequenten Wörtern, z.B. schon nicht bei
> "nationalbibliografie".
>
> "Das Gute an der Reform ist aber, daß es jetzt mehr Freiheit gibt."
>    1. Das gehört eher zu den größten Nachteilen: man muß MEHR wissen als
> vorher,
> um die Freiheit zu nutzen. Das Ergebnis sind sonst ganz neue Fehler, indem
> Freiheiten herausgenommen werden, wo keine vorgesehen sind.
>    2. Zu den ursprünglichen Zielen der Reform gehört dies nicht, es scheint
> sich
> vielmehr um eine nachträglich erfundene Ausrede zu handeln, die der Reform
> eine
> positive Aura verleihen soll - denn wer hätte was gegen Freiheit?
>    3. Zeitungen und andere müssen interne Festlegungen treffen, weil sie
> sich kein
> inkonsistentes Erscheinungsbild leisten können. Es werden also weitere
> "Hausregeln" entstehen, einige gibt es ja schon. Ist das ein Vorteil?
>    4. Kulturgeschichtlich ist es eine Innovation! Warum hat noch
> keine andere Schriftsprache solche Freiheiten? Das Englische hat sie nicht:
> die
> britische und die amerikanische Variante sind in sich jeweils konsistent
> und
> gegenseitig nicht tolerant - es sind im Grunde zwei Schriftsprachen.
>
> "Wer soll denn noch eine neue Variante ausarbeiten, und wie lange soll
>  das dauern?"
> Die billigste, schnellste und effektivste Lösung ist die völlige Aufgabe
> der
> Reform. Es brauchen dann keine neuen Wörterbücher gedruckt zu werden, denn
> die
> vorhandenen haben ALLE die bewährte Schreibung als gemeinsamen Nenner,
> denn die
> steht ja noch mit drin, sie sind also dann alle weiter benutzbar. Jede
> neue
> Variante macht sie wieder ALLE ungültig. Viele noch nicht veraltete
Schulbücher
> können wieder aktiviert werden. Aber besonders der langfristige Schaden
> wird auf
> diese Weise am besten begrenzt. Anschließend muß beobachtet werden, ob
> sich
> bestimmte Änderungen von selber etablieren, diese sind dann im Konsens
> zu
> sanktionieren, wie es früher der "Duden" gemacht hat und wie es viele
Jahrzehnte
> akzeptiert wurde.
>
> "Man kann eine nochmalige Änderung den Kindern nicht zumuten!"
> Zuerst fand man aber nichts dabei, der gesamten Schriftgemeinschaft an
> aller
> Demokratie vorbei eine Reform zu diktieren. Ist es redlich, jetzt die
Kinder
> als
> Geiseln zu nehmen, um die gescheiterte, von breiter Mehrheit abgelehnte
> Reform
> doch noch zu retten? Kinder lernen schneller als alle anderen. Die
Kultusminister
> sollten sich aber bei ihnen entschuldigen und ihnen was spendieren.
>
> "Aber verbindlich ist die Reform doch nur für Schulen und Behörden!"
> Ist es aber fair gegenüber den Schülern, ihnen eine Schreibung
beizubringen,
> die
> im realen Leben weithin gar nicht verwendet wird? Eine
Zweiklassen-Orthographie
> kann niemand wollen und sie kann nicht funktionieren. Haben die Reformer
> am Anfang
> nicht vorgehabt, möglichst bald eine neue Einheitlichkeit zu erreichen?
> Das ist
> nicht gelungen, und die geringe Akzeptanz läßt nicht auf einen späteren
> Erfolg
> hoffen, sie läßt nur weitere Verwilderung befürchten. Denn jetzt hat's
> jeder
> schriftlich, daß er sich nicht drum kümmern muß, wenn er kein Schüler und
> kein
> Behördenbediensteter ist.
>
> "Die Schüler lernen doch damit problemlos!"
> Gibt es objektive Studien, die das belegen? In den niedrigen Klassen ist
> zudem
> nur ein geringer Teil des Wortschatzes betroffen. Als tragendes Argument
> für die
> Reform wäre dies ohnehin, auch wenn es stimmte, vollkommen unzureichend!
>
> "Rückkehr zur alten Orthographie würde die Verwirrung nur vergrößern"
> Das glatte Gegenteil ist der Fall. Die große Mehrheit würde sich wieder
> besser
> auskennen und sicherer fühlen, 90% der Bücher (oder mehr) wären auf einmal
> wieder
> gültig - jetzt sind sie ungültig und stiften Verwirrung. Das völlige
Einstellen
> der Reform verursacht insgesamt, sofort und auf Dauer, die geringste
Verwirrung.
>
> "Dieses Thema ist hier OFF-Topic"
> Überall da, wo mit Geschriebenem umgegangen und Textdaten verarbeitet
werden,
> ist
> es und bleibt es relevant.
>
>
>
> Bernhard Eversberg
> Universitaetsbibliothek, Postf. 3329,
> D-38023 Braunschweig, Germany
> Tel.  +49 531 391-5026 , -5011 , FAX  -5836
> e-mail  B.Eversberg@xxxxxxxx


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