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Re: Pruefungsarbeiten



Lieber Herr Graf, vielen Dank für die erhellenden Kommentare!

Ich finde es auch unverständlich, wieso die Hochschulen mit ihren
Prüfungsarbeiten so gedankenlos umgehen. In der Praxis geben nicht sachliche
Argumente den Ausschlag, sondern die vorhandenen Kapazitäten. Ist die
Regalfläche knapp, läßt sich die Kassation kaum verhindern. Es ist ja auch zu
einfach: eine Entscheidung und viele viele Meter neuer Regalfläche!
Dabei wird übersehen, daß die Hochschulbibliotheken bzw. -archive für die an
den Hochschulen erstellten Arbeiten gewissermaßen die Stellung einer
Pflichtexemplarbibliothek haben.

Unabhängig von der rechtlichen Einordnung der Prüfungsarbeiten (davon war in
der Liste mehrfach die Rede): Sie stehen inhaltlich und von ihrem Umfang her
Dissertationen des frühen 20. Jahrhunderts nicht nach. Diese Arbeiten werden
aber aufgehoben. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, daß zur damaligen Zeit
die Dissertation die einzige Form der universitären Abschlußarbeit war.
Funktional ersetzt wurde sie erst Ende der 60'er Jahre durch Magisterarbeiten
und in bestimmten Fächern auch durch die Diplomarbeiten.

Geht man davon aus, so darf man sagen: Die Überlieferung der schriftlichen
Abschlußarbeiten geht in der älteren Zeit parallel zur Überlieferung der
Dissertationen. Diese wird gepflegt. Mit dem Ausscheren der Abschlußarbeiten
aus den Dissertationen aber reißt diese Überlieferung ab. Das mag auch daran
liegen, daß es der Hochshculgesetzgeber versäumt hat, für die Abschlußarbeiten
ein den Dissertationen vergleichbares Publikationserfordernis zu normieren.
Daraus ergibt sich zum einen ein Zusständigkeitsgerangel zwischen Bibliothek
und Archiv, zum anderen die Meinung, hier "wertlose" Arbeiten zu haben, die
nur aus Verwaltungsgründen, nicht jedoch für den wissenschaftlichen Diskurs
aufzubewahren sind. (Blöd nur, wenn plötzlich aus solchen Arbeiten zitiert
wurde - das kommt tatsächlich vor! - und man 20 Jahre später das Zitat einmal
verifizieren möchte ....) Das weitere ist ja leider bekannt ...

Ein Blick in die Zukunft: Irgendeine verschlafene Bibliothek wird es versäumt
haben,  ihre Arbeiten zu entsorgen. Nach 50 Jahren entdeckt man den reichen
Fundus, macht ein DGF-Projekt, digialisiert alles und fühlt sich als Leutturm
der Wissenschaft. Aber so war es in der Bibliotheksgeschichte häufig:
Irgendwann kommt die Stunde des "Dornröschens". Die Ironie dabei: Das klappt
nur, wenn möglichst viele Bibliotheken den gleichen dummen Fehler begehen.
;-)

Schöne Grüße aus Thüringen
Eric Steinhauer
www.steinhauer-home.de


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.