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Digitalisierte Pflichtstücke und Empirie der Umsatzentwicklung -- war Re: [InetBib] Urheberrecht und Stellungnahme des Börsenvereins



Lieber Herr Sprang,

vielen Dank für die ausführliche Antwort. Dass wir uns nicht missverstehen: Ich glaube schon, dass Schrankenregelungen nach §52b erhalten bleiben sollten. Aber dass diese gerade die Form annehmen sollten, die jetzt im Entwurf steht, glaube ich nicht.

Das von Ihnen präzisierte Horrorszenario war ja doch ein bemerkenswertes Spiel mit Worten. In der Heise-Meldung wird der Sprecher des Börsenvereins in einer Weise zitiert, die nahelegt, dass Bibliotheken beabsichtigen (oder in Zukunft ermächtigt seien), Werke digital anzubieten, die sie *nicht* in ihrem Bestand hätten. Tatsächlich geht es dem Börsenverein / den Verlagen aber nur darum, dass sie sie nicht gekauft, sondern als Pflichtexemplar bekommen haben. Keine Rede davon also, dass durch eine derartige Digitalisierung eine Bibliothek Geld sparen würde: denn sie muss das Werk vorher bekommen haben. Geld würde sie nur sparen, wenn sie vormals vorhatte, das Buch trotzdem zu kaufen, nun aber davon absieht, weil sie ihr Pflichtstück digitalisieren kann.

Kann man also fragen, bei welchem Szenario Verlage durch diese Praxis -- ganz unabhängig davon, ob sie tatsächlich von Bibliotheken gewünscht ist -- wirklich Geld verlieren. Doch nur dann, wenn eine solche Bibliothek vorher mehrere Exemplare eines Buchs gekauft hätte. (Oder wenn sie die Digitalisate an andere Bibliotheken, die das Buch nicht besitzen, kostenfrei weitergeben würde.) Nun wissen Sie, dass Mehrfachkauf eigentlich nur in zwei Fällen vorkommt: auf ausdrücklichen Benutzerwunsch hin oder zugunsten der Lehrbuchsammlung. Beide Fälle werden durch ein Recht, an Leseplätzen ein Digitalisat anzubieten, nicht erledigt. Die Behauptung, dass Pflichtexemplarbibliotheken weniger Bücher kaufen würden, weil sie ihre Pflichtexemplare an speziellen Leseterminals digital anbieten dürfen, ist darum a) unbegründet und b) unplausibel.

Ich bin auch nicht mit Ihnen einverstanden bei der Frage, wo die Empirie ansetzen müsste. Mir scheint, dass die Verlage da ohne Schwierigkeiten selbst etwas zur Klärung beitragen könnten: Sie müssten ja nur überlegen, inwiefern seit der Einführung des Rechts zum elektronischen Semesterapparat ihre Umsätze gesunken sind und inwiefern dies realistischerweise auf diese Praxis zurückzuführen ist. Der Blick auf das Kaufverhalten der Bibliotheken hilft Ihnen da nicht weiter, weil unsere Etats immer knapper werden und wir sowieso von Jahr zu Jahr weniger kaufen (ganz egal, wie viel wir digitalisieren). Die Preissteigerung eines Wissenschaftsverlages -- welchen sollen wir da nehmen: mittelständische deutsche Unternehmen? die Global Player mit ihren STM-Zeitschriften -- auf den deutschen §52a zurückzuführen, finde ich lustig, insbesondere im Zusammenhang mit den Bildungseinrichtungen. Die Zeitschriften, deren Preissteigerungen die Bibliotheken am meisten kosten, finden Sie sicher nicht in Erwachsenenbildungseinrichtungen! (Damit soll nicht gesagt sein, dass diese nicht auch berechtigte Etatsorgen haben.)

Mit freundlichem Gruß,

Joachim Eberhardt (UB Erlangen)


Dr. Christian Sprang schrieb:
Lieber Herr Eberhardt,

regelmäßig lese ich zwar nicht mehr mit, aber immerhin doch sporadisch, so dass ich Ihnen schnell antworten will.

Zunächst einmal: Von Doktoranden abzuliefernde Dissertationsdrucke und gesetzliche Pflichtstücke wurden in dem heise online-Artikel, der ansonsten ordentlich geschrieben ist, durcheinander geworfen. Laut der Gesetzesbegründung zu § 52 b sollen die Sammelbibliotheken der Länder (sowie theoretisch auch die Deutsche Nationalbibliothek) berechtigt sein, Werke für die Terminalnutzung zu digitalisieren, die sie nicht gekauft, sondern als Pflichtstücke erhalten haben.

Zum Thema "Nutzung von Pflichtstücken" ließe sich vieles sagen. Ich weiß, dass die Sammelbibliotheken dadurch zu 90 Prozent Zeug irgendwelcher kruden Selbstverleger etc. bekommen, auf dass die dort angestellten Bibliothekare (ebenso wie die Bibliotheksnutzer) gut verzichten könnten. Dennoch ist es mehr jenseitig als grenzwertig, wenn ich von einer Wissenschaftsverlegerin höre, dass eine Bibliothekarin ihren Verlag kürzlich rühmte, weil dessen Bücher von den Studenten dauernd nachgefragt würden. Nach dem Gespräch stellte die Verlegerin bei einer Prüfung ihrer Auslieferungsrechnungen fest, dass sie der fraglichen Bibliothek seit Jahren kein Buch verkauft hatte - es handelte sich um die Sammelbibliothek ihres Bundeslandes, die zugleich Universitätsbibliothek ist...

Nota bene: Kein Verlag hat etwas gegen die kostenlose Ablieferung von Pflichtstücken, wenn die Sammelbibliothek diese so katalogisiert, lagert und behandelt, dass sie auch in hundert Jahren - wenn der Verlag vielleicht längst das Zeitliche gesegnet hat - noch konsultiert werden können. Wenn es aber - wie z.B. beim § 52 b - um kostenlose Vervielfältigungen geht (den Cent, den der Verlag nach Jahren von der VG Wort erhält, unterschlagen wir hier einmal), die dazu führen, dass ein Verlagserzeugnis unnötig verteuert wird, weil die öffentliche Hand teilweise als gesetzlich legitimierter Trittbrettfahrer reist, hören der Spaß und die Bereitschaft zur kostenlosen Pflichtablieferung auf.

Es hat natürlich etwas Beruhigendes, wenn Sie versichern, dass weder Sie noch irgendein Ihnen bekannter Bibliothekar daran denkt, von den Möglichkeiten des § 52 b Gebrauch zu machen. Bei mir tragen Sie ohnehin Eulen nach Athen mit Ihrer Ansicht, dass der Lizenzerwerb für originär digitale Produkte zu Lichtjahre besserer Qualität führt als jegliche denkbare 52 b-Nutzungen von Inhalten, und dass man auf die Vorschrift deswegen am besten schlicht verzichten sollte. Leider scheinen sich in Ihrem Bekanntenkreis aber keine mit Lobbyarbeit beauftragten Vertreter Ihres Berufsstandes zu befinden. Dieselben pfeifen nämlich keineswegs auf die Vorschrift, sondern setzen sich seit langem vehement dafür ein, dass die Bundesregierung einen möglichst weitreichenden § 52 b schafft.

Da Ihre Standesorganisationen ihre Interessen am Zweiten Korb vom sog. Urheberrechtsbündnis vertreten lassen, ist Ihnen sicherlich geläufig, dass dieses für eine massive Ausweitung des Tatbestandes des § 52 b eintritt. Danach sollen allüberall, in jeder Schule, jedem Campus und jeder Einrichtung der Erwachsenenbildung, die Terminals aus dem Boden wachsen und einen ubiquitären Zugriff auf möglichst alle denkbaren Inhalte verschaffen - wohlgemerkt nicht auf lizenzierte Inhalte (die würden die Verlage nur allzu gerne verkaufen), sondern auf solche, die zum Superbilligtarif unter § 52 b gescannt wurden.

Es kommt auch nicht von ungefähr, dass gerade die Formulierung des § 52 b zwischen dem ersten und dem zweiten Referentenentwurf zum Zweiten Korb (November 2004 / Januar 2006) so massiv verändert wurde, dass im Überschwang sogar die Bestandsbindung aus dem Wortlaut der Norm entfernt wurde (deren Wiedereinfügung im parlamentarischen Verfahren allerdings angekündigt ist - ein Formulierungsvorschlag des Bundesrats liegt bereits auf dem Tisch). Wie man aus gut informierten Kreisen hört, war dies der Preis, den die Bundesjustizministerin dafür gezahlt hat, mit dem Zweiten Korb überhaupt "auf die Rennbahn zu kommen". Wenn Sie sich diese Zusammenhänge einmal im O-Ton des - inzwischen pensionierten - BMJ-Abteilungsleiters Dr. Hucko anhören wollen, bitte sehr: http://www.o-ton.radio-luma.net/mp3/240306_PEN-vorkongress_12_48.mp3 Vielleicht verstehen Sie danach besser, warum der Börsenverein bei Themen wie §§ 52a, 52b oder 53a UrhG-E nicht abwarten und Tee trinken mag.

Dass Sie beim Thema 52a auf "empirische Beweise" warten, haben Sie übrigens mit dem Rechtsausschuss des Bundestags gemeinsam, der die Geltung der Vorschrift Ende Juni klammheimlich bis zum 31.12.2008 verlängert hat. Das Problem ist nur, dass alle Empirie damit ansetzen müsste, zunächst einmal nachzugucken, wie viele und welche Werke denn in den Intranets von Hochschulen und Forschungseinrichtungen verwendet werden. Genau dies hat die öffentliche Hand aber drei Jahre lang mutwillig unterlassen. So blieb es an der EKD, bei der vom Bundesjustizministerium (logischerweise weitgehend fruchtlos) versuchten Evaluierung der Folgen von § 52a zu Protokoll zu geben, dass man von der Vorschrift in den evangelischen Bildungseinrichtungen primär aus Kostengründen Gebrauch mache. Denken Sie bei der nächsten Preissteigerung eines Wissenschaftsverlags, über die Sie sich ärgern, doch auch einmal darüber nach, dass diese von Vorschriften wie dem § 52a mitverursacht ist.

Und schließlich: Ich kenne zwar die Verhältnisse beim Akademie-Verlag nicht genau, kann mir aber vorstellen, dass Auflage und Preis der Deutschen Zeitschrift für Philosophie nicht viel mehr als einen Redakteur und den Anteil an den Overhead-Kosten des Verlags hergeben. Auch wenn derlei Wissenschaftszeitschriften auf rührige Herausgeber (die in vielen Fällen vom Verlag ein Herausgeberhonorar erhalten) und engagierte Autoren angewiesen sind, heißt das noch lange nicht, dass es sie auch ohne die verlegerische Leistung geben könnte und langfristig geben würde. Wer einmal die Leistungen der Zeitschriftenredaktion eines Verlags erlebt hat, kann über populistische Behauptungen wie die, dass die öffentliche Hand bei der Subskription von Zeitschriften teures Geld für Dinge ausgibt, die sie selbst bereits mehrfach subventioniert hat, nur den Kopf schütteln. Dass Wissenschaftler in den Natur- und Ingenieurwissenschaften oder in der Medizin inzwischen wesentlich mehr Zeit für Analyse und Forschung als für Literaturbeschaffung aufwenden müssen, ist beispielsweise eine Leistung, zu der weder Herausgeber noch Autoren noch Gutachter irgend etwas beigesteuert haben (allenfalls noch Bibliothekare!).

Herzliche Grüße

Christian Sprang




Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.