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Re: [InetBib] Langzeiterhalt von AV-Inhalten ungeloest



"Eberhard R. Hilf" <hilf@xxxxxxxxxxxxxxxx> writes:

Und auch für die Physik wäre ich skeptisch, denn der Original-Aufsatz
von Einstein ist auch heute noch von wissenschaftlichem Interesse.
Irgendwelche Lehrbücher können solche Quellen nicht ersetzen.
Das ist eben das Missverstaendnis: 
- in der Physik und fuer die aktuelle physikalische Forschung sind die
Einstein Gleichungen von Interess,- moeglichst in der aktuell fuer
sinnvoll gehaltenen mathematischen Darstellung.
Wer die Gleichungen gefunden hat, wann, wo, wie sprachlich und textuell
wann wo wie erlaeutert, niedergelegt, pp. spielt ueberhaupt keine Rolle.
(Ich kenne nur wenige Physiker, die die Originalarbeiten ihrer 
aktuellen Forschung gelesen haben,- man zitiert sie aus Fairness und 
Respekt, ok.).

Mir ging es auch weniger darum, wer was zitiert, als vielmehr, welche
Quellen archiviert gehören, um überhaupt wissenschaftliches Arbeiten
über ein bestimmtest Thema (hier: Relativitätstheorie) zu ermöglichen,
und die ...

- anders sieht es in den  Fachgebieten Geschichte der Physik, 
Wissenschaftsgeschichte etc. aus. Diese Kollegen haben die 
Originalarbeiten als Forschungsgegenstand, man will lernen, wer hat wann 
wo wie.

... "Geschichte der Physik" gehört doch ganz klar zum Fach "Physik"
dazu. Auf die Originalarbeiten kann man deshalb im Bestand nicht
verzichten.

Das ist nicht der Punkt: gemeint ist: Texte, die in LaTeX,html  
geschrieben wurden, und in ASCII niedergelegt, sind immer rekonstruierbar. 
Alle! (wirklich alle der 395.265) Dokumente in www.ArXiv.org werden
zweimal im Jahr geprueft und nur dynamisch in das jeweils aktuelle pdf 
verwandelt. Der Trick ist, das ArXiv nur Ascii nimmt, also einen strengen 
Eingangsfilter hat.

Bis hierher d'accord.
  
Ich würde nicht darauf wetten, daß zB die vielen Dissertationen, die
heute digital oder jedenfalls nicht in Buchform veröffentlicht werden,
in 30 Jahren noch greifbar sind, während das Typoskript einer Diss aus
den frühen 70ern auch dann noch lesbar sein wird. Es verschwindet also
ganz sicherlich schon mittelfristig sehr viel Wissen durch die
Digitalisierung. 
Genau das ist der Punkt. Die Expertise erlaeutert eben, dass sowas nur
verhindert werden kann, - und es kann verhindert werden, wenn es 
eine strenge nationale Langzeitarchivierungspolicy gibt fuer die 
verteilten LZA-Archive, die auch festlegt, dass die Eingangsfilter
fuer die Aufnahme entsprechend streng sind. 
Viele der pdf-Dissertationen werden natuerlich nicht mehr lesbar sein.
Man muss eben den Quellcode mit archivieren.

Und hierzu muß man sagen, daß in vielen Bereichen eben nicht mit
reinem Text gearbeitet wird. Unter Juristen und
Wirtschaftswissenschaftlern zB ist Winword üblich. Als LaTeX-Anwender
bin ich der absolute Außenseiter, alle Zeitschriften verlangen
Einreichungen im DOC-Format, und auch der Verlag, in dem meine diss
erschienen ist, war mit LaTeX völlig überfordert.

Solange das so ist, müßten die Bibliotheken vor allem Einfluß auf die
Universitäten ausüben und bestimmte Formate durchsetzen, die
zukunftssicherer sind als die proprietären Formate, mit denen heute
gearbeitet wird. Unsere UB etwa nimmt PDF-Dateien an und bittet darum,
den Quellcode ebenfalls einzureichen, macht das aber nicht zur
Bedingung. Auch müßten die Anwender (Studenten, Professoren) davon
überzeugt werden. Das wird sehr schwer werden. Ich kann mir nicht
vorstellen, daß Jura und Wiwi auf LaTeX umsteigen. Und "HTML" kann man
zwar aus einer Textverarbeitung exportieren, aber dabei kommt ein
Quellcode heraus, bei dem es einem grausen kann, was die zukünftige
Verarbeitung zudem weiter erschwert.

Ausserdem: Gedruckte Dissertationen sind zwar (z.T. sehr muehsam)
im Prinzip erhaeltlich, aber nicht digital nachnutzbar.
Digitale Dokumente sind weltweit muehelos einsehbar, auffindbar, 
nachnutzbar. Vergleichen Sie doch z.B. die Zitationsraten 
Ausleihzahlen/downloadzahlen von digitalen vs. gedruckten
Dissertationen.

Das kann man aber nicht verallgemeinern. In den Rechtswissenschaften
werden elektronische Quellen in der Regel nicht zitiert. Nur hier und
da mal eine Urteilsanmerkung, die in Juris erschienen ist, obwohl es
dieses Angebot nun schon länger gibt. Der Grund hierfür ist
sicherlich, daß die URLs später kaum noch nachprüfbar sind, weil
Online-Quellen eben sehr flüchtig sind.

Zu Recht sind daher an vielen amerikanischen Universitaeten das Einreichen 
von gedruckten Dissertationen verboten...

Vielen Dank für diesen Hinweis, das wußte ich noch nicht. Sehr
interessant. Ich fürchte aber, daß damit eher das Vergessen
organisiert wird, als daß es sich auf die Verbreitung der Arbeiten
auswirkt. Außerdem werden wir zumindest im deutschen Bildungssystem
kaum die notwendigen Mittel haben, um so einen Service langfristig
auch nur pflegen zu können. Die Kosten werden exponentiell steigen,
gerade wenn wir soweit sein werden, alte Sourcen rekonstruieren zu
müssen, damit sie überhaupt noch zu nutzen sind. Dagegen ist das, was
die Rundfunksender und die Plattenfirmen in ihren Archiven machen, um
die Bestände zu erhalten, ein Kindergeburtstag, denn der
wissenschaftliche Output hat natürlich eine ganz andere
Größenordnung, auch was die Entwicklung angeht.

Deshalb bleibe ich skeptisch. ;-)

Grüße,
Jürgen Fenn.



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