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[InetBib] Stellungnahme der DBV-Verhandlungsgruppe



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Barbara Schleihagen

 

Deutscher Bibliotheksverband e.V.

Geschäftsführerin

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Der DBV-Bundesvorstand hat auf seiner Sitzung am 6. und 7. März 2007 die
untenstehende Stellungnahme der DBV-Verhandlungsgruppe (Prof. Dr.
Gabriele Beger, Dr. Friedrich Geisselmann, Prof. Dr. Elmar Mittler, Dr.
Harald Müller) eingehend diskutiert und einstimmig befürwortet. Der
Vorstand hat ebenfalls beschlossen, diese Stellungnahme allen
DBV-Mitgliedern in elektronischer Form zu senden, verbunden mit der
herzlichen Einladung, auf der kommenden Mitgliederversammlung am 21.
März 2007 in Leipzig über die Gemeinsame Stellungnahme von DBV und
Börsenverein und deren Hintergründe und Rahmenbedingungen mit den
Mitgliedern des DBV-Vorstandes und der DBV-Verhandlungsgruppe zu
sprechen.

 

Berlin, 09.03.2007

 

Prof. Dr. Claudia Lux

DBV-Vorstandsvorsitzende

 

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Stellungnahme der DBV-Verhandlungsgruppe zu den Reaktionen auf die
gemeinsame Stellungnahme von Börsenverein und DBV

 

Die gemeinsame Stellungnahme von Börsenverein und DBV zu den Paragraphen
52b und 53a des UrhG-Entwurfs hat zu Irritationen, zu Verunsicherung bis
hin zu Verärgerung geführt. Im Folgenden soll versucht werden zu
erläutern, wie die Stellungnahme in den Prozess der UrhG-Novellierung
und in die begleitenden Rahmenbedingungen einzuordnen ist.  

 

Offensichtlich sind die Hoffnungen, die rechtliche Position der Nutzer
im Zuge der UrhG-Novellierung trotz der bekannten Vorschläge des
Justizministeriums günstiger zu gestalten, auf Seiten der Universitäten
und Wissenschaftseinrichtungen recht hoch. Dazu trägt sicher bei, dass
durch das Aktionsbündnisses für Urheberrecht in Bildung und Wissenschaft
die Forderungen für Wissenschaft verständlich und theoretisch gut
begründet in der Öffentlichkeit und gegenüber dem Gesetzgeber
vorgetragen werden.

 

Auch die sichtbaren Erfolge und die wachsende Popularität der Open
Access-Bewegung erwecken den Eindruck, dass die traditionellen Verlage
einen schwindenden Anteil an den Publikationen haben, weil viele Inhalte
mit Unterstützung der Bibliotheks- und Informationseinrichtungen frei
zugänglich sind. Dabei wird aber übersehen, dass der Marktanteil
kommerzieller Zeitschriftenanbieter noch immer bei etwa 90 % liegt.
Allzu viele Wissenschaftler schätzen und präferieren weiterhin die
Möglichkeit, in einer renommierten Zeitschrift zu publizieren, was ihnen
auf Basis des UrhG in keiner Weise untersagt werden kann. Selbst eine
Verpflichtung, den freien Zugriff auf die Publikationen öffentlich
finanzierter  Forschungsergebnisse wenigstens nach einer Schonfrist für
die Verlage von einem halben Jahr zu garantieren, wird von den
Geldgebern nicht konsequent durchgesetzt, wie jüngst die Brüsseler
Tagung der EU deutlich gemacht hat! Die Marktdurchdringung von Open
Access befindet sich immer noch in der Startphase. So gesehen stellt
sich die Position der Bibliotheken bei weitem nicht so günstig dar, wie
es die genannten Initiativen vermuten lassen ? im Gegenteil!

 

Es ist aber auch ein falscher Eindruck, dass der deutsche Gesetzgeber
bei der Ausgestaltung des Urheberrechtes zugunsten der
wissenschaftlichen Kommunikation freie Hand habe. Knapp gesagt geht es
ja beim Urheberrecht um den rechtlichen Schutz derer, die als Autoren,
Distributoren und Verwerter an der Veröffentlichung und Verbreitung
geschützter Inhalte beteiligt sind. Dabei ist die aktuelle
Urheberrechtsgesetzgebung in eine Vielzahl von internationalen
Rechtsnormen eingebunden, die im Kern seit über einem Jahrhundert
Geltung haben. Immer kleiner werdende Teile unterliegen der nationalen
Ebene. Insbesondere hat - über den internationalen WIPO-Vertrag von 1996
hinaus -   die EU-Richtlinie zur Informationsgesellschaft einen nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf die nationale Gesetzgebungspraxis.

 

Vor diesem Hintergrund kann nicht deutlich genug gesagt werden, dass das
UrhG keinerlei Möglichkeiten bietet, eine bestimmte Publikationspraxis
für Bildung und Wissenschaft als Regel einzuführen. Die bisweilen
geäußerte Meinung, in der Urheberrechtsgesetzgebung ?Open Access?
verankern zu können, gilt nicht für die im Rahmen des UrhG vereinbaren
Ausnahmeregelungen (Schranken). Andererseits wird die Open
Access-Bewegung aber auch durch die geplanten Paragraphen 52b und 53a in
keiner Weise behindert.

 

Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Die gegenwärtige
Auseinandersetzung  zwischen Bibliotheken und Verlagen im Zuge der
UrhG-Novelle bezieht sich nur  auf die verwertungsrechtlich geschützten
Inhalte (Monographien und Zeitschriften kommerzieller Anbieter) in der
Hand der Verlage, die, wie gesagt, den Publikationsmarkt weiterhin
wesentlich bestimmen. In den Paragraphen 52 b und 53 a geht es um die
Frage, ob und unter welchen Bedingungen die öffentliche Bereitstellung
verwertungsrechtlich geschützter Dokumente in Bibliotheken sowie deren
Weitergabe im Rahmen von Fernleihe und Dokumentlieferung möglich ist.

 

In dieser Hinsicht ist die gegenwärtige Situation für den Nutzer
komfortabel: Er kann bei einer Bibliothek seiner Wahl eine
Kopienbestellung aufgeben, die ihm gegen eine Schutzgebühr zur Verfügung
gestellt wird. Diese Situation versuchen die Verlage für die digitalen
Publikationen zu ihren Gunsten zu verändern ? und erhalten dabei
bedauerlicherweise Schützenhilfe auf europäischer wie nationaler Ebene.

 

Zum Hintergrund einige Bemerkungen. Die STM-Verlage hatten sich über
zwei Jahrzehnte daran gewöhnt, exorbitante Preissteigerungen bei den
Bibliotheken durchsetzen zu können. Hier wurde der Bogen sicher
überspannt; die knapper werdenden Ressourcen der öffentlichen Haushalte
erlauben inzwischen keine überhöhten Preissteigerungen mehr. Dies haben
die Verlage inzwischen erkannt; um die hohen, von den Shareholdern
erwarteten Gewinne zu sichern, müssen zusätzliche Einnahmequellen
gefunden werden. Deshalb kämpfen insbesondere die STM-Verlage darum, das
Kopierrecht voll in ihre Hand zu bekommen, um über individuelle
Regelungen (möglichst ohne Beteiligung der VG Wort) maximale
Zusatzeinnahmen zu erzielen. Die Regierungsvorlage will ihnen in der
Regelung des § 53a dafür ideale Voraussetzungen schaffen: Wenn der
Verlag ein elektronisches Angebot macht, haben die Bibliotheken keine
Möglichkeit der elektronischen Lieferung ? es sei denn, sie würden es
den Verlagen vertraglich (zu deren Bedingungen) abhandeln. Wie die sich
aus dieser gesetzlich verankerten Monopolsituation ergebenden Preise
sein werden, kann man sich leicht ausrechnen. Mit Recht hat die Gruppe
der SUBITO-Bibliotheken in ihrem offenen Brief darauf hingewiesen, dass
schon ohne eine derartig rechtlich verankerte Monopolsituation das
Verhalten der Verlage zu unerträglichen Folgen für den Aufbau einer
leistungsfähigen Literaturversorgung führt. 

 

Wie stellt sich nun die Situation für Forschungseinrichtungen,
Universitäten und deren Bibliotheken vor dem Hintergrund eines sehr
verlagsfreundlichen UrhG-Entwurfs und entsprechender EU-Richtlinien dar,
die die Verwerterseite so eindeutig begünstigen? Wie sind unter diesen
Rahmenbedingungen die Verhandlungen des DBV mit dem Börsenverein zu
sehen?

 

Das Bundesministerium für Justiz (BMJ) hat seinerseits erklärt, dass es
die im UrhG-Entwurf enthaltenen ? aus der Sicht der Wissenschaft völlig
unzureichenden - Ausnahmeregelungen zu den Paragraphen 52b und 53a für
sehr weitgehend hält und deshalb unmissverständlich geäußert, dass vom
BMJ keine Erweiterung zu erwarten ist. Im Rechtsausschuss des
Bundestages besteht zudem eine Mehrheit, die der Meinung ist, dass die
Ausnahmeregelungen im UrhG-Entwurf bereits viel zu weitgehend sind.
Einzig der Bundesrat, der aber bei diesem Gesetz nicht
zustimmungspflichtig ist, unterstützt Forderungen des DBV und des
Urheberrechtsbündnisses.

 

Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft (BMBF) hat den DBV
und den Börsenverein in dieser Situation schriftlich aufgefordert, einen
Kompromiss zu finden, der den Interessen der Wissenschaft wie der
Wissenschaftsverlage Rechnung trägt. 

Damit hat sich die einzige noch realistische Chance ergeben, das
drohende gesetzliche Monopol der Verlage im elektronischen
Dokumentlieferbereich noch zu verhindern. Mit diesem Ziel wurden die
Verhandlungen von Börsenverein und DBV aufgenommen ? hätte man sich
diesen Verhandlungen verschließen sollen? Der enge Spielraum, der sich
Hochschulen, Universitäten und ihren Bibliotheken unter diesen
Gegebenheiten bot, ließ keine andere Wahl, wollte man nicht die
restriktiven Regelungen des Regierungsentwurfes hinnehmen.

 

In aller Kürze zusammengefasst hat die gemeinsame Stellungnahme zwischen
Börsenverein und DBV zu folgenden Ergebnissen geführt: 

 

Im § 52b wird die elektronische Wiedergabe von Bibliotheksbeständen auf
die Räume der Bibliothek beschränkt und an den Bestand gebunden, wie es
die Richtlinie befiehlt; die Bibliotheken sind den Verlagen
entgegengekommen, indem sie die Zahl der parallelen Zugriffe an die Zahl
der erworbenen Exemplare (max. zwei parallele Zugriffe pro Exemplar)
lieferbarer Werke binden. Gesichert aber werden konnte das Recht der
Bereitstellung einmal digitalisierter Werke auch wenn Verlage in der
Zwischenzeit ein digitales Angebot machen.

 

Die wichtigsten Entgegenkommen der Verlage liegen aber im Bereich der
vorgesehenen Regelung des § 53a. Die Verlage räumen den Bibliotheken
ein, die bisherigen Formen der Fernleihe und Dokumentlieferung für
gedruckte Inhalte zu erhalten und auf digitale Materialien zu erweitern.
Die Monopolsituation der Verlage bei elektronischen Angeboten soll durch
eine gesetzliche Zwangslizenz begrenzt werden, die für alle Bibliotheken
- als Lizenznehmer sowie Besteller und Lieferanten im Rahmen des
Leihverkehrs und der Dokumentlieferung - angemessene Bedingungen
sichern. Dies bedeutet, dass der aggressiven Preispolitik der großen
Zeitschriftenmonopole Einhalt geboten werden kann. 

 

Ob Wissenschaft, Bibliotheken und ihre Nutzer mit diesem gemeinsamen
Vorschlag, der ja noch keineswegs Gesetz ist, zufrieden sein könnten?
Angesichts der sehr engen Rahmenbedingungen hat der gefundene Kompromiss
entscheidende Vorteile. Natürlich will der DBV - wie eigentlich alle
Bibliotheken und Nutzer aus Bildung und Wissenschaft ? deutlich mehr.
Das Urheberrecht muss in dieser Hinsicht weiterentwickelt werden ? auch
im Hinblick auf den sich durch die Open Access-Bewegung hoffentlich
weiter zugunsten der Wissenschaft wandelnden Markt. Die gemeinsame
Stellungnahme von Börsenverein und DBV ist dafür ein wichtiger Schritt ?
nicht zuletzt deshalb, weil sich Bibliotheken und Börsenverein gemeinsam
gegen Markt- und Preismonopolisierung wenden. Der vorgesehene Weg der
Zwangslizensierung ? das sei noch einmal betont ? wäre ein wichtiger
Schritt, die Übermacht der Verlage zu beschneiden; dass er mit
Unterstützung des Börsenvereins eingeschlagen werden kann, gibt
vielleicht etwas mehr Chancen, diese für die Bibliotheken günstige
Regelung beim Gesetzgeber in letzter Minute durchzusetzen, wenn sich in
der weitergehenden Diskussion nicht vielleicht sogar eine
Schrankenregelung finden lässt.

 

Die Verhandlungsgruppe des DBV ist für sachliche Kritik an der
gemeinsamen Stellungnahme dankbar und bereit, diese in die weiteren
Verhandlungen einzubringen. Dabei muss aber von einer realistischen
Sicht der Rahmenbedingungen ausgegangen werden, die bedauerlicherweise
in vielfacher Hinsicht den hohen Erwartungen entgegenstehen, die viele
Bibliotheken und Nutzer mit der UrhG-Novellierung verbinden.

 

Berlin, 09.03.2007

 

Prof. Dr. Gabriele Beger

Dr. Friedrich Geisselmann

Prof. Dr. Elmar Mittler

Dr. Harald Müller

 

 

 

 



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