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Re: [InetBib] Google, ...



Sehr geehrter Herr Dietz,

haben Sie etwas gegen Zahlen, oder gegen bestimmte Personen? ;-)

Ich wollte auf Ihre vorletzte Süffisance zwar nicht antworten,
aber wenn Sie darauf insistieren:
In der Statistik spricht man von Schätzungen und von Schätzern,
und da bleiben auch Zahlen mit fünf Stellen hinter dem Komma
noch Schätzungen.

Was den "Delay" gegenüber den USA betrifft, so haben Sie Recht,
das ist natürlich kein triviales Thema, und beruht auch nur auf Schätzungen. 
So kann eine bestimmte Bibliothek noch
aussehen und funktionieren wie in den fünfziger Jahren,
also ein halbes Jh. hinterherhinken, und schon ein Jahr später
auf dem neusten Stand sein. China hatte z.B. mal ein Programm,
bei dem die Regierung propagierte, andere Länder in wenigen Jahren
zu überholen, ohne sie einzuholen. Auch das kann an bestimmten
Stellen funktionieren, dass man von - unbemerkt auf +springt.
Das hatte ja einst den Sputnik Schock ausgelöst,
der 6 Jahre später das amerikanische Bibliothekswesen revolutionierte.

Derek J. de Solla Price hat 1963 beschrieben, wie die Japaner
um 1870 Wissenschaftler ins Land holten, deren Schüler sich
ausbreiteten, so dass das Land in etwa 30 Jahren seinen wissenschaftlichen 
Verzug aufholte. Das machte sie allerdings damals auch sehr rasch gefährlich. 
Nach den Atombombenabwürfen hatten die USA u.a. ein schlechtes 
Gewissen und stifteten sehr viel know how (auch im Bibliothekswesen und
im Qualitätsmanagement), womit die Japaner rasch an die Weltspitze 
kamen.

In Westdeutschland war es mit den Stiftungen ähnlich. 
Um dem Kommunismus der DDR die Vorzüge 
einer freien Demokratie zu demonstrieren,
hatten wir die Amerikagedenkbibliothek,
die damals für das deutsche Bibliothekswesen Vorbildcharakter hatte,
die UB der Freien Universität im Henry Ford Bau 
und nicht zuletzt die amerikanischen Datenbanken der NLM,
Biosis, CA, ERIC, SCI, ... die uns schon in den siebziger Jahren
den Anschluss an modernes Bibliothekswesen ermöglichten.
Das Ziel des IuD-Programms ('74-'77) war es, mit diesem Programm
den Vorsprung durch den Weinbergreport 1963 (11 Jahre "delay") 
aufzuholen. Da folgten aber, in den FI-Programmen nachlesbar, 
wiederholt Fehlentscheidungen des damaligen BMFT, und
darum siteg die Zahl an verlorenen Jahren. 

Technologie oder Informationsmedien kann man einkaufen und 
damit leicht modernisieren. 
Zeitraubender ist es den Ausbildungsstand, noch
zeitraubender die Mentalität in einem gesamten Berufsstand, und noch 
zeitraubender die Einschätzung der allgemeinen Bevölkerung zu 
modernisieren - z.B. bezüglich einer 
"assembly line of knowledge production". 
Das gilt natürlich nur "cum grano salis", und hat nichts mit 
Charles Chaplin und Schraubenschlüsseln zu tun.
Aber der Hinweis auf Wikpedia erleichtert vermutlich das Verständnis dafür,
und wird auch dazu führen, dass in einigen Jahren, das alle schon längst 
wussten ;-).

Insofern bin ich Ihnen für Ihre Kritik dankbar, 
weil sie etwas wichtiges bewusst macht. 

Auf die Tatsache, dass die Wirtschaftswissenschaften nur dadurch 
Information und Wissen zur marktwirtschaftlichen Ware machen können, 
indem sie sie massiv verknappen, 
" Die Entökonomisierung des Informationsbegriffs "

hat zu meiner großen Freude der Kollegen Kuhlen gerade wieder hingewiesen.
Insofern bin ich guter Hoffnung, dass sich auch das herumspricht.
(Überholen ohne einzuholen ;-)

Die Voraussetzung für die Aufholjagd im Bibliothekswesen ist aber, 
dass politische Entscheidungsträger erkennen, welche Weichenstellungen 
notwendig sind. Wobei die amerikanischen Entscheidungsträger im 
Bibliotheksbereich nicht zu unterschätzen sind. 
s. Digital Library Initiative, OCLC, XML, Lib 2.0 oder die gesamte Familie 
Google.

Im Prinzip ist es für Politiker ganz einfach, sie müssen nur dir richtigen
Ideen zur richtigen Zeit, richtig fördern, und schon hätten wir die 
USA in ~10 Jahren  überholt ;-). 
Siehe System Althoff - bis die Nationalsozialisten kamen, und alles wieder 
ruinierten. 
Das ruinieren eines Vorsprungs ging damals bei landesweiter Bücherverbrennung 
sogar in wenige Tagen.

MfG

W. Umstätter


----- Original Message -----
From: "Karl Dietz" <karl.dz@xxxxxxxxx>
To: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Sunday, March 11, 2007 11:22 AM
Subject: Re: [InetBib] Google, ...


On 3/10/07, h0228kdm <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxx> wrote:

An dieser Stelle muss man Lars Aronsson zumindest teilweise und
'bedauerlicherweise' Recht geben, dass zumindest Deutschland
"25 Jahre oder *mehr* hinter den Vereinigten Staaten"
im Bibliothekswesen hinterherhinkt. Ich habe mich längere Zeit mit der
Frage,
ob es 10 oder 20 Jahre sind beschäftigt, und ebenso bedauerlicherweise
feststellen müssen, dass der Versuch, den Vorsprung mit den
Fachinformationsprogrammen (70er - 90er Jahre) aufzuholen,
sich nicht verringert, sondern auf etwa 20 Jahre vergrößert hat.

Also ihr Umgang mit der Zahlenwelt, der hat schon was... ;)
(Ich habe noch ihre Prozentzahlenanalyse von neulich vor augen...)

Hier noch ein Aufsatz im ÖB-Kontext:

Peter Vodosek: The Usual Delay
"The Usual Delay: Public Libraries in Nineteenth Century Germany,"
Library History 17 (November 2001): 197-202.

dt. Übersetzung in der OFAP im AKI-wiki

So lange die meisten Fachleute den Unterschied
zwischen Information und Wissen nicht erkennen, können sie auch nur
schwer
den Wechsel von der Informationsverarbeitung zur Wissensverarbeitung
bewusst vollziehen.

so so ...


Bibliotheken sind in einer Wissenschaftsgesellschaft ohne Zweifel das
wichtigste
Rationalisierungspotential, ohne das eine solche Gesellschaft,
die immer mehr von der Wissenschaft lebt, nicht wettbewerbsfähig ist.

Solche Sätze kann man sich auf der Zunge zergehen lassen. dann
schmelzen sie dahin...


Im Prinzip wird Lib 2.0 im Web 2.0 die leicht vorhersehbare globale
Fließbandproduktion von Wissen unterstützen.

Ich sehe "the modern times" schon bildlich vor augen. charles chaplin
lässt grüssen.


Das aber nur am Rande, da von "Henry Ford seinen Model T" bereits die
Rede war.
Der Vergleich ist, im Gegensatz zu Google und McDonald" sehr viel besser
;-).

...der hinkt genauso. Und falls hier jemand eine bessere Suchmaschine
als Google kennt? einfach sagen.



MfG

W. Umstätter


Und da neulich ja ca. 100.000 Bücher entsorgt wurden, hier eine Info zu

AmazonNoire
3.000 Bücher in Tauschbörsen

mehr zB per Google, metager2, vivisimo et al.

--
Viele Gruesse, Karl Dietz
http://wiki.aki-stuttgart.de







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