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[InetBib] Entschleunigung?!



Liebe Liste,

der letzte Freitag war kein guter Tag für den freien und ungehinderten Zugang 
zu wissenschaftlichen Informationen. 

Erst verabschiedet der Bundesrat eine Stellungnahme, in der angezweifelt wird, 
ob wissenschaftliche Informationsversorgung überhaupt eine öffentliche Aufgabe 
ist. Auch der Betrieb von Repositorien wird kritisch beäugt.

Dann urteilt das OLG München im Rechtsstreit gegen Subito, ein Versand von 
Artikeln per eMail verstoße gegen das geltende Urheberrecht. Das Gericht hat 
damit im wesentlichen die im Zweiten Korb zum Urheberrechtsgesetz drohende 
Regelung des § 53a UrhG-E vorweggenommen.

Beide Ereignisse haben eine gemeinsame Botschaft: Die digitale Nutzung von 
wissenschaftlicher Information soll von kommerziellen Akteuren veranstaltet und 
gesteuert werden. Wie sollten Bibliotheken darauf reagieren? Bessere 
Lobbyarbeit, Anzeigen schalten, Politiker belagern? 

Radikal wäre es, die Dienstleistungen der Bibliotheken grundlegend zu 
überdenken. Wenn also die Dokumentlieferung bloß noch auf dem Papierweg 
erfolgen soll, und wenn der freie Markt der wissenschaftliche Information so 
gut funktioniert, wie der Bundesrat meint, dann sollte man dem Markt eine 
Chance geben, sich tatsächlich zu beweisen. 

Wäre es nicht eine interessante Strategie, in den Bibliotheken bewußt auf  
Entschleunigung in der Literaturversorgung zu setzen? Warum kündigen wir die 
Abos der elektronischen Angebote nicht einfach auf und beschränken uns auf die 
Papierversionen? Für die Fernleihe werden wir in Zukunft ohnehin in das 
papierene Zeitalter zurückgeworfen werden.

Die Verlage können dann sehen, inwieweit ihre innovativen elektronischen 
Produkte, in die sie soviel investieren, daß sie in den meisten Fällen noch 
nicht einmal die Autoren vergüten können, marktgängig sind, wenn sie nicht 
durch massiv steuerfinanzierte Vertriebsagenten, gemeint sind die Bibliotheken, 
an den Wissenschaftler gebracht werden. 

Und mit dem Bundesrat könnte man fragen, ob die Rolle der Bibliotheken als 
Vertriebsagenturen für kommerzielle Verlage überhaupt eine öffentliche Aufgabe 
ist. Da durch den Vertrieb über  Bibliotheken den Verlagen bedeutende 
Vermarktungsvorteile entstehen, wäre es mehr als billig, diesen Vorteil durch 
entsprechende Gebührensätze für die Verlage angemessen darzustellen. In diesem 
Zusammenhang möchte ich noch einmal § 28 Abs. 1 Satz 3 Landeshochschulgesetz 
Baden-Württemberg zitieren: ?Das Informationszentrum kann seine 
Dienstleistungen anderen Hochschulen gegen marktübliche Entgelte anbieten; bei 
Dritten müssen (!!) entsprechende Entgelte erhoben werden?

Eric Steinhauer



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