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Re: [InetBib] Vortrag Rainer Kuhlen



Sehr geehrte Frau Mahrt-Thomse, herzlichen Dank für diesen,
wenn auch nur für den Berliner Umkreis, interessantn Hinweis.

Da ich der Meinung bin, dass die Frage, ?Wem gehört das Wissen??, im
?digitalen Zeitalter? keinesfalls neu entbrannt ist, erscheint es kleinlich,
wenn ich sage, dass aber die Wissenschaftsgesellschaft natürlich immer
stärker differenzieren muss, wer die Produktion von Wissen bezahlt, die die
Existenz der modernen Gesellschaft dominiert, und wem das Wissen
dementsprechend gehört. Mit der Digitalisierung hat das zunächst wenig zu
tun, da diese in erster Linie nur dazu beiträgt, dass dieses Wissen billiger
und rascher denn je redundant gemacht und damit verbreitet werden kann.

Diese Unterscheidungen klingen kleinlich, sind aber fundamental.
Es wundert mich schon seit langem, dass auch die Experten der
Informationswissenschaft (also meine Zunft ;-) so wenig zwischen zwei Formen
der Information unterscheiden.
1. Die vom Sender bezahlte (vorwiegend Reklame, aber auch Schulwissen, etc.)
2. Die vom Empfänger bezahlte, weil der sie braucht, sich damit vergnügt
oder sie zu benötigen glaubt.
Dabei gibt es zahllose Tricks, die viel Verwirrung stiften. Man lässt den
Empfänger zahlen, damit er glauben soll, er habe ein Interesse an der
Information, die aber reine Reklame ist. Man bietet Information, die der
Empfänger haben will verbilligt oder kostenlos an, obwohl er dafür bezahlen
würde, um dann Reklame darin zu verstecken bzw. verpacken. Der wohl übelste
Trick ist, Nonsens als hochwertiges Wissen (also begründete, fundierte
Information) zu vermarkten.

Wir alle haben Wissen, das unsere Privatsache ist, das uns gehört, und mit
dem wir machen können, was wir wollen, so lang es unsere Umwelt nicht
übergebühr belastet.

Die eigentliche Frage, und das ist nach meinem Verständnis auch die, die der
Kollege Kuhlen seit Jahren mit Recht anspricht, ist die, wem das Wissen
gehört, das die Wissenschaft erzeugt.
Wenn ein Wissenschaftler beispielsweise eine naturwissenschaftliche
Erkenntnis gewinnt, dann hat er diese zunächst nicht selbst erzeugt, sondern
lediglich zur Kenntnis genommen.
Dieses Wissen muss Eigentum der gesamten Menschheit sein (soweit der/die
Einzelne davon Besitz ergreifen will), und damit auch von ihr bezahlt
werden. Noch gravierender ist es bei Thesen die zu falsifizieren sind. Sie
können nur widerlegt werden, wenn es genügend Experten gibt, die auch Zugang
dazu haben.

So war das im Prinzip bisher, weshalb auch Otlet und Lafontaine darauf den
Gedanken der Dokumentation des letzten Jahrhunderts gegründet haben. Das
wissenschaftlich erarbeitete Wissen der Welt muss allen Menschen verfügbar
sein. Dass Verlage dabei für die Publikation (also die notwendige Redundanz
zur Vervielfältigung) Geld vorgelegt haben, um sie für die Benutzer
bezahlbar zu machen, belegt das.

Diese Vervielfältigung ist heute so einfach und preiswert geworden, dass
sich viele fragen, wozu wir nun noch die Verlage brauchen. Und hier greift
das, was ich oben als Trick bezeichnete. Große Verlage machen für ihre
Produkte sehr viel, sehr teure und sehr trickreiche Reklame um ihren
Produkten z.B. einen hohen Impact Factor zu sichern. Universitäten machen
dies dann zur Bedingung zur exzellenten Wissenschaft zu gehören. Das kostet
Geld, das sich von den Verlegern nur profitbringend anlegen lässt, wenn die
heute so billig zu erzeugenden Kopien massiv verknappt werden. Mit der
Erzeugung von Wissen und den Eigentumsrechten hat das eigentlich nichts zu
tun, denn die Verlage bezahlen ja nicht die Produktion des Wissens.

Das wissenschaftlich gewonnene Wissen von dieser Welt ist genaugenommen
nicht unser persönliches Eigentum, auch wenn jede Generation davon neu
Besitz ergreift. Es war schon vor uns in dieser Welt ? und in den meisten
Fällen auch schon vor uns entdeckt, aber nicht immer auch schon publiziert
worden.

Wir müssen heute weitaus schärfer als bisher zwischen wissenschaftlich
begründetem Wissen, privatem Erfahrungswissen, Information, gezielter
Fehlinformation, Redundanz etc. unterscheiden, sonst wundern wir uns
weiterhin über diesen Eintopf an definitorischem Durcheinander, das heute so
mancher große Verlag auf Kosten der vielen kleinen für sich nutzt.

Ich schreibe das natürlich nicht, um bei dem Kollegen Kuhlen die
Besucherzahl zu reduzieren ;-)
sondern im Gegenteil weil diese Diskussion ja im Prinzip die Grundlage
unserer OAI und Urheberrechtsdiskussion ist.

MfG

W. Umstätter


-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx]Im Auftrag von Frauke
Mahrt-Thomsen
Gesendet: Dienstag, 13. November 2007 00:00
An: INETBIB
Betreff: [InetBib] Vortrag Rainer Kuhlen


Liebe KollegInnen,

hier ein kurzer Hinweis für Menschen in Berlin und Umgebung
auf einen Vortrag von Professor Rainer Kuhlen

am Donnerstag, den 15.Nov. 2007, 20 Uhr,
in der Heinrich-Böll-Stiftung,
Hackesche Höfe, Rosenthaler Straße 40/41, 10178 Berlin,

zum Thema:

Eigentum. Eine neue Eigentumsordnung für das digitale Zeitalter?

Aus dem Ankündiungstext:
Wem gehört das Wissen? Im digitalen Zeitalter ist die Eigentumsfrage neu
entbrannt. Gleichwohl stellt sich diese Frage nicht nur für das Web 2.0.
Im Blick auf die Beteiligung am Produktivvermögen wird ?Eigentum für
alle!? zur Forderung nach Gerechtigkeit und Teilhabe. Und: Welchen
Stellenwert hat das Eigentum in der globalisierten Welt?

Es ist der fünfte Abend im Rahmen der Vortragsreihe: Neue Stichworte zur
geistigen Situation der Zeit.
Bisherige Themen: Anerkennung, Beschleunigung, Chancen, Differenz, am
13.12. folgt: Familie.


Mit freundlichen Grüßen,

Frauke Mahrt-Thomsen / Berlin




Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.