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Re: [InetBib] Nutzungsrechte an Diplom-, Master- und Bachelor-Arbeiten



Liebe Liste, lieber Herr Graf, lieber Herr Kuhlen,

dass ich SEHR dafür bin, dass gute studentische Abschlussarbeiten publiziert 
werden, möchte ich hier vorausschicken. Ich glaube aber nicht, dass es möglich 
ist, die Publikation studentischer Abschlussarbeiten rechtlich vorzuschreiben. 

Hierzu gäbe es drei Möglichkeiten, nämlich die Bestimmung der 
Publikationspflicht in einer Satzung der Hochschule (Prüfungsordnung), im 
Hochschulgesetz des jeweiligen Bundeslandes oder im Urheberrechtsgesetz. 

Bevor ich auf diese drei Möglichkeiten eingehe, zunächst ein Wort zur 
Publikationspflicht bei Dissertationen. Dies deshalb, weil gerade die 
Publikationspflicht bei Dissertationen in der aktuellen Diskussion als 
vergleichbarer Sachverhalt genommen wird. 

Dissertationen sind mit studentischen Abschlussarbeiten aber nicht vergleichbar.

Dissertationen sind selbständige wissenschaftliche Arbeiten, die einen 
Erkenntnisfortschritt in der Wissenschaft darstellen. Da Wissenschaft aber ein 
notwendigerweise auf Kritik und Kommunikation aufgebautes System ist, kann ein 
wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt nur dann ein wissenschaftlicher sein, 
wenn er sich der Fachkommunikation stellt, mithin publiziert wird. 

Die Publikation ist hier dem Merkmal ?wissenschaftlich? eigetümlich. Wer nicht 
publiziert, hat eben keine wissenschaftliche Leistung vollbracht, jedenfalls 
keine, die mit einem akaddemischen Titel, einem öffentlichen Ausweis 
geleisteter wissenschaftlicher Arbeit honoriert zu werden verdient. 

Daher geht das Prüfungsrecht davon aus, dass die Publikation der Dissertation 
Teil der Prüfungsleistung ist. Das Prüfungsrecht kann auch bestimmen, wie die 
Publikation für die jeweilige wissenschaftliche Community angemessen zu 
erfolgen hat. 

Dies wäre etwa die Grundlage, in bestimmten Fachkulturen schon heute eine 
elektronische Publikation zwingend vorzuschreiben. Die Veröffentlichung auf 
Mikroform, ein Relikt des ausgehenden analogen Bibliothekszeitalters, dürfte 
meines Erachtens schon heute nicht mehr dem prüfungsrechtlichen Standard 
entsprechen und gehört abgeschafft.

Die Pflicht zur Publikation der Dissertation besteht freilich nur mit Blick auf 
das Ziel der Promotion. Sie ist KEINE urheberrechtliche Pflicht. Der Doktorand 
wird durch die prüfungsrechtliche Publikationspflicht in seinem Urheberrecht 
überhaupt nicht eingeschränkt. 

Niemand kann ihn zwingen, seine Arbeit zu publizieren, weil nur er allein 
Inhaber der Veröffentlichungsrechte ist. Publiziert er seine Arbeit nicht, so 
wird er allein prüfungsrechtlich sanktioniert. Er bekommt eben keinen Titel. 
Das ist wie beim Sportabzeichen: Niemand kann mich zwingen, in einer bestimmten 
Zeit um den Sportplatz zu rennen. Nur, wenn ich das nicht tue, bekomme ich eben 
kein Sportabzeichen.

Daraus wird deutlich, dass ich für die schlichte Publikation der Dissertation 
keine gesetzliche Grundlage außerhalb des Prüfungsrechts brauche. Eine andere 
Frage ist die Zahl abzuliefernder Werkstücke bei gedruckten Arbeiten. Hier 
liegt ein Eingriff in das Eigentum vor, der juristisch andes zu qualifizieren 
ist, inbesondere verhältnismäßig sein muss. Ich lasse das Thema mal beiseite, 
obwohl hier einiges im argen liegt. Für die elektronische Publikation ist es 
gleichgültig.

Kommen wir zur studentischen Abschlussarbeit. Diese ist von ihrem Anspruch her 
keine eigenständige wissenschaftliche Leistung, sondern lediglich der Ausweis, 
dass wissenschaftliche Methoden lege artis auf eine vorgegeben Fragestellung 
angewendet werden können. 

Ich zitiere hier § 2 des Allgemeinen Diplomprüfungsordnung der TU Ilmenau:

"Zweck der Diplomprüfung
Die Diplomprüfung bildet den berufsqualifizierenden Abschluss des 
Diplomstudienganges, der insbesondere auf eine wissenschaftliche Qualifizierung 
ausgerichtet ist. Durch sie wird festgestellt, ob der Kandidat die 
Zusammenhänge des mit seinem Studiengang gewählten Fachgebietes überblickt und 
die Fähigkeit besitzt, wissenschaftliche Methoden und Erkennt-nisse anzuwenden 
sowie die für den Übergang in die Berufspraxis notwendigen gründlichen 
Fachkenntnisse erworben hat."

Ist dieser Nachweis als schriftliche Leistung erbracht und von den 
prüfungsrechtlich vorgesehenen Personen positiv begutachtet worden, sind die 
Anforderungen der Prüfungsordnung erfüllt. Die Publikation dieser Arbeit ist, 
da sie eben keinen wissenschaftlichen Beitrag darstellen muss, kein Teil der 
Prüfungsleistung. 

Von daher kann sie auch nicht Gegenstand des Prüfungsrechts sein. Schon gar 
nicht darf die Graduierung von der Erfüllung einer Publikationspflicht abhängig 
gemacht werden. Wäre dies anders, so wären technische Diplomarbeiten, die aus 
Indusrieprojekten erwachsen, schlicht unzulässig, weil diese Arbeiten aufgrund 
einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Diplomand und Firma gar nicht 
veröffentlicht werden dürfen. Gleichwohl ist es gängige Praxis, dass gerade an 
technischen Hochschulen derartige Diplomarbeiten geschrieben werden und die 
prüfungsrechtlichen Anforderungen fraglos erfüllen. 

Wenn nun die Publikation als Mitteilung an die wissenschaftliche Öffentlichkeit 
nicht Bestandteil der Prüfungsleistung ist, sondern als weitere Pflicht 
hinzutritt, wäre im Unterscheid zur Promotion tatsächlich ein Eingriff in das 
Veröffentlichungsrecht gegeben, denn dem Studenten wird eine Handlung 
abgenötigt, die von der Sache her mit dem Prüfungsverfahren nichts zu tun hat. 

Vollkommen neben der Sache wäre eine Verknüpfung von Graduierung und 
Publikation. Dadurch würde der hochschulrechtliche Unterscheid zur 
Doktorprüfung verletzt. Eine andere Möglichkeit wäre, im Wege der 
Prüfungsordnung ein Nutzungsrecht auf die Hochschule übergehen zu lassen. Das 
aber wäre ein Eingriff in das Urheberrecht, der nur im Urheberrechtsgesetz 
selbst vorgenommen werden könnte. Aus verfassungsrechtlichen Gründen wäre hier 
aber eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. 

Ich habe große Zweifel, hier einen gesetzlich vorgeschriebenen Übergang von 
Nutzungsrechten an die Hochschule für zulässig zu halten. Wenn es schon bei den 
viel stärker auf Publikation hin angelegten Dissertationen kein 
urheberrechtliches Nutzungsrecht der Hochschule an der Arbeit gibt, dann kann 
ich nicht erkennen, wo das öffentliche Interesse liegen sollte, bei 
studentischen Abschlussarbeiten anders zu verfahren.

Lange Rede, kurzer Sinn: Weil studentische Abschlussarbeiten eben keine 
eigenständigen wissenschaftlichen Leistungen sein müssen, sondern allein die 
handwerksmäßige Beherrschung wissenschaftlich-methodischen Arbeitens belegen, 
sind sie nicht auf Publikation in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit 
angelegt. Hierin unterscheiden sie sich grundlegend von Dissertationen.

Es gibt daher keine prüfungs- oder hochschulrechtliche Möglichkeit, die 
Publikation von Abschlussarbeiten rechtlich zu erzwingen. Ein solcher Zwang 
wäre allenfalls als urheberrechtlicher denkbar. Hier aber dürfte es kein das 
Urheberrecht der Autoren überwiegendes öffentliches Interesse an einer 
Publikation studentischer Abschlussarbeiten geben.

Die Publikation der wirklich guten Arbeiten kann man rechtlich also nicht 
erzwingen. Man sollte aber an der Hochschule eine Publikationsmöglichkeit 
gerade für diese Arbeiten eröffnen. Qualität muss nicht in der Schublade 
verstauben oder in der grauen Masse der hinkenden Privatdrucke von 
Diplomarbeitsverlagen untergehen.

Eric Steinhauer



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.