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Re: [InetBib] Antw: Re: Nutzungsrechte an Diplom-, Master- und Bachelor-Arbeiten



Werte Gemeinde!

Selbst der Autor einer Dissertation kann Jahre nach deren Veröffentlichung seine
Meinung bezüglich seines Elaborats ändern.

Vor einiger Zeit hatte eine Dame versucht, vor Gericht die Zurückziehung ihrer
Dissertation zu erstreiten. Sie hatte sich dabei auf § 42 UrhG (Rückrufsrecht
wegen gewandelter Überzeugung) berufen, weil ihr nach Jahren klar geworden sei,
daß ihre Dissertation eher feuilletonistisch und nicht wissenschaftlich sei. Das
angerufene OLG hat die Klage voll abgewiesen. Obwohl die betroffene Autorin
immer mehr in Panik geriet (wohl wegen vernichtender Kritiken) und sogar dem
Gericht anbot, auf ihren Doktortitel verzichten zu wollen, ist sie mit ihrer
Klage gescheitert. 

Denn: "Vom Zeitpunkt seiner Publikation an entwickelt jedes Druckwerk ein
Eigenleben. Es bleibt nicht nur vermögenswertes Ergebnis verlegerischer
Bemühungen, sondern wirkt in das Gesellschaftsleben hinein. Damit wird es zu
einem eigenständigen, das kulturelle und geistige Geschehen seiner Zeit
mitbestimmenden Faktor. Es ist, losgelöst von privatrechtlicher Verfügbarkeit,
geistiges und kulturelles Allgemeingut." BVerfGE 58, 137 (148 f.) 

Es ist das alleinige Recht des Autors, über eine Veröffentlichung zu entscheiden
(§ 12 UrhG). Von diesem Grundsatz gibt es nur eine einzige Ausnahme: die
Veröffentlichungspflicht für Dissertationen. Mich überzeugt dieses System.
Sollte es geändert werden, würde ich aufhören, kreativ tätig zu sein (Text,
Bild, Ton), weil nicht jeder Mist von mir in die Öffentlichkeit gehört.

Mfg

--
Dr. Harald Müller
 
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht /
Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law
and International Law / Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx

-----Original Message-----
From: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] On Behalf Of Heinrich C. Kuhn
Sent: Friday, July 25, 2008 9:19 AM
To: Internet in Bibliotheken
Subject: Re: [InetBib] Antw: Re: Nutzungsrechte an Diplom-,Master- und
Bachelor-Arbeiten

In Antwort auf einiges was Klaus Graf schrieb:
(1) Wenn Konsens besteht, dass es Dissertationen gibt, die
besser nicht veroeffentlicht worden waeren, 

*Der* Konsens besteht *nicht*. Gerade die Veroeffentlichungs-
*pflicht* bei Dissertationen stellt sicher dass wer eine
grottenschlechte Diss. durchgehen laesst an eignem Prestige
verliert. Es gibt m.E. Buecher die besser nie veroeffentlicht
worden waeren und fuer die noch dazu ein Doktortitel ver-
geben wurde. Aber das heisst nicht dass es Arbeiten gibt 
fuer die ein Doktortitel vergeben wurde und die besser
nicht veroeffentlicht worden waeren. (Ja, das ist eines
der Beispiele dafuer dass Logik mindestens manchmal nicht
uenabhaengig von Metaphysik ist; und, ja: nicht nur Juristen
koennen Haare spalten ... [:-) ... .)

sollte man sich
auch darueber einigen koennen, dass es Abschlussarbeiten
gibt, die veroeffentlicht werden muessten, es aber nicht
werden.

Wenn da "soollten" statt "muessten" stuende: wuerde ich
sagen: ja.


Die Frage ist, welchen Anteil diese Arbeiten haben. Ist er
vernachlaessigbar, koennen wir das Problem abhaken.

In dem Bereich wo ich selber arbeite ist er nicht vernach-
laessigbar. Ich denke er liegt irgendwo zwischen 10 und
50 Prozent.


Es gibt genuegend Moeglichkeiten, kostenfrei solche
Arbeiten zu publizieren: bei Dr. Mueller, Diplomica,
Contentgrin, teilweise auch auf den Schriftenservern. Es
wird aber nur ein kleiner Teil aller Arbeiten dort (oder
gelegentlich im Druck) publiziert, und nichts spricht
dafuer, dass dies genau die Arbeiten sind, deren
Nicht-Veroeffentlichung zu bedauern ist.

Die meisten Absolventen haben keinen Anreiz fuer eine
Publikation. Sind es gute Leute, sind sie oft schnell im
Beruf und haben dann fuer die ihres Erachtens noetige
Ueberarbeitung keine Zeit.

In die Pruefungsordnung reinzuschreiben dass die Absol-
vent/inn/en das *Recht* haben die Arbeit ueber einen
Server der graduierenden Einrichtung zu veroeffentlichen
koennte mehr Aufmerksamkeit erregen (und nebenbei auch
qualitaetssichernd wirken). Bei Pruefungsordnungen aber die
weder "Rueckgabe zur Ueberarbeitung" noch Auflagen fuer
Aenderungen vor Veroeffentlichung vorsehen eine Ver-
oeffentlichungs*pflicht* reinzuschreiben scheint mir nach
wie vor wenig sinnvoll.
 

Der Anreiz, dass die Betreuer Arbeiten zur
Veroeffentlichung vorschlagen, ist denkbar gering. 

Das ist ein weites Feld. Ich sehe's bei weitem nicht
so pessimistisch. Gruende koennen u.a. sein die Arbeit
durch andere ueberpruefbar zitieren zu koennen, den
Nachwuchs zu foerdern, zu dokumentieren welches Niveau
(zumindest einige der) Abschlussarbeiten an der eignen
Einrichtung haben, Nachwuchsfoerderung zu dokumentieren,
der Forschung auf dem betreffenden Gebiet zu nutzen.

 
Da der hochschuleigene Schriftenserver kaum einem Professor
bekannt sein duerfte, 

Gibt's dafuer Belege?


   Mit freundlichen Gruessen

Heinrich C. Kuhn

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|    Dr. Heinrich C. Kuhn
|    Seminar fuer Geistesgeschichte und
|    Philosophie der Renaissance
|    Ludwig-Maximilians-Universitaet Muenchen
|    D-80539 Muenchen / Ludwigstr. 31
|    T.: +49-89-2180 2018, F.: +49-89-2180 2907
|    http://www.phil-hum-ren.uni-muenchen.de/
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