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Re: [InetBib] R: Koelner Katastrophe



Torsten Schassan schrieb:
Herr Dietze,

- - Wen werden im Falle des Komplettausfalls allen Stroms die historischen
Kulturgüter interessieren?
Jeden, den auch heute die Überlieferungen vergangener
Jahrhunderte/-tausende/-millionen interessieren würden. Das Interesse an

der tiefere Grund meiner Aussage ist doch ein anderer als die
buchstäbliche Frage nach dem Interesse (ich hätte es ja auch!): Was
immer eine Situation herbeigeführt haben wird, in der unsere
Zivilisation wesentlicher Grundlagen (Versorgung, Transport etc) beraubt
sein wird, wird Verwerfungen anderer Art mit sich bringen, welche mit
Kulturgütern das anstellen, was die Geschichte immer getan hat:
willkürliche Selektion.

Aber gerade das HEUTE anzunehmende Interesse einer nachfolgenden
Generation an den HEUTE für archivwürdig befundenen Dokumenten ist es
doch, das uns diese Anstrengungen unternehmen lässt.

Die heutige Selektion aus dem Pool der überhaupt archivierbaren
Dokumente ist doch auch mehr oder weniger willkürlich. Viele Faktoren
spielen eine Rolle bei der Entscheidung, welches Dokument archiviert
wird und welches nicht. Nicht zuletzt ist doch alles auch eine Frage der
Finanzierung.

Niemand kann heute sagen, aus welchen Dokumenten jemand in 500 Jahren
welche Rückschlüsse auf unsere Zeit ziehen wird. Und erst recht kann
dies nicht gesteuert werden.

Sie sprechen eine spezielle Situation an, sei es ein Krieg, eine
Naturkatastrophe oder ein Ereignis wie vorgestern in Köln. Dies sind
aber nur temporäre Erscheinungen im Lauf der Geschichte. Danach kommt
immer eine Zeit in der die Menschen zur Ruhe kommen und und sich an die
Aufräumarbeiten machen können. DANN ist der Zeitpunkt, zu dem eine
Technologie vorhanden oder eben nicht vorhanden ist. In Zeiten des Chaos
kann man nur hoffen, dass der angerichtete Schaden möglichst gering bleibt.


- - Hat die Elektrizität unser Leben nicht bereits in einer Weise
verändert, hinter die wir nicht mehr zurück können? Wie wird man z.B.
die Mikrofilme lesen, wenn kein Strom mehr da ist?
Das ist ein recht simples Unterfangen, denn auf die Gesetzmäßigkeiten
der Optik stößt der vernunftbegabte Mensch recht schnell; ein
Vergrößerungsglas kann also als existent vorausgesetzt werden.

Wohlfeil, aber was wird aus dem langzeitsicheren Mikrofilm, der vor
allem dann langzeitsicher ist, wenn er unbenutzt bei klimatisch stabilen
Bedingungen im Stollen liegt? Wenn der Film mit den analogen
Hilfsmitteln benutzt wird, wieviele solcher Benutzungsvorgänge hält er
aus, ohne Schaden zu nehmen?

Richtig, das ist ein gutes Argument, aber dies gilt genauso für heute
untersuchte Dokumente vergangener Zeiten. Mit Handschriften des
Mittelalters wird eben sehr vorsichtig umgegangen, da man um die
Vergänglichkeit des Trägermaterials weiß. Das Ziel der LZA kann nicht
sein, einen Datenträger zu finden, der unverwüstlich ist und im späteren
Gebrauch keine Abnutzungserscheinungen zeigt. Die Wahrung der
Datenträger liegt in der Verantwortung der folgenden Generationen. Wer
auch immer wann auch immer und unter welchen Umständen auch immer einmal
den Barbarastollen aushebt, trägt dann die Verantwortung für den
weiteren Verbleib der Sammmlung. Das kann von heute aus nicht sinnvoll
geregelt werden.

Mich interessiert an diesem Punkt brennend die Frage, wie das Prozedere
bei der geplanten 'Wiederherstellung' des Archivs aus den gelagerten
Kopien genau abläuft. Schließlich ist es ja eine Art Kontaminierung des
Archivmaterials wenn dieses entnommen und vervielfältigt wird.


Nur um das noch einmal zu betonen: Ich bin nicht überzeugt von dem
unbedingten Vorrang der elektronischen vor den analogen Medien. Je mehr
Formen wir haben, desto wahrscheinlicher ist das Überleben irgendeiner
davon. Allerdings scheinen mir bestimmte Vorteile der elektronischen
evident zu sein, vor allem in Hinblick auf die Zugänglichkeit.

Von einer Gesellschaft ausgehend, die nicht über ausgefeilte Elektronik
verfügt (ein nicht ganz unwahrscheinliches Szenario) und eventuell nicht
einmal Elektrizität zu nutzen weiß, sind elektronische Medien
gleichzusetzen mit nicht vorhandenen Medien. Der Weg, diese zu
entschlüsseln wäre aufwändig und würde wohl mehrere Generationen dauern.
Je einfacher das Medium und die enthaltene Kodierung für den Menschen zu
lesen ist, desto besser geeignet ist diese Kombination. Und einfache
Alphabete mögen zwar platzraubend sein, bergen aber die besten Chancen
entschlüsselt zu werden.


Herzliche Grüße
Ben Dietze



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