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Re: [InetBib] Ulmer-Brief an wiss. Autoren/Verfassungsbruch



Sehr geehrter Herr Stephan,

Zum Vergleich freier Schriftsteller und öffentlich bediensteter Autoren: das ist ja exakt andersrum als Sie das vermuten:

Als angestellter in der Privatwirtschaft regelt der Arbeitsvertrag, ob die Nutzungsrechte an in der Arbeitszeit gemachten Werken dem Unternehmen gehören oder nicht. Dagegen legt das Gesetz gerade bei öffentlich finanzierten Autoren im Bereich der Wissenschaft fest, dass nur Sie und gerade eben nicht die sie finanzierende Institution über die Nutzungsrechte verfügen dürfen.

Natürlich überrascht das weil man es gerade umgekehrt auf den ersten Blick logischer gefunden hätte. Aber genau darum geht es in der gesamten Diskussion und im Heidelberger Appell: die Freiheit von Wissenschaft und Forschung.

Im Grundgesetz ist die Freiheit von Forschung und Lehre in Artikel 5 Abs. 3 GG festgelegt:

        (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.

Und im Hochschulrahmengesetz §4 steht dazu folgendes:

(1) Das Land und die Hochschulen haben sicherzustellen, daß die Mitglieder der Hochschule die durch Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verbürgten Grundrechte wahrnehmen können. (2) Die Freiheit der Forschung (Artikel 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes) umfaßt insbesondere die Fragestellung, die Grundsätze der Methodik sowie die Bewertung des Forschungsergebnisses und seine Verbreitung. Entscheidungen der zuständigen Hochschulorgane in Fragen der Forschung sind insoweit zulässig, als sie sich auf die Organisation des Forschungsbetriebes, die Förderung und Abstimmung von Forschungsvorhaben und auf die Bildung von Forschungsschwerpunkten beziehen; sie dürfen die Freiheit im Sinne von Satz 1 nicht beeinträchtigen.

Das heißt, das Recht frei entscheiden zu können, wo und wie die Forschungsergebnisse verbreitet werden sollen, das ist ein verfassungsmäßig verbrieftes Recht gerade für die Wissenschaftler.

Warum? Weil man üble Erfahrungen gemacht hat mit der Diktatur, in der eben diese Freiheit nicht existierte und die Wissenschaftler nur dort veröffentlichen durften, wo man es ihnen vorschrieb.

Es geht also darum, ob man diese Lehre aus der Diktatur über Bord wirft und die Freiheit der Wissenschaft wieder einschränken will. Solange das im Gesetz nicht verändert wird, gilt die Verfassung. Und damit sind die Hochschulen und auch die öffentlich finanzierten Hochschuleinrichtungen eben angewiesen, die Einhaltung dieser Freiheit sicherzustellen.

Der Heidelberger Appell basiert genau darauf, dass Universitäten, Wissenschaftsministerien der Länder und Forschungseinrichtungen hier grundgesetzwidrig handeln und Ihrem Auftrag nicht nachkommen.

Und zu den Dissertationen: der Autor wählt doch aus, bei welchem Verlag er publizieren will. Und jeder Verlag hat bestimmte Konditionen, die Bestandteil des Verlagsvertrages sind. Wenn nun ein Verlag sagt, dass er Dissertationen als Buch veröffentlicht, aber keine parallele digitale Publikation möchte, dann ist das für den Autor vor Vertragsschluss klar. Er entscheidet sich frei für diesen Verlag.

Dann kann er aber auch nicht später kommen und sich beschweren, dass ihm die parallele Veröffentlichung im Netz nicht genehmigt wird. Das dürfte doch für jeden selbstverständlich sein, dass Vereinbarungen eine gewisse Verlässlichkeit haben müssen.

Eine Einschränkung der Freiheit des Autors ist das nicht, denn die Einschränkung hat er selbst entschieden. Man kann jetzt natürlich mit dem Argument kommen: da hat er zwar unterschrieben, das hat er aber gar nicht so gemeint... Aber dann stellen wir die Mündigkeit und Vertragsfähigkeit der Menschen insgesamt zur Disposition.

Dass die Publikationsvorschriften bei Dissertationen ein Problem sind, da stimme ich sofort zu. Man sollte hier generell auf Elektronik umstellen. Dann können Verlage - dort wo ihnen ein Thema und eine Arbeit wichtig erscheint - mit dem Autor an einer nachfolgenden Buchveröffentlichung arbeiten, die ja um vieles bereinigt und in anderem vertieft werden könnte.


Schöne Grüße
Matthias Ulmer
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Geschäftsführer: Matthias Ulmer




Am 30.03.2009 um 15:33 schrieb Armin Stephan:

Am 30 Mar 2009 um 14:17 hat Matthias Ulmer geschrieben:


Ihr Hinweis auf Lessing führt natürlich zu der Frage: wer ist wer?
Jeder nimmt wohl für sich in Anspruch, hier der Lessing zu sein und
gegen die Dogmatik des anderen anzukämpfen. Aber wer entscheidet,
wer
wer ist?

Ich natürlich nicht, aber ich würde gerne noch ein paar Beobachtungen
anfügen, die bei der Entscheidung hoffentlich hilfreich sein können:

- Selbst an unserer kleinen Hochschule habe ich zahllose Fälle miterleben
müssen, wo Verlage dem Wunsch der Promovierten nicht zugestimmt
haben, ihre Dissertation nicht nur als Print-Medium beim Verlag zu
veröffentlichen, sondern auch parallel auf dem Dokumentenserver der
Hochschule.
Versteht man das auf Verlagsseite als Freiheit der Autoren, selber zu
entscheiden, wo und wie ihre Werke veröffentlicht werden?
- Ganz zu schweigen von den vielen Fällen, wo Promovierte einen
Spießrutenlauf durch das Verlagswesen der gesamten Republik absolvieren
mussten, um überhaupt einen Verlag zu finden, der bereit war, die
Dissertation zu veröffentlichen. (Ich weiß: Das Dissertationswesen ist auf
dem besten Weg zu kollabieren.) Dabei konnte ich, mit Verlaub, nicht
immer erkennen, dass dabei qualitative Gesichtspunkte im Vordergrund
standen.
- Das zeigt meines Erachtens, dass die Verlage sich gerne als Beschützer "ihrer" Autoren sehen, diese aber nicht selten in Wirklichkeit knebeln. Nicht
das Publikationswesen steht immer im Vordergrund, immer aber auch das
kommerzielle Interesse des Verlages.

- An unserer Hochschule ist es den Promovierten frei gestellt, ob sie ihre
Dissertation über den Dokumentenserver der Hochschule oder über einen
Verlag oder auf beiderlei Weise veröffentlichen. Letzteres geht natürlich nur
mit Zustimmung des Verlages und die wird in den meisten Fällen immer
noch verweigert.

- Es scheint mir auch kategorisch falsch, wissenschaftliche Autoren und
freie Schriftsteller in diesem Zusammenhang in einen Topf zu werfen.
Wissenschaftlich Tätige sind hierzulande üblicher Weise Beamte oder
Angestellte einer wissenschaftlichen Trägerinstitution. Ihre
Forschungsergebnisse basieren auf der Infrastruktur, die ihnen der Träger zur Verfügung stellt. Und nicht zuletzt werden sie für ihre Arbeit bezahlt.
Vor diesem Hintergrund finde ich die Forderung der Rektorenkonferenz
durchaus vertretbar, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse, die
i.d.R. mit öffentlichen Geldern finanziert worden sind, nicht an kommerzielle
Verwerter weiter gegeben werden sollten, so dass man diese dann
wiederum mit öffentlichen Geldern zurück kaufen muss.

Man stelle sich einen Mitarbeiter eines Pharma-Unternehmens vor, der im
Labor und mit Auftrag seiner Firma ein neues Medikament entwickelt, um
nach Fertigstellung dann zu sagen: Ach, ich würde das Medikament gerne
einer anderen Firma für die Vermarktung anbieten (und mich an dem
Gewinn beteiligen) ...

Genau das geschieht aber, wenn ein Wissenschaftler seine
Arbeitsergebnisse einem Verlag gibt und nicht - was zugegebener Maßen
erst seit kurzem möglich ist - die Publikationsinfrastruktur der eigenen
Einrichtung nutzt. Dieses Verfahren hat sich im Laufe der Geschichte
dermaßen eingebrannt in unser Wissenschaftssystem, dass es nun
Verwunderung auslöst und man sogar die Verletzung von Rechten darin
sieht, wenn es in Frage gestellt wird.

Ich muß gestehen, dass auch ich mir ungläubig die Augen gerieben habe,
als ich seinerzeit zum ersten Mal die entsprechende Verlautbarung der
Rektorenkonferenz gelesen habe.


Mit freundlichen Gruessen
Armin Stephan
Jefe de Biblioteca
Augustana-Hochschule / Bibliothek
D-91564 Neuendettelsau
Tel. 09874/509-300
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