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Re: [InetBib] Ulmer-Brief: Verfassungsbruch?



Sehr geehrter Herr Ulmer,

ein sachlicher Dialog zwischen Wissenschaft und Verlagen ist absolut notwendig. 
Plakative Forderungen, egal von welcher Seite sie kommen, liegen meist neben 
der Sache. 

DIE wissenschaftliche Publikation gibt es nicht. Lehrbücher sind etwas anderes 
als Zeitschriftenaufsätze und die etwas anderes als Sammelbandbeiträge. Von 
Nachschlagewerken und Quelleneditionen will ich gar nicht reden. Auch gibt es 
in den unterschiedlichen Fächern unterschiedliche Publikationskulturen. Man 
kann Hochenergiephysik und Assyriologie nicht über einen Kamm scheren.

Die Debatte um Open Access geht vor allem um die unselbständigen Werke, 
vielleicht noch um Hochschulschriften, aber eigentlich gar nicht um Lehrbücher. 
Dass hier gewisse Großverlage die Stimmung verdorben haben, sehe ich auch so. 

In der Frage der "Sichtbarkeitsrendite" als "Erlös" des wissenschaftlichen 
Autors sind wir ja schon in anderem Zusammenhang auf 
wissenschaftsurheberrecht.de nicht übereingekommen. Ich bleibe dabei. Soweit 
ich Kontakt zu publizierenden Wissenschaftlern habe, sehe ich mich da eher 
bestätigt. Inwieweit ich hier zu Aussagen kompetent bin, stelle ich gerne Ihrem 
Urteil anheim. Als Autor von gut 200 eigenen wissenschaftlichen Publikationen 
habe ich da allerdings so gewisse Vorstellungen, die ich nicht unbedingt als 
theoretische Hirngespinste bezeichnen möchte. Ich bin kein Abstinenzler, der 
Ihnen Rotwein verkaufen will. Ich trinke selbst.

Sie schreiben, es gehe nicht an, mit der Vergabe von Forschungsgeldern eine 
Pflicht zu verbinden, in bestimmter Weise zu publizieren. Sie beziehen sich 
hier wohl auf Gelder, die etwa von der DFG verteilt werden. 

Der verfassungsrechtliche Status von DFG-Mitteln ist ein interessantes Problem. 
Man könnte darüber eine spannende Dissertation schreiben. Soweit es um 
Wissenschaftler an Hochschulen geht, ist deren Anspruch auf grundrechtskonforme 
Arbeitsbedingungen durch den Dienstherrn abgegolten. In diesem Bereich sehe ich 
die Statuierung von bestimmten Publikationspflichten in der Tat sehr kritisch. 
Ich gebe zu, dass dieser Standpunkt, der dem Ihren ziemlich nahe kommt, in der 
Open-Access-Szene nicht nur Freunde hat.

DFG-Gelder sind für mich normale Drittmittel. Wie würden Sie es denn mit Blick 
auf die Publikationsfreiheit von Wissenschaftlern beurteilen, dass 
Industriegelder und Auftragsforschung an den Hochschulen nicht selten mit 
PublikationsVERBOTEN einhergeht, die vertraglich und strafbewehrt vereinbart 
werden? Wären solche Klauseln im Lichte des Grundrechts der 
Wissenschaftsfreiheit sittenwidrig? Ich glaube nicht. Wer der Wissenschaft über 
das grundrechtlich hinaus Erforderliche Geld gibt, darf meiner Meinung nach 
schon die Regeln bestimmen, wie mit den erzielten Ergebnissen zu verfahren und 
wie diese zu publizieren sind. 

Das ist dann auch ein gutes Stück politische Entscheidung. Ich glaube nicht, 
dass das Grundrecht der Wissenschafsfreiheit hier nur die eine richtige 
Entscheidung erlaubt. Hier ist eine Pflicht zu Open Access ebenso zulässig, wie 
den Dingen weiter ihren Lauf zu lassen wie bisher. Hier verlassen wir den 
Bereich des Rechts und treten ein in die politische Diskussion. 

Ein anderer Bereich, wo es Regeln für Open Access geben kann, wären die 
Hochschulschriften, insbesondere die Dissertationen. Es ist eine vollkommen 
autonome Entscheidung der Wissenschaft, Open Access verbindlich zu machen. Die 
einzig relevante Frage ist hier nur, auf welcher Ebene die Entscheidung 
anzusiedeln ist. Ich würde sie in die Hochschulen und Fakultäten geben. 

Schließlich möchte ich dabei bleiben, dass ein ZweitveröffentlichungsRECHT des 
Wissenschaftlers als Korrektiv für unfaire Verlagsverträge aus Gründen der 
Wissenschaftsfreiheit notwendig ist. Wie dies im Detail auszugestalten wäre, 
darüber kann man füglich streiten. Ich persönlich halte eine gesetzliche 
Embargofrist von 6 Monaten für zu kurz. 

Als wissenschaftlicher Autor möchte ich anmerken, dass ich ein solches 
gesetzliches Recht bisher nicht gebraucht habe. Faire Bedingungen gab es auch 
so. Aber bei den schwarzen Schafe, deren Existenz Sie selbst zugeben, bei denen 
wäre ein Zweitveröffentlichungsrecht schon wichtig.

Sie haben dann noch den Sumpf der Repositorien angesprochen. Gute 
Dienstleister, die da Struktur und Ordnung hineinbringen, dürften in absehbarer 
Zeit hier einen guten Markt finden. Das ist dann vielleicht so wie bei der 
Bibliothekssoftware. In der Anfangszeit des EDV-Zeitalters haben engagierte 
Bibliothekare und Informatiker spannende Programme zusammengeschraubt. 
Irgendwann wurde die Sache zu groß für die Marke Eigenbau. Heute bieten 
kommerzielle Firmen diese Produkte an und leben nicht schlecht davon. 

So gesehen: Lassen Sie den Open-Access-Baum einfach fröhlich wachsen, wenn er 
groß ist, kommt der Gärtner und erntet die Früchte! ;)

In diesem Sinne freundliche Grüße
Eric Steinhauer



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