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Re: [InetBib] Lehrbücher und böses Open Access [was: Re: =?iso-8859-1?q?= ... ]





Eric Steinhauer schrieb:
Fazit: Die Zeiten, in denen juristische Information in edlem Leder 
gebunden wurde, geht zu Ende. Es lebe die PDF-Datei.

Eine bescheidene Frage: Wer soll denn die PDF-Datei schreiben? Ich
glaube kaum, dass Juristen mit wissenschaftlicher Einstellung sich zu
Schreibsklaven von Instand-Kommentaren machen lassen. Gute
Rechtsliteratur braucht Zeit. Zeit zum Nachdenken, zum Schreiben, zum
Lesen.

Lieber Herr Steinhauer,

ich hatte ja auf das Mietrecht hingewiesen. Die Halbwertszeit einer
Meinung im Mietrecht kann sehr kurz sein. Erst kam die Mietrechtsreform,
dann kam die Zuständigkeit des BGH bis hin zum Rollator im Treppenhaus.
Die jährlichen Übersichtsaufsätze von Lützenkirchen in der WuM und die
Übersichtstabellen der Redaktion über die einschlägigen
BGH-Entscheidungen geben ein beredtes Beispiel von der Dynamik und dem
Umfang, den diese Veränderungen mittlerweile angenommen haben. Ich kann
mich an seitenlange Kommentierungen im Staudinger erinnern, die durch
ein Urteil des BGH Makulatur geworden waren, ein Jahr nach Erscheinen.

Die juristische Literatur befindet sich im Umbruch. Die bisherigen
Professoren-Richter-Referenten-Kommentare, die alle paar Jahre mal die
wesentlichen Grundzüge der Rechtsentwicklung nachgezeichnet und
gründlich reflektiert haben, sind schon längst Dinosaurier geworden.
Solche Werke kann man nur gedruckt vertreiben, was aber für die Benutzer
sehr teuer ist. Als Online-Produkte sind sie nicht aktuell genug. Eine
Redaktion einzusetzen, die "den Staudinger" oder "den MüKo" ständig
tagesaktuell pflegt und zumindest auf neueste Entscheidungen verweist,
damit einem bei der täglichen Arbeit nichts wichtiges entgeht, ist
schlicht zu teuer. Die Fachinformation läuft deshalb über
Pressemitteilungen, Zeitschriften und (teils Online-)Fachdienste.
Grundlegendes wird über "Anwalts-Handbücher" und die praktische
Ausbildung vermittelt.

Auch der Palandt verkauft sich immer schlechter. Es gibt schon länger
Kollegen, stellten wir vor ein paar Monaten auf einer Mailingliste fest,
die *ausschließlich* mit Online-Quellen arbeiten (Gesetze,
Gesetzgebungsverfahren, Entscheidungen, sozialgerichtsbarkeit.de
Beck-Online, Juris, leider auch Lexis-Nexis etc.), evtl. noch ein, zwei
günstigere Zeitschriften im Abo, aber die arbeiten sogar ohne
Schönfelder & Co. Zur Reflexion ist im Alltag sowieso keine Zeit, das
kann ein Praktiker meist gar nicht lesen. Und der Staudinger steht auch
in den mittleren und größeren Kanzleien mehr oder weniger fürs Publikum
im Regal.

Die Grenze zwischen Wissenschaft und Praxis wird immer deutlicher. Schon
zu meiner Studienzeit arbeiteten viele ausschließlich mit Skripten und
fragten nebenraus, was ich denn da für große Bücher mit mir herumtrüge.

Der Staudinger versucht, auf diesen Trend der ständigen Beschleunigung
mit immer kürzeren Spannen zwischen den "Bearbeitungen" zu reagieren.
Man hat nach der 13. aufgehört, die Bände mit Auflagen zu bezeichnen.
Aber vergleichen Sie bitte mal vom Preis, vom Umfang und, wie gesagt,
von der Halbwertszeit her, die drei Bände zum Mietrecht plus EGBGB mit
dem brandneuen Sternel, Mietrecht aktuell, 1800 Seiten, 99 Euro. Bei der
Qualität ist das ein fairer Preis. Kostet soviel wie ein Jahr WuM. Bei
dieser Verlagspolitik von deGruyter-Sellier ist es nur noch eine Frage
der Zeit, bis der Staudinger denselben Weg geht, den der Brockhaus schon
eingeschlagen hat... also: nicht online und nicht offline, sondern eher
ins Off. Was ich auch äußerst traurig finde.

BTW, Sie haben schon länger ein Problem mit dem Betreff Ihrer Mails, ich
habe das mal repariert.

Grüße,
Jürgen Fenn.



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