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Re: [InetBib] Bibliotheksarbeit mit Arbeitslosen



Hallo, Frau Kühnel, liebes Forum -

wäre es in diesem Zusammenhang nicht auch interessant, die Betroffenen
über die Veränderungen in der Arbeitswelt zu informieren, Alternativen
aufzuzeigen, und ihnen Perspektiven zu eröffnen im Hinblick auf ganz
andere Wege (wie das bedingungslose Grundeinkommen), die von Menschen
in unserer Gesellschaft angedacht werden und in Zukunft wohl
unumgänglich sein werden; oder auch hinzuweisen auf gewerkschaftliche,
kirchliche und andere unabhängige Beratungsstellen, die bei
Uneinigkeit mit dem Amt Unterstützung bieten können, oder auch
seelische? den Blick in andere Richtungen zu lenken,  anstatt den
Druck zu verstärken (z.B in Richtung auf Scheinselbständigkeit, wie es
die Ämter oft im Namen der statistischen Bereinigung tun)?

Der Standardfall, die immergleichen Angebote von Websites und
Textverarbeitung-- gut gemeint auf rein funktionaler Ebene, fordernd
statt helfend in einer Lage, die an sich bitter genug ist, letztlich
herablassend, Fragen verbietend, selbst harmlose oder solche nach den
eigenen Rechten. Sicher, nützlich auch, aber wie gerne geht ein Mensch
in eine Bibliothek, wenn auch da jeder Computer sagt: 'Du solltest
aber jetzt zackig eine Bewerbung ausdrucken', und der immense Druck,
die Alternativlosigkeit den Atem nehmen?

Sollte nicht eine Bibliothek ein Ort zum Atmen sein auch für "Prekarier"?

Der Status der Arbeitslosen in der Gesellschaft - wenn ich das richtig
sehe, beziehen insgesamt fast 10 Mio. Menschen in diesem Land ALG I
oder II. Wohl jede/r kennt heute eine/n. Die Einsamkeit in dieser
Masse wird durch die Ängste und fremden schiefen Blicke, immergleiche
Anforderungen und sog. "Angebote" ohne jede Betrachtung der
individuellen Lage, und die Sprüche vom Sozialschmarotzertum massiv
verstärkt (niemand sagt das von denjenigen, die im Handstreich, in
einer Woche, 500 Mrd. Verfügungsmasse bewilligt bekamen - mehr als ein
Fünftel des dt. BIP, und ungefähr dem gesamten BIP der Türkei oder
Australiens entsprechend, die (lt. Wikipedia) ca. auf Platz 17 der
Weltrangliste stehen, wenn ich das richtig sehe - genug, um 40% oder
mehr der dt. Bevölkerung das Grundeinkommen für ein Jahr zu zahlen -
in der Dimension hat man es offenbar verdient, auch dann, wenn man die
Firma selber an die Wand gefahren hat).
Hier könnte die Bibliothek Kommunikation ermöglichen, die Angst vor
der Verachtung abbauen helfen, Kontaktpunkt sein.

Natürlich sind Geduckte billiger in der Haltung und einfacher in der
Handhabung, und schaffen Arbeit für Therapeuten.
Allein schon auf der psychologischen Ebene wäre sicherlich für viele
Menschen in der Situation der Ausblick auf ein Anderes eine echte
Erleichterung, zumal es oftmals schlicht keine passende Arbeit gibt.
Wie viele Leute können sich einen Putzjob oder das Frittenbacken bei
McD's teilen? Der Mann beim Sicherheitsdienst MUSS 10- oder
12-Stunden-Schichten schieben, um überhaupt auf einen Betrag zu
kommen, der die Miete zahlt. Der wird seine Arbeit nicht teilen.

Arbeitslosigkeit ist eine absolut niederdrückende Erfahrung, selbst
für Menschen, die sich sehr gut selber beschäftigen können und ihre
Rechte kennen und wahrzunehmen wissen. Weiter ist es m.E. auch für
z.B. Akademiker nicht ratsam, es allein mit Behörden aufzunehmen,
zumindest im Konfliktfall.

Stolz ist meist eh nicht mehr viel da.

Diese Informationen zu finden und wahrzunehmen, ist nicht immer
einfach, u.a. aus durchaus ähnlichen Gründen wie in einer Depression,
wie es ja denn auch in der Wirtschaft heißt. Und das wäre eine
soziale, gute Aufgabe für Bibliothekare, die ja professionell mit
Information umzugehen wissen.
Womit wir in gewisser Weise bei der Leseförderung wären. Solche
Angebote, auch in Zusammenarbeit, könnten Leute in die Bibliotheken
bringen.

Ich weiß, dass in vielen Bibliotheken im Land, vermutlich am meisten
in den öffentlichen, sowieso viel über die Zeit gearbeitet wird, mit
großem Einsatz. Das ist wunderbar und notwendig - und doch nicht gut.
Es gibt gute Argumente dafür, dass der gesamte sozio-kulturelle
Bereich schlicht nicht nach diesen Kriterien und/ oder rechnerisch
selbsttragend organisiert werden kann oder auch nur sollte, vom
Krankenhaus über die Bücherei bis zum Schwimmbad. Das ist
genaugenommen sogar die Basis des Begriffs: deshalb heißt das nämlich
"sozial".
Dies alles kann und sollte nicht allein dem betriebswirtschaftlichen
Kalkül überlassen werden - schon gar nicht in vorauseilendem Gehorsam.

Sicherlich ist die Problematik der 1-Euro-Jobs dem Forum bekannt. Die
gute Seite ist allemal, dass Leute etwas Sinnvolles und mitunter
Schönes zu tun bekommen, das neuen Selbstwert verleiht, die schlechte
die, dass eigentlich auch sozialen und Kultur-Projekten die Mittel
gegeben sein sollten, die eine ehrliche Anstellung ermöglichen.
Wirklich eine gute Sache sind 1-Euro-Jobs m.E. nur da, wo
Ehrenamtlichen auf diesem Wege zumindest eine kleine Vergütung
zukommen gelassen werden kann.

Dürfen Arbeitslose einfach nur Bücher leihen wollen - oder womöglich
Beratung, Unterstützung gegen das Amt suchen?
Oder gibt es da dann Interessenkonflikte mit der Verwaltung?

Nur ein paar Gedanken, mir aber sehr wichtige, und hoffentlich nicht
völlig off-topic -

Gruß,
Silke Ecks

-----------------
2009/5/6 Katja Kühnel <katja_kuehnel@xxxxxx>:
Liebe Kolleginnen und Kollegen an Öffentlichen Bibliotheken,



ich bitte um Ihre Mithilfe!



Im Rahmen einer Projektarbeit an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und
Kultur Leipzig möchten wir Konzepte zur Erschließung neuer Zielgruppen
erstellen. Meine Aufgabe ist es Bibliotheksangebote und Serviceleistungen
für erwerbslose Menschen zu entwickeln. Dazu würde ich unter anderem gern
auf den Erfahrungsschatz von öffentlichen Bibliotheken zurückgreifen. Leider
habe ich in der Fachliteratur nichts zum Thema Bibliotheksarbeit mit
Arbeitslosen gefunden. Ich würde mich daher sehr freuen, wenn mir jemand
Erfahrungen und Tipps geben könnte.



Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung!



Mit freundlichen Grüßen

Katja Kühnel





Studiengang Bibliotheks- und Informationswissenschaft, 6. Fachsemester



Hochschule für Technik Wirtschaft und Kultur Leipzig, Fakultät Medien:
www.fbm.htwk-leipzig.de




Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.