[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

[InetBib] Hybridpublikation: Zahlen aus Autorensicht



Liebe Liste,

stellen Sie sich vor, Sie gehen aus einem hellen Raum in einen dunklen. 
Rückwärts. Sie wissen nicht, wie der dunkle Raum aussieht, geschweige denn, wie 
groß er ist. Alles was Sie sehen, sehen Sie im Licht des Raumes, den Sie gerade 
verlassen haben. Je weiter Sie aber in den neuen Raum hineinkommen, desto mehr 
nehmen Sie wahr und desto heimischer werden Sie dort. Irgendwann finden Sie 
vielleicht auch den Lichtschalter und können dann den alten Raum ganz vergessen 
und vollkommen sicher im neuen Raum umhergehen.

Das ist etwa die Situation, in der wir uns alle (Autoren, Bibliothekare, 
Verleger) angesichts der neuen Strukturen des netzgestützen Publizierens 
befinden. Wir sehen immer noch alles vom Hergebrachten her. Verleger vielleicht 
mehr als Autoren, weil sie möglicherweise auch mehr zu verlieren haben oder 
sich schwerer tun, einen Standpunkt im neuen Raum zu gewinnen.

Beim hybriden Publizieren sind die Dinge meiner Meinung nach sehr 
vielschichtig. Für einige Arten von Literatur scheint es mir die eierlegende 
Wollmilchsau zu sein, für andere Arten von Werken gänzlich ungeeignet. 

Sehr passend finde ich es für moderne Lyrik. Derartige Literatur ist in 
Buchhandlungen fast ausnahmslos nicht vertreten. Kauft man ein Buch unbesehen, 
gleicht es oft einem Lotteriespiel; meist verliert man. Sind die Texte hingegen 
gut, will man sie physisch besitzen. Lyrik-Leser sind so. Open Access und 
Verkaufsförerung gehen hier eigentlich gut zusammen.

Sehr gut passt es auch zu Hochschulschriften. Ich bin der Ansicht, dass jede, 
aber auch wirklich jede Dissertation online zur Verfügung stehen muss. Nur so 
ist sie tatsächlich in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit ausreichend 
präsent. Der Umstand, für bestimmte, im allgemeinen sichtbare Reihen horrende 
Druckkostenzuschüsse bezahlen zu müssen, die sich noch nicht einmal in 
Lektoratsleistungen und dergleichen niederschlagen, ist nicht 
wissenschaftsadäquat. Sichtbarkeit und Erreichbarkeit sollten nicht "käuflich" 
sein.

Da wir es bei Dissertationen mit umfangreichen Texten zu tun haben, braucht man 
für die intensive Auseinandersetzung (v.a. für Rezensionen!!) immer auch die 
Lesefassung. Die kann im Print-on-demand-Verfahren leicht und kostengünstig 
hergestellt werden. Wird die Arbeit preiswert angeboten, wird es auch 
interessierte Privatkäufer geben. 

Hier kann ich nur aus meiner Perspektive sprechen. Bis 25 ? kaufe ich 
interessante Titel anstandslos, wenn ich den Text kenne und für gut befunden 
habe (Open Access!). Jenseits von 50 ? (leider üblich bei juristischen 
Arbeiten) ist - von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen - Feierabend.

Ich kann für den wirtschaftlichen Erfolg von hybriden Arbeiten aus 
Verlegersicht keine Zahlen vorlegen. Ich kenne aber die Zahlen meiner 
Dissertation, die ich hybrid publiziert habe, aus Autorensicht ziemlich gut. 

Die Lehrfreiheit katholischer Theologen an den staatlichen Hochschulen in 
Deutschland. - Münster : Verl.-Haus Monsenstein und Vannerdat, 2006. - XXIV, 
367 S. - (Theologie und Hochschule ; 2) ISBN 978-3-86582-334-2
Zugl.: Münster, Univ., Diss., 2006.
http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=6304

Einige der Zahlen hatte ich am 22. Januar 2008 hier schon einmal mitgeteilt: 
http://www.ub.uni-dortmund.de/listen/inetbib/msg35510.html

Die Zugriffe auf den Volltext sind mittlerweile weiter gestiegen. Eine neue 
Rezension ist ebenfalls zu verzeichnen. In einer jüngst erschienenen 
einschlägigen Dissertation wird meine Arbeit mehrfach zitiert. Was will ich 
also mehr?

Und der Absatz? Bis heute wurden 40 Exemplare verkauft. Hier freilich muss man 
wissen, dass die Fakultät damals 30 (!!) Freiexemplare für den Tausch 
beansprucht hat. Nicht wenige Universitäten werden daher als Käufer für das 
Buch ausgefallen sein. Mit Rezensions- und Schenkungsexemplaren wurden bislang 
gut 110 Bücher verbreitet. Für eine Dissertation zu einem 
staatskirchenrechtlichen Spezialthema ist das ein ordentliches Ergebnis.

Was hat mich das gekostet? Ich habe 1.237,50 ? bezahlt und dafür 85 
Freiexemplare erhalten. Von diesen Freiexemplaren wurden die Pflichtablieferung 
bei der Fakultät, die Rezensionsstücke sowie Geschenke an Kollegen, Freunde und 
Bekannte bestritten. Ein paar Bücher habe ich noch im "Handlager". Durch VG 
Wort und Verkaufserlöse habe ich rund 700 ? erwirtschaftet, macht unterm Strich 
gut 530 ? Kosten. Damit hat mich jedes Exemplar, das ich vom Verlag bekommen 
habe, etwa 6,20 ? gekostet. Für ein Buch im Umfang von 391 Seiten ist das 
sicher in Ordnung. Und wäre ich mit den Geschenken und Freiexemplaren weniger 
großzügig gewesen und hätte ich auf mein "Handlager" verzichtet, hätte ich 
vollkommen gratis publiziert. :)

Eric Steinhauer

-- 
http://www.inetbib.de


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.