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Re: [InetBib] Stellungnahme des Deutschen Bibliotheksverbandes e.V. (dbv) zur Europeana; Einbringen von eigenen Daten über EuropeanaLocal



On Nov 28, 2009, at 12:24 AM, Matthias Ulmer wrote:

Es geht bei der Europeana nicht ausschließlich um Wissenschaft. Es
geht um das gesamte Angebot von Bibliotheken und das, was ihre Nutzer
lesen wollen. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann sind die
Nutzer der Europeana Privatpersonen. Institutionen sind nicht gemeint.
Eine Uni-Bibliothek wird ihren Nutzern Inhalte unter anderen
Bedingungen anbieten und dafür eigene Konditionen aushandeln, damit
diese die kostenlos nutzen können. Angenommen, sämtliche
wissenschaftliche Zeitschriften und Monographien werden OA publiziert,
dann stellt sich die Frage nach einer Digitalen Bibliothek für die
übrigen 80% der Publikationen immer noch.

Sehr geehrter Herr Ulmer, Sie haben recht, ich habe meine Aussage auf  
die
Wissenschaftlichen Publikationen beschraenkt. Wenn sich aber
Wissenschaftler mit Romanen, Erzaehlungen, Naturbeobachtungen,
Kinderbuechern, Landkarten etc. beschaeftigen, wird man cum grano salis
hier keinen grundsaetzlichen Unterschied machen koennen. Wir sollten  
auch
nicht verkennen, dass diese Welt seit Jahrhunderten alle 20 Jahre  
doppelt
so viele Wissenschaftler hat. Es ist mir relativ egal, ob mir jemand  
glaubt,
dass wir in ein paar Jahrhunderten fast nur noch Wissenschaftler haben
werden, das ist noch weit hin. Es veraendert aber Perspektiven.

Und ich kann die von Ihnen erwähnte bereits bestehende Digitale
Bibliothek nicht erkennen. Ein einigermaßen umfangreiches Angebot an
Belletristik oder Sachbuch für Jedermann gibt es doch noch nicht.

Die Digitale Bibliothek haben wir wohl bedacht definiert: "als eine
Bibliothek, die auch digital gespeicherte Informationen verfuegbar  
macht.
Im Gegensatz zur klassischen Bibliothek enthaelt sie nicht nur gedruckte
Buecher bzw. andere analog verfuegbare und publizierte Dokumente.
Sie ist durch die wesentliche Erweiterung um binaere Informationen
gekennzeichnet. Im Gegensatz zur klassischen Dokumentation
weist sie die Dokumente nicht nur bibliographisch nach,
sondern stellt sie auch im Volltext zur Verfuegung.
Sie erweist sich damit als eine viergegliederte Bibliothek."

Die klassische Bibliothek ist in Deutschland seit Goettingen eine
dreigegliederte, was man nicht mit der Organisation der dreigeteilten
Oeffentlichen Bibliothek, mit mit Nah-, Mittel und Fernbereich
verwechseln sollte. Die von Ihnen angesprochene
"zentrale allgemeine Oeffentliche digitale Bibliothek" ist ja durch
das Internet, die Hosts, Computer- und Medienzentren als viertes Glied"
laengst Realiaet. Zentraler wird und sollte es auch nicht werden.
Die Digitale Bibliothek nahm 1963 ihren Anfang, und
waechst seit dem ungebrochen.

Die Grund dafuer, dass noch zahllose Fachbuecher, Romane etc. nicht  
digital
verfuegbar sind, ist ja allgemein bekannt. Im Prinzip sind sie es  
schon laengst,
nur der Zugang wird verstaendlicherweise noch blockiert, weil die  
Erzeugung
von Kopien so rasch und so billig ist, dass es eigentlich kein Problem  
waere,
alle Welt mit der gewuenschten Information zu versorgen. Wir  
verknappen also
die Informationsfluesse nur um das alte Marktprinzip von Angebot und  
Nachfrage
so zu optimieren, das sich daraus maximale Gewinne ergeben. Das ist  
unter
den heutigen Bedingungen voellig legitim. Es zeigt nur, dass wir  
endlich neben
der alten Betriebs-, Markt- und Volkswirtschaft eine wirklich adaequate
Wissenswirtschaft brauchen. Und das sollte Bibliothekswissenschaft nach
A. v.Harnack seit 1921 eigentlich sein.

Dass es weiterhin alle bisherigen Bibliotheken mit ihrem gedruckten
oder digitalen Angebot geben wird, möchte ich gar nicht in Frage
stellen. Eine zentrale allgemeine öffentliche digitale Bibliothek
wäre dazu eine Ergänzung.

Wie gesagt, das "waere" nicht, es ist. Dass diese Digitale Bibliothek  
ebenso
wie die klassischen Bibliotheken, "gleich dem Feuer und Leben ein stetes
aliment und zuwachs haben muss" - in diesem Fall, an Digitalisierung -  
stet
weiterhin ausser Frage. (S.177 "Zwischen Informationsflut und  
Wissenswachstum"
  s. Google Buecher ;-) Wer die Probleme der knowledge economy
verdraengt, bzw. mit dem Argument, die Digitale Bibliothek kommt erst in
der Zukunft, vor sich her schiebt, erhoeht nur die Gefahr einer echten
Verlagskrise.

Sie haben voellig recht, Bibliothekare und Verlage sollten sich einer
vernuenftige Public-Private-Partnership naehern. Auch dies hatte
Harnack sehr richtig erkannt, es geht um unsere "Nationaloekonomie
des Geistes"

Wenn es Sie interessiert koennen Sie die Volesung, die ich zu diser  
Thematik
am kommenden Dienstag im Berliner Bibliothekswissenschaftlchen  
Kolloquium
(BBK) halten werde unter
http://www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/lectures/Harnack09.pdf
lesen.

MfG

W. Umstaetter



Am 27.11.2009 um 23:53 schrieb Walther Umstaetter <   
h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx
:

On Nov 27, 2009, at 3:39 PM, Matthias Ulmer wrote:

Liebe Liste,

die Stellungnahme des DBV zu Europeana führt zu einer interessanten
Frage: Es wird wohl von niemandem angezweifelt, dass es irgend wann
eine digitale Bibliothek geben wird, bei der jeder Werke online  
lesen
oder Dateien befristet ausleihen kann.

Zunächst bezweifle ich, dass wir „irgend wann“ eine Digitale
Bibliothek
haben werden. Zumal die Digitalisierung schon seit langem in vollem
Gange ist. Die Digitale Bibliothek ist also längst Realität, auch we
nn
sie
sich immer weiter verbessert. Die Vorstellung, dass es einmal eine
Bibliothek geben wird, die keine gedruckten Bücher mehr haben wird,
und dass wir erst dann von einer Digitalen Bibliothek sprechen könne
n,
ist eher abwegig.

Zum zweiten bezweifle ich auch, dass es in diesem Zusammenhang
wirklich diskutabel ist, Dateien nur befristet ausleihen bzw. lesen  
zu
können. Es war und ist kein Zufall, dass man seit Jahrzehnten, wicht
ige
Teile eines wissenschaftlichen Buches kopieren und darin
Randbemerkungen
machen konnte. Vor dieser Zeit hat man exzerpiert – in diese Zeit wi
eder
zurückkehren zu wollen wäre sicher eine Zumutung.

Diese Bibliothek muss die gemeinfreien Inhalte genau so wie  die
geschützten enthalten. Ansonsten hat sie nur für  einen sehr klei
nen
Teil der Bevölkerung eine Bedeutung.

Dass die gemeinfreien Werke über öffentliche Institutionen
digitalisiert und eingebracht werden sollten, daran gibt es wohl  
auch
keine Zweifel.

Bleibt also (sieht man mal bewusst von der Grauzone der verwaisten
Werke ab) die Frage, wer die  geschützten Werke einbringt.  Hier g
ibt
es nun zwei Modelle:

1. die öffentliche Hand kauft für alle geschützten Werke
Nationallizenzen und bringt die Werke in die DDB ein.

Dieser Vorschlag zeigt, dass die Verlage nun die Hoffnung hegen, aus
Verwertungsrechten, die sie vor der Digitalisierung sicher als
erledigt
Betrachtet haben, nun noch Kapital zu schlagen. Das wäre völlig legi
tim,
aber nicht, wenn es die deutsche Wissenschaft gegenüber der
amerikanischen beispielsweise ins Hintertreffen führt. Dass demgegen
über
eine Entwicklung wie Google Books für die Wissenschaft eine weitaus
größere Attraktivität hat, scheint mir naheliegend zu sein.

Man sollte wohl auch nicht übersehen, dass jeder der heute Bücher u
nd
Zeitschriften in großem Umfang digitalisieren will, sich in Konkurre
nz
zu Google begibt, und dazu sollte man dann auch konkurrenzfähig sein.

2. Die Rechteinhaber bringen die Werke ein, die Nutzung der
geschützten Werke erfolgt - im Gegensatz zu den gemeinfreien Werke
n -
gegen eine geringe Nutzungsgebühr.

Der Unterschied liegt, wenn ich das richtig sehe, einfach darin, dass
in Punkt 2.
die Verlage ihre alten Produkte digitalisiert für „"eine geringe
Nutzungsgebühr“"
einzeln vermarkten, so wie wir es schon heute bei zahlreichen
Zeitschriftenarchiven beobachten (mit 2 -– 3 oder mehr Euro pro Seit
e),
oder eben als Nationallizenzen.

Im Vergleich dazu vermarkten die USA ihre publizierte Wissenschaft  
als
Reklame dafür, wie leistungsfähig sie auf diesem Gebiet sind,
nach einem Jahr kostenlos (s. NLM). Mit diesem Trick ist es ihnen
gelungen heute bei fast jeder Recherche in MEDLINE, CHEMABS
oder SCISEARCH den Eindruck zu vermitteln, dass die USA auch auf
dem jeweils recherchierten Gebiet weltweitführend ist.
Das kostenlos erreichbare Volltexte öfter gelesen, zitiert
und damit bekannt gemacht werden, wurde hier ja schon ausreichend
diskutiert.

Es kommt in der Wissenschaft darauf an, dass wir es in bestimmten
Bereichen besser machen als die USA, nicht darauf, noch mehr Fehler
zu machen, als es bei den IuD- bzw. Fachinformationsprogrammen
schon geschah.

Welche Konsequenzen hätte die Variante 1? Ein für den Nutzer
kostenloses Angebot auch aller lieferbaren Bücher hätte vermutlich
die Folge, dass daneben kein privatwirtschaftliches Geschäftsmodell
mehr denkbar wäre. Die Kosten für die Nationallizenzen müssten s
ich
also daran ausrichten, welcher Umsatz beziehungsweise welche
Umsatzpotentiale durch eine solche Bibliothek entfallen.
In einer  ungeprüften und grob vereinfachenden Daumenpeilung müsste
man auf folgenden Wert kommen: wenn der Buchmarkt heute mit über 8
Mrd Euro angegeben wird und wir davon ausgehen, dass in zehn Jahren
mindestens zehn Prozent des Umsatzes über neue E-Book-
Geschäftsmodelle laufen, dann müsste  die Nationallizenz entsprech
end
auch jährlich (!) 800 Millionen Euro betragen und von Jahr zu Jahr
weiter steigen, da der  Anteil der elektronischen Geschäftsmodelle
am
Gesamtmarkt  sicher  nicht bei 10% stehen bleiben wird.

Ist es realistisch, dass dieses Geld  zur Verfügung steht? Wenn ne
in,
ist es realistisch, dass die Rechteinhaber die Lizenzen erheblich
günstiger verkaufen? Wenn auch das verneint werden muss, ist es dann
realistisch, dass eine rechtliche Schranke  geschaffen wird, die
einen so umfassenden Eingriff  in die Märkte rechtfertigen würde,
um
die Inhalte billig zu bekommen?

Mir scheint das Modell einer Public-Private-Partnership hier
realistischer, bei der Bibliotheken und Verlage beim Aufbau der DDB
zusammen arbeiten.

Es würde mich interessieren, wie das bei den Lesern der Liste gese
hen
wird.

Herzliche Grüße
Matthias  Ulmer


MfG

W. Umstaetter
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