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Re: [InetBib] Open Access / Life Sciences / NIH / Service der ACS



Sehr geehrter Herr Dr. Graf,

der Aussage "dass Bibliotheken eine Dienstleistung anbieten, über deren
Ökonomie sie nichts wissen." ist an dieser Stelle so sicher nicht richtig.

Zunächst findet man schon im ?Lehrbuch der Bibliotheksverwaltung? von 1997
die Angabe, dass ein Ausleihvorgang die Bibliothek etwa 5,- DM kostet und
eine Fernleihe etwa das Vier- bis Fünffache. Dass es hier eigentlich keine
echten Mittelwerte und erhebliche Schwankungen gibt, je nach Art der
Fernleihe, ist klar. Auch für das interlibrary loan in den USA bzw. Canada
werden Kosten von $ 15 bzw. $25 angegeben. Daran hat sich in den letzten
Jahrzehnten wenig geändert, da einerseits die Personalkosten steigen und
andererseits die Rationalisierungen diese Kostensteigerungen abgefangen
haben (man denke nur an die alten Leihverkehrsordnungen). Man fragt sich,
könnte es sein, dass die Verlage darum glauben für die Kopie eines
Aufsatzes im Internet 30 ?uro verlangen zu müssen?

Dass das Verhältnis von Kauf, Kopie bzw. FTP-Abruf auf Dauer eindeutig zu
Ungunsten der herkömmlichen Fernleihe ausgehen wird, ist auch schon in der
Bibliotheksverwaltung (sie wird z.Z. gerade neu als Bibliotheksmanagement
bearbeitet) nachzulesen. Es heißt dort: ?Aus diesem Grunde kam eine
Expertengruppe in Großbritannien in ihrer Studie ?Library 2000? zu dem
Ergebnis, daß künftig in Bibliotheken zwischen Ausleihe und Verkauf nur
schwer unterschieden werden kann."


MfG

W. Umstätter


On Wed, 25 Aug 2010 10:52:54 +0200
 Felix Geisler <geisler@xxxxxxxxxxxxxxxxxxx> wrote:
Die American Chemical Society (ACS) bietet ihren
NIH-Autoren jetzt einen
Service zur Open-Access-Publikation auf PubMed Central
(nach Ablauf
eines 12-Monats-Embargos):
http://pubs.acs.org/doi/pdfplus/10.1021/ol101911g

Eine Public Access Policy bei der Wissenschaftsförderung
+ entsprechende
Service-Angebote der Verlage: Könnte das ein Modell für
die Zukunft auch
in Deutschland bzw. Europa sein? Wäre dies der gewünschte
Kompromiss
zwischen der Publikationsfreiheit des einzelnen
Wissenschaftlers und den
Bedürfnissen der Allgemeinheit auf Dokumentation
öffentlicher Forschung?

Von mir aus koennen die Verlage zugrundegehen. Open Access
mit Embargo ist besser als kein Open Access, aber es ist
nicht die Antwort auf das Problem, das hinter Open Access
steht: Wissenschaftlern sofortigen Zugang zu den
publizierten Forschungsergebnissen zu verschaffen, den sie
sonst nicht haetten.

Eigenartigerweise werden die volkswirtschaftlichen Kosten
fuer die Fernleihe bei Open-Access-Ueberlegungen kaum
beruecksichtigt. Wer hier naehere Zahlen sucht, bekommt
keine Unterstuetzung von Seiten der Bibliotheken: Ich habe
nach den aktuellen Kosten einer Fernleihbestellung (nicht
fuer den Benutzer natuerlich, fuer die Bibliothek, denn der
Service ist alles andere als kostendeckend, frueher sprach
man von 40 DM je Bestellung) die Deutsche
Internetbibliothek befragt, die gar keine eigenen
Recherchen anstellte, sondern an den DBV verwies, der mich
ans HBZ verwies, das bedauerte, man haette keine Zahlen.
Nun vielleicht nimmt sich - was ich andererseits nicht
hoffen kann - mal ein Rechnungshof der Zahlen an, denn es
kann doch nicht sein, dass Bibliotheken eine Dienstleistung
anbieten, über deren Ökonomie sie nichts wissen.

Es entstehen dann Kosten fuer die Beschaffung, wenn der
wissenschaftliche Autor a) nicht auf die Beschaffung
verzichtet (Risiko: schlechtere Wissenschaft, b) mit dem
zufrieden ist, was er vom Autor oder Kollegen ohne
finanzielle Gegenleistung erhalten kann.

Fernleihen werden oeffentlich subventioniert,
Direktbestellungen (bei Bibliotheken oder Pay per View bei
den Verlagen) dann, wenn die oeffentliche Hand sie fuer den
Wissenschaftler uebernimmt (v.a. an den Universitaeten).

Fuer die vor allem im STM-Bereich wichtige aktuelle
Literatur loest eine Embargo-Loesung das Problem nicht. Die
oeffentliche Hand muss die mit oeffentlichen Mitteln
finanzierte Forschung zurueckkaufen, wenn sie an der
vordersten Forschungsfront mitspielen will.

Nach Ablauf des Embargos fallen die Kosten nicht etwa ganz
weg. Sieht man davon ab, dass Wissenschaftler schlicht und
einfach nicht wissen (oder nicht danach suchen oder nichts
finden), dass ein Beitrag OA ist, so ist mit einer nicht zu
vernachlaessigenden Zahl von Wissenschaftlern zu rechnen,
die Wert darauf legt, die "version of record" und nicht das
mit allergnaedigster Erlaubnis der Verlage unter OA
verfuegbare "final draft" zu zitieren. Das muss dann wieder
beschafft werden.

Fuer mich hat ein Foerderer-Mandat nur dann Sinn, wenn es
dem geforderten Wissenschaftler verbindlich vorschreibt,
durch vertragliche Vereinbarungen sicherzustellen, dass die
verlagsformatierte zitierfähige Version unmittelbar nach
Erscheinen in ein Repositorium einzustellen. (Hier stellte
sich natuerlich wieder das Problem, wie man die
Verlagsleistungen abgelten kann, also "Gebuehr fuer gruen"
ohne Monopolgewinn).

Der gruene Weg von OA leidet an der mangelnden Akzeptanz
durch die Wissenschaftler (IRs sind zu leer) und dem durch
Embargos und die Formatfrage weiterbestehenden ökonomischen
Informationsbeschaffungsproblem.

Der goldene Weg leidet daran, dass mit Ausnahme von
Non-Profit-OA-Zeitschriften die Monopolgewinne der
(OA-)Verlage weiter steigen koennen, da vor allem im
STM-Bereich die Artikelgebuehren (Autor bzw.
Autorinstitution zahlt) im Vordergrund stehen. Die Zeche
zahlen z.B. die Geisteswissenschaftler (weniger
Monographien koennen angeschafft werden).

Klaus Graf

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