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[InetBib] Call for Paper: LIBREAS #19: Zensur und Ethik



Werte Kolleginnen und Kollegen,

ich möchte Sie im Namen der Redaktion auf den aktuellen Call for Paper der 
LIBREAS zum Thema Zensur und Ethik hinweisen. Wir freuen uns über Beiträge aus 
der Praxis bzw. solchen, die sich aus praktischen Frage ergeben.

Als PDF findet sich der Call auch hier: 
http://libreas.files.wordpress.com/2011/04/libreas_cfp_19_zensur_und_ethik.pdf

m.f.G.
Karsten Schuldt


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Call for Papers LIBREAS #19: Zensur und Ethik

Während in den arabischen Staaten Diktaturen versuchen, die demokratischen 
Revolutionen unter anderem mittels direkter Zensur aufzuhalten – egal, ob mit 
dem Versuch, ein ganzes Land fast vollständig vom Internet abzuschneiden, wie 
in den letzten Tagen von Mubaraks Ägypten oder aber durch die Kontrolle des 
einzigen offiziellen Internetzugangs eines Landes durch eine Firma der Familie 
des Diktators, wie in Libyen – steht Deutschland im 21. Jahrhundert in Sachen 
Presse- und Meinungsfreiheit sehr gut da. Das mag in Bezug auf die deutsche 
Geschichte, aber auch angesichts politischer Auseinandersetzungen der letzten 
Jahre, vielleicht erstaunen. Dennoch: die Grenzen des Erlaubten sind weit 
geworden, Rückschläge der Meinungsfreiheit offen skandalisiert. Ist da Zensur 
überhaupt ein Thema für Bibliotheken? Wir behaupten ja. Und das nicht nur im 
internationalen und historischen Kontext. Denn in einer Gesellschaft, in der 
Meinungsfreiheit ein tatsächlich vorhandenes Gut gewor
 den ist, werden subtilere Formen der Zensur thematisierbar.
Zensur liegt nicht nur vor, wenn Meinungen direkt unterdrückt und in den 
Untergrund gedrängt werden; Zensur bedeutet auch, dass einige Meinungen über- 
und andere unterrepräsentiert werden. Es wird auch argumentiert, dass 
unkritischer Lobbyismus eine Form von Zensur darstellen kann. Es scheint, als 
würde die Kraft des besseren Arguments durch die Kraft des Lauteren ersetzt.
So stellen sich Fragen an Bibliotheken: Reflektiert der Bestandsaufbau, die 
Repräsentation in Medienaufstellung und Katalog diese Problematik? Müssen 
Bibliotheken thematisch alles anbieten, müssen sie im inhaltlichen Mainstream 
wenig vertretene Meinungen repräsentieren? Ist die teilweise Übergabe von 
Bestandsentscheidungen bei der Standing Order eine gewisse Form von Zensur, da 
die enthaltenen Medien in den Beständen deutscher Bibliotheken 
überrepräsentiert werden?
Bei der Diskussion des Themas Zensur in der Redaktion kamen wir immer wieder 
auf Erotika und Pornographie zu sprechen. Was darf gezeigt werden? Was nicht? 
Was nicht mehr? Was wird als normal repräsentiert, was als suspekt, a-normal 
und pervers? Marquis de Sade und Leopold von Sacher-Masoch führten diese 
Auseinandersetzungen zu Zeiten der Aufklärung, die '68er und Hippies dann im 
20. Jahrhundert. Wie sieht es heute aus, wo einerseits von der Sexualpädagogik 
immer wieder ein Trend zur relativ selbstbestimmten Selbstpornographisierung 
von Jugendlichen im Internet festgestellt wird, andererseits Pornographie immer 
noch eines der wenigen Felder darstellt, auf denen Bild- und 
Publikationsverbote verhandelt werden? Ist es nicht so, dass eine Betrachtung 
sexualpolitischer Auseinandersetzungen uns auch Auskunft geben wird über 
subtile Formen von Normativitätsdebatten, nicht nur im Internet, sondern auch 
in der Bibliothek?

Wir können die Frage stellen, ob das Verschwinden harter Formen der Zensur dazu 
geführt hat, dass sich in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Bedeutung 
freier Information gebildet hat. Die Auseinandersetzungen um die 
informationelle Selbstbestimmung in den letzten Jahren scheinen dafür zu 
sprechen. Oder war dies nur ein Strohfeuer? Aber wir können diese Frage auch an 
die Profession weiterreichen. Damit sind wir sofort beim zweiten Thema, welches 
eng mit dem ersten in Verbindung steht: Berufsethik. Gehört es zum ethischen 
Inhalt bibliothekarischer Arbeit, für freie Information zu sorgen? Wenn ja: wie 
begründet sich das?
In den letzten Monaten gab es eine Auseinandersetzung um die Frage der 
bibliothekarischen Ethik, ausgelöst durch ein Dokument, das von "Bibliothek & 
Information Deutschland" veröffentlicht worden war und diese Frage klären 
sollte. In der Fachwelt stieß es jedoch auf heftigen Widerspruch, und zwar 
nicht, weil das Papier vollkommen falsch gewesen wäre, sondern vielmehr, weil 
es nicht in der Profession erarbeitet worden war. Nun: Wie ist der aktuelle 
Stand dieser Auseinandersetzung? Wie bestimmen wir schließlich den Inhalt 
bibliothekarischer Ethik? Gehört der Widerstand gegen Zensur hinzu und wenn ja, 
was heißt das?
Interessant war bei der Auseinandersetzung allerdings, dass es keinen 
Rückschluss zur Moralphilosophie gab. Hat uns diese gar nichts zu sagen? Und 
waren die gesamten Auseinandersetzungen der Systemtheorie mit Fragen der 
Soziologie der Moral umsonst? Bezogen auf das Bibliothekswesen: Benötigt die 
bibliothekarische Ethik keine Grundüberlegungen zur Formulierung und 
Durchsetzung von Ethik? Kann sie sich selber begründen und wie kann sie 
eigentlich die Arbeit von Bibliotheken beeinflussen?

Die Fragen zu beiden miteinander verschränkten Themen der 19. Ausgabe von 
LIBREAS sind also zahlreich und weitreichend. Neben zeitgenössischen Fragen, 
gerade im Zusammenhang mit neueren gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um 
Internetpolitik und Jugendschutz, sind auch historische Fragen noch vollkommen 
ungeklärt. Wir rufen dazu auf, Beiträge zu diesem Thema einzureichen: 
Untersuchungen, Diskussionsangebote, aber auch Berichte aus der Praxis. Als 
LIBREAS sind wir an einem breiten Diskurs interessiert.
Der Redaktionsschluss der Ausgabe #19 ist der 19.06.2011. Die Redaktion freut 
sich auch auf weitere, für die Thematik relevante Vorschläge für diese Ausgabe. 
Ohne Frage drängen sich durch die weltpolitische Lage, insbesondere im 
arabischen Raum, internationale Fragestellungen auf. Die LIBREAS-Redaktion 
möchte dazu ermutigen, sich im Rahmen dieser Ausgabe auch diesen Fragen zu 
stellen.

Ihre LIBREAS-Redaktion (Berlin, Bielefeld, Leuven, Mannheim)

Kontakt und weitere Informationen: www.libreas.eu
-- 
"Die Vorstellung, es gäbe so etwas wie Diskurshoheit,
ist eine Kompensation von realen und politischen Einflussverlusten
von Intellektuellen. Da man mit Kritik an Verhältnissen
offensichtlich nicht mehr weiterkommt, gewinnt man halt
die Hoheit über Diskurse."
[Diedrich Diederichsen, De:Bug 117]

[artikel und arbeiten: www.karstenschuldt.info]


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