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Verfügbarkeit "älterer" Datenbanken / bisher: Re: [InetBib] "Eckenknick ...



Am 14.07.2011 16:15, schrieb Juergen Fenn:
Wenn ich es richtig verstanden habe, kann das bei den Datenbanken, für 
die Nationallizenzen vereinbart worden sind, nicht mehr geschehen, 
weil dort ein zeitlich unbegrenztes Nutzungsrecht geschuldet ist, das 
auch die Backfiles für die Langzeitarchivierung mit einbezieht, was 
der Anschaffung eines gedruckten Buchs entspricht. Wenn aber 
Datenbanken wie Juris oder Springer über eine Flatrate abgerechnet 
werden, besteht nur ein Recht auf den Zugriff auf den jeweiligen 
Bestand der Datenbank. Auf der letzten Buchmesse konnte man mir bei 
Springerlink nicht sicher Auskunft darüber geben, ob von einem 
Lehrbuch, das dort im Bestand sich befindet, auch zukünftig alle 
früheren Auflagen weiterhin abrufbar sein werden. Es ist ein Problem, 
das wohl in der Wahrnehmung allgemein vernachlässigt wird, weil sich 
das Augenmerk immer mehr auf die Gegenwart verschiebt, so dass das 
historische Interesse verdrängt wird, das aber für die 
wissenschaftliche Arbeit weiterhin von großer Bedeutung ist. Viele 
Grüße, Jürgen Fenn. 

Sehr geehrter Herr Fenn,

Ihr Anliegen ist berechtigt, Ihre Annahme betr. die Nationallizenzen 
etwas optimistisch, die Bibliotheken sind zumeist ohnmächtig.

Ein Blick zurück: Bereits früher gab es keinerlei Verpflichtung der 
Verlage zur Führung eines hauseigenen Verlagsarchivs. Das wurde quasi 
elegant über das ansonsten von vielen Seiten bekämpfte 
Pflichtexemplarrecht geregelt. Der schwarze Peter lag also zumindest bei 
den entsprechenden Landesbibliotheken und der Deutschen Bibliothek bzw. 
nun der Nationalbibliothek.
Wenn also am Ort des Benutzers kein Exemplar verfügbar war, hatte er 
sich an den Ort der Verfügbarkeit, die Städte der genannten Bibliotheken 
zu begeben. Das war hinderlich, aber nicht unüberwindlich (hat wohl auch 
Abschreiben schwieriger gemacht).

Ein Blick auf heute, was hat sich geändert? Es gibt auch derzeit 
keinerlei Verpflichtung der Verlage zur Führung eines hauseigenen 
Verlagsarchivs, egal ob Druckwerk, CD-ROM oder Online-Dienst. Früher 
hatte jede Bibliothek ein Regal, in der stand das Buch und jeder mit 
wachen Augen konnte es nutzen, auch nach Jahrzehnten und Jahrhunderten. 
Wenn die Altauflage heute z.B. auf einer CD-ROM der "frühen Jahre" 
gespeichert ist, gibt es bereits heftige Probleme. Es gibt wohl kaum 
Normal-Bibliotheken mit einem angegliederten technischem Museum mit 
lauffähiger Hard- und Software unter Windows 98? Das Buch brauchte man 
nicht umschreiben, die CD-ROM müsste jemand konvertieren, die passende 
Retrieval-Software natürlich gleich mit. Dafür fehlt allenthalben das 
Personal, das Geld, die Zeit, das know-how. Solche Dinge werden darum 
nur an wenigen Orten stattfinden und das Ergebnis vermutlich nicht 
überall online zur Verfügung stehen.

Nur weil Inhalte einer Nationallizenz laut Vertrag zeitlich unbegrenzt 
geschuldet sind, garantiert dies noch nicht ist das technische wie 
wirtschaftliche Überleben des entsprechenden Serverbetreibers/Verlages. 
Den Verlagen wird wie der Pharmaindustrie überhöhtes Gewinnstreben 
vorgeworfen. Warum sollte ein Verlag eine unwirtschaftlich gewordene 
Datenbank weiter betreiben? Die teure Arzneimittelforschung erfolgt nur 
in der Aussicht, die nicht unerheblichen Entwicklungskosten auch 
innerhalb des Patentschutzzeitraums wieder zu erwirtschaften. Nicht dass 
ich ein Freund überhöhter Preise bin, aber bislang hat uns eher ein 
wirtschaftlicher Anreiz weiter gebracht als ein sozialistischer Ansatz, 
in dem allen alles gehört, aber kaum einer sich verantwortlich und 
wirtschaftlich einbringt.
Wer wird die aus der Liquidation geretteten und geschuldeten Backfiles 
lesen und auf welchen Servern mit der passenden Software verfügbar 
machen können? Mit Sicherheit nicht die "Normal-Bibliothek", für den 
Betrieb unterschiedlicher Datenbanken mit unterschiedlichen (vielleicht 
Hard- , mit Sicherheit aber) Softwareanforderungen kommen wieder nur 
"unsere Größten" in Frage. Dass diese über unbegrenzte Ressourcen für 
solch eine Zukunftsaufgabe verfügen, darf man bei der heutigen 
Kulturpolitik in Frage stellen.

Mit dem Verlag C.H.Beck haben die juristischen Bibliotheken vor knapp 
zwei Jahren um die damals permanent wechselnden Links in  beck-online zu 
den Auflagenwerken gerungen, die einen ungeheuren Aktualisierungsaufwand 
bei den Bibliotheken bzw. Verbünden verursachten. Der Verlag hat dies 
inzwischen eingesehen und seine Praxis geändert. Im Verhältnis zu der 
von Ihnen angerissenen Gesamtaufgabe ist dies nur ein unwesentlicher 
Nebenaspekt und es bleibt Aufgabe der Bibliothekare auf allen Ebenen, 
die Unterhaltsträger, die Politik permanent mit dem drohenden 
kollektiven Wissensverlust zu konfrontieren.


Dietrich Pannier

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