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Re: [InetBib] Encyclopedia Britannica stellt Druckausgabe ein



Liebe Frau Kustos, liebe Liste -

erstmal @ Herrn Wolf:
(die historischen Altbestände mal ausgenommen, aber um die geht es hier nicht).

Doch, tut es doch!
Wie ist es denn dereinst zu den historischen Altbeständen gekommen?
(mit Herrn Stephan)
Doch wohl, weil etwas eben NICHT aussortiert wurde - sicher, zu einer
Zeit, als Bücher noch keine Massenware waren, bestand ein anderes
Verhältnis zum Wissen in ihnen.

Und sollte es irgendwann doch mal einen solchen
geben, dann haben wir ganz andere Probleme, als zu sagen "Oh toll, wir
haben noch eine gedruckte Enzyklopädie von Anno schnuff". Nach
spätestens 2-3 Tagen ohne Strom würde nämlich das öffentliche Leben in
unseren Städten zusammen brechen. Daher ist dieses Argument aus meiner
Sicht keines.

Ich sag nur: Kairo. Oder war es Alexandria? Es haben just letztes Jahr
Menschen in Ägypten - in all dem Aufstand! - ihre alten Schinken
wichtig genug befunden, um zumindest zu versuchen, sie unter Einsatz
ihrere Körper zu schützen.
Müssen komische Vögel sein, diese Ägypter.

Mir fehlt in dem, was Sie da schreiben, das Geschichtsbewußtsein,
sorry. Ihre Herangehensweise ist mir zu utilitaristisch.
Vielleicht deshalb sind möglicherweise Ihre Beispiele, so Sie welche
geben, nicht fair gewählt zur Erörterung des Themas.
Natürlich ist auch die Bibliografie eine Form, die wesentlich
schneller, einfacher und platzsparender im Internet aufgehoben werden
kann.

wenn der Platz viel sinnvoller genutzt werden kann, z.B. für neue Lernbereiche
und Diskussionsräume. Die Möglichkeit entsprechende Lern- und
Arbeitsmöglichkeiten für die Studierenden zu schaffen, ist für
Bibliotheken wichtiger denn je.

Ach?
Mir erscheinen solche Trends als Modeäußerungen, die gerade irgendwo
an einem grünen Tisch angesagt sind. (Hoffentlich ist das schon morgen
wieder anders!)

Je nun: Dieser angeblich notwendig in Bibliotheken zu schaffende Platz
(früher nannte man das Mensa oder Kneipe, oder Seminarraum, meine ich
- sind die alten Lernbereiche denn schlecht geworden?) kann doch
ebenso knapp mit einem Verweis auf Internet, Twitter, Chats, Google+
etc. abgewiesen werden?
Das geht da doch auch ganz prima und sofort, und platzsparend, oder?
Und gemütlicher im Café oder zu Hause?? Und es muß gar nicht groß was
digitalisiert werden.
Vor allem sind Menschen mobiler als Bücher, und gehen auch nicht so
leicht kaputt...

Und was dann? Abriß?
Für mich ist an der so hoch gelobten aktuellen Bibl.-Architektur, die
ja angeblich solchen Platz schaffen soll, ein massives Problem, dass
sie sich eisig kalt und technokratisch anfühlt und in keiner Weise zu
einem Verweilen und Diskutieren einlädt. Man flüchtet mit seinen
Zetteln, auf denen man sich möglichst kurz gefasst hat - ich behaupte,
dass das auch Verluste ergeben kann und nicht nur Gewinn bedeutet.
Jedenfalls bringt sowas keine Leute ins Haus, keine Nutzer.
Wie wichtig ist es für einen Biliothek, Bestandteil einer
Architektur-Stadtführung zu sein und das Prestige eines Ortes zu
erhöhen? Ist das ihr Zweck? und wenn ja, warum nicht in hübsch?

Irgendwie habe ich, wenn ich so Image-Broschüren usw. davon sehe, den
starken Eindruck, dass das Ziel solcher Orte mitnichten die
Diskussion, sondern Sehen-Gesehenwerden ist - sicher auch für
Forschung wichtig, aber hier auf den Hochglanzteil einer Modezeitung,
Fotostrecke Next Young Fashion, reduziert wird.

Was, wie in so vielen Bereichen, möglicherweise eine Folge davon ist,
dass die, die sich auskennen würden und "Betroffene" sind, nicht
gefragt werden, eben KEINE Kommunikation gesucht wurde - sondern
Planer usw. stattdessen "ihre eigenen Prioritäten eingebracht
haben"...
Wie sollen solche Leute Räume schaffen, in denen Verbindung und
Diskussion gesucht und geschaffen werden, wo man verweilt?! Dazu
müsste man wissen, was das ist!

Diese Art Bauten gehören eigentlich zur metropolitanen
Durchschleusungsarchitektur, deren eines Ziel die effektive
Fortbewegung zu sein scheint. Der Informations- und Verkehrsfluß wird
mit dem Fluß des Sozialen, der menschlichen Körper und der Gedanken
und Ideen verwechselt, Verbindung mit dem Weg von A nach B. Die
dazugehörigen Cafès sind oft nicht besser... Es gibt einige
Bibliotheken, da würde ich noch im Regen zum Reden vor die Tür gehen.
Aber ich bin auch Outdoorperson.

Aber das unterschwellige Thema ist doch, was aus "der Bibliothek"
werden soll, was von Bibliotheken übrig bleibt.
Und was diese Veränderungen im Gesamtbild bedeuten - wie sie
zustandekamen und was sie bewirken werden.
Welche Gewinne und Verluste gibt es, wie kann es weiter gehen?

Im Bezug auf`ÖBs z.B. bin ich nicht der Meinung, dass die Zukunft von
diesen in einer Mischung aus Café, billiger Kinderverwahranstalt,
Druckerei und Erziehungs-Nachbearbeitungsstelle liegen sollte, wie
sich das sich ja abzuzeichnen scheint.
Obwohl es zweifelsohne nett ist, bei der Lektüre einen Kaukau trinken
zu können oder so: ob das den Büchern immer bekommt?
Wie sehr stört die Leseförderungs-Bibliotheksrallye der Drittklässler
die erwachsenen Leser?
Man darf ja kaum noch sagen, dass Lesen vor allem Spaß macht, machen
soll, außer wenn man es auf definitv abtörnende Weise einem 9-jährigen
gegenüber tut... AUF KEINEN FALL aber darf das die Verwaltung
wissen!!!
Ich glaube, das hab ich hier schon mal festgehalten, sorry.

Wie Frau Kustos schrieb:

Die große Gefahr der Abwertung alter Nachschlagewerke und Handbuecher besteht 
im Verlust des Wissens über vergangene
Forschungsgegenstände, Personen und wissenschaftliche Sichtweisen.

Dies fürchte ich auch, bin sehr derselben Meinung. Letztlich sind wir
damit wieder beim Bias der Editoren: wer entscheidet, was wann wichtig
ist und wie formuliert wird? Was wird aussortiert und was wird
überhaupt erst gedruckt? Oder gesendet?
Ich fürchte eben Zensur und sekretierte Sachgebiete. Da ist da
Internet einstweilen ein guter Schutz.
Aber Fachdatenbanken z.B. sind oft teuer und von zu Hause aus nicht
zugänglich...
Eine (Fach-)Bibliothek sollte vielleicht auch mehr sein als eine Art
Rechnerraum oder Internetcafé (womöglich ohne Netzanschluß).

Heute veraltet scheinende Ansichten und Forschungsweisen können schon
morgen wieder ganz wichtig werden und notwendig, dafür gibt es genug
Beispiele - und was, wenn dann nur noch feststellbar ist, dass es das,
ach ja, damals mal gab? Das Rad mal wieder neu erfunden werden muss?

So wie Sie, Herr Wolf, es schreiben, mag es für kleinere öffentliche
Bibliotheken gehen und für universitäre Lehrsammlungen, aber...

Es gibt doch nicht umsonst bei den Verordnungen zum Pflichtexemlar die
Auflage für die Verlage, mehrere abzugeben, eben damit am Ende nicht
das schwer zu erreichende und "konservierte" Exemplar in der DNB das
letzte und einzige im ganzen Land ist!

Ich begrüße jede Digitalisierung von Enzyklopädien und Wörterbüchern,
Bibliografien usw. und nicht nur dieser, und gerade "abseitiger"
Wissensgebiete, mit Begeisterung - jedenfalls dann, wenn ich danach
darauf auch Zugriff nehmen kann in einer Weise, die dem klassischen
Zugriff in und über Bibliotheken nicht allzu unähnlich und zu
Bedingungen, die nicht unendlich viel teurer sind -: vielleicht bleibt
nur die Flucht nach vorn.
Solche Verfügbarkeit wäre auch ökologisch: sie könnte unendlich viel
Kopierpapier sparen. Aber das interessiert keinen Ökonomen, oder
höchstens negativ.

In gewisser Weise ist der Werkeinheitsbegriff zumindest bei den größen
Enzyklopädien doch ein Teil dessen, was man Herrschaftswissen nennt:
das veröffentlichte Werk hat jeden Segen und jedes denkbare
Imprimatur, und ist so wenig kontrovers wie möglich. Es stellt einen
Konsens dar, eines Wissensgebietes ebenso wie der aktuell den Ton
angebenden Politik. Es bedeutet auch große Anpassung und Vorwegnahme
des Gewünschten durch die Autoren.
Man könnte sich fragen, ob dieser gesellschaftliche, vielleicht
nationale, Konsens wirklich einer, oder aufgewzungen, oder
wünschenswert ist.

Wir verlieren da im Moment gerade unendlich viel alte Sicherheiten,
ich glaube nicht, dass das aufzuhalten ist. Möchte ich auch eigentlich
nicht :-)

Um mal den Mund richtig vollzunehmen: ich weiß ja nicht, wie wichtig
am Ende der klassische Werkeinheits-Begriff sein kann oder muss, wenn
WIR ALLE JETZT an diesem RIESENDING beteiligt sind - ein Werk, das zu
groß ist für die einzelne Wahrnehmung, und mehr Autoren hat, als man
sinnvoll aufnehmen oder auch nur erfolgreich zählen, wäre doch immer
noch ein Werk :-)??
So dass man sich mit Segmenten abfinden müßte...

Es wird am Ende den Wissenschaftshistorikern vielleicht nichts
übrigbleiben, als die Fußnoten und Kommentare (sicher meist zur
Wikipedia, das freut dann sehr die Wikipedianer, die können sich sie
dann in Halbleder mit Goldschnitt rahmen lassen ;-)) zu verfassen, zu
korrigieren und damit im Netz neben dem Halbwissen und Unwahren zu
stehen. Sie müßten ein Markenzeichen haben, sich erkennbar machen...

In den Anmerkungen steht ja bekanntlich oft das wirklich Wichtige, und
so sehr verschieden, mit Verlaub, scheint mir letztlich auch das
Verfahren nicht: beides, der enzyklopädische Eintrag und die Fußnote,
sind knappste Form, verweisen und sind Verweise.
Eigentlich ideal als Internetformat. Wenn mal nicht glatt der Ursprung
von Hypertext...

Das ist natürlich nicht sehr statusträchtig, gibt keine Ehrungen im
Rathaus, Verdienstkreuze und keine Verlagsempfänge mit Sekt...
(Na, irgendwann vielleicht doch, Wers braucht.... Noch was, was mir
beim Internet so ÜBERAUS sympathisch ist. Nicht wegen dem Sekt... )
E ist aber vielleicht freier und kreativer. Womit man auch leben
können muß. Mein Psychologe sagt, das kann nicht jede/r.

Das eigentlich Schöne am Netz ist ja u.a, dass man nicht mehr wirklich
durch finanzielle Erwägungen beim Publizieren eingeschränkt wird.
Themen müssen nicht mehr gekippt werden, weil kein Druckbogen mehr
angeschnitten werden soll... Druckkosten und Seitenzahlen spielen
keine Rolle mehr.
Leider ist es auch mit den Autorenhonoraren nicht so weit her...

Jetzt muss ich an dieser Stelle doch eine Buchempfehlung loswerden:
Renner & Renner, Digital ist besser (NICHT das historische Fach-Werk
v. Assmann und Sahle, BoD - und was ist aus dem Titelschutz geworden,
heh?!), Campus, ich glaube 2011, ein sehr gut verständlich und gewitzt
geschriebener Rundumschlag übers Digitale und Internet von 2 Brüdern
aus dem publizistischen Bereich, die sich sehr gut auskennen. Muss man
nicht immer einer Meinung mit sein, darf sich aber informiert und
angeregt fühlen.

Ein schönes Wochenende wünscht -

Silke Ecks

-- 
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