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Re: [InetBib] BGH und EuGH bzgl. 52b



Sehr geehrter, lieber Herr Ulmer!

Tja, die Zukunft des Urheberrechts in Europa wird genauso aussehen, wie Sie es 
in Ihrer Mail andeuten. Es mehren sich die Stimmen, die das Urheberrecht 
dahingehend umformen wollen, daß in Normen (Gesetzen) nur noch allgemeine 
Rechtsbegriffe enthalten sein sollen, die dann am konkreten Sachverhalt durch 
ein Gericht zu überprüfen wären. Im anglo-amerikanischen Recht macht man das 
seit jeher so mit z.B. dem Begriff "fair use". Darunter wird dann etwa das 
Zitatrecht subsumiert. Fragen Sie mal ihre Schwester, die kann Ihnen das 
bestimmt noch viel besser erklären als ich armer Provinzbibliothekar.

Die bisherige Lösung urheberrechtlicher Konflikte durch eine immer weiter 
zerfasernde Detailbeschreibung von Sachverhalten in Paragraphen scheint ja zum 
Scheitern verurteilt zu sein, wie die genwärtigen Diskussionen zeigen. Das 
Urheberrecht versagt in seiner aktuellen Ausformung vor den digitalen Medien 
und Techniken.

Deshalb empfehle ich allen Verlagen und dem Börsenverein, möglichst schnell 
ausreichend finanzielle Rücklagen für die auf Sie zukommenden Prozesse zu 
bilden. Schluß mit den Porsches für Verlagsleiter!

Ach ja, damit keine Unklarheiten bestehen: Ich fordere nachdeücklich alle 
Bibliotheken, Archive, Bildungseinrichtungen usw. Auf sich im Sinne des zivilen 
Ungehorsams zu betätigen und keinem, aber auch wirklich keinem Prozeß um 
Urheberrechtsfragen aus dem Weg zu gehen.

Bibliotheken vor die Gerichte!!!

MfG


Dr. Harald Müller
 
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht / 
Bibliothek
Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law / Library
Im Neuenheimer Feld 535; D-69120 Heidelberg
Phone: +49 6221 482 219; Fax: +49 6221 482 593
Mail: hmueller@xxxxxxx

-----Original Message-----
From: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx 
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] On Behalf Of Matthias Ulmer
Sent: Friday, September 21, 2012 12:34 AM
To: Internet in Bibliotheken
Subject: Re: [InetBib] BGH und EuGH bzgl. 52b

Vor der Gesetzesformulierung hatten Bibliotheksverband und Verlegerverband eine 
gemeinsame Formulierung gefunden, mit der beide Seiten leben konnten. Dann hat 
der Gesetzgeber einen Text erlassen, der voller Ungereimtheiten ist. Nun müssen 
wir mit hohen Kosten klären lassen, wie das in der Praxis zu verstehen ist. Und 
selbst der BGH kann nicht mehr tun, als wie schon die Land- und 
Oberlandesgerichte: den Gesetzestext kopfschüttelnd interpretieren und auf die 
Ungereimtheiten hinweisen. Es wird einen weiteren sechsstelligen Betrag kosten, 
weitere drei Jahre dauern, bis der EuGH die Auslegung und Übersetzung der 
Richtlinie geprüft und beurteilt hat, bevor die Sache ein Ende findet. Im 
Beschluss des BGH eine Überraschung zu erhoffen, das ist Fantasie. Wenn es 
daraus etwas zu lernen gibt, dann ist es die Tatsache, dass gemeinsame 
Gespräche und Lösungen immer besser sind als später Konflikte auszutragen. 
Vorausgesetzt, der Gesetzgeber übernimmt sie dann auch. Wenn sie mit Einigkeit 
vorgetragen werden, dann ist die Chance immerhin größer, eine Garantie leider 
auch nicht. Aber Konflikt statt Gespräch schadet in jedem Fall den gemeinsamen 
Interessen, auf die wir uns konzentrieren sollten: Verbesserung der Situation 
von Entstehung und Angebot von qualitativ hochwertigen Lehrmedien für Studenten.

Matthias Ulmer



Am 21.09.2012 um 00:11 schrieb Dietrich Pannier <dietrich.pannier@xxxxxx>:

Am 20.09.2012 18:36, schrieb Klaus Graf:
Aus der PM geht ja nun eindeutig hervor, dass der Wortlaut
des Beschlusses vorliegen muss, sonst haette er nicht
vorgelegt werden koennen oder seh ich da was falsch? Anders
als das Bundesverfassungsgericht ist der BGH regelmaessig
unorganisiert genug, Nutzer auf den Volltext sehr lange
warten zu lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ist es nicht immer wieder erstaunlich, dass Personen in der Lage sind, 
auch die verstecktesten Fehler von Bibliotheken zu finden und Ihnen 
unter die Nase zu halten, während es Ihnen in rechtlichen Dingen nicht 
gelingt, die eiligst aufgestellten Schmähungen auch nur ansatzweise mit 
einer einfachen Recherche über das Zivilprozessrecht wenigstens ein 
wenig abzusichern?

Ich gestatte mir daher heute ein wenig Werbung für die Justiz zu machen.

Wie würden sie es finden, wenn Sie als Parteien an einem Tag wie heute 
vor einem Bundesgericht grundsätzliche Rechtsfragen verhandelten, Ihre 
Rechtsanwälte gegenseitig alle ihre schlagenden Argumente vorbringen und 
am Ende zieht sich das Gericht zurück, berät mehrere Stunden die an 
diesem Tag verhandelten vier Verfahren und am Ende präsentiert das 
Gericht am Abend in zwei dieser Rechtssachen nicht nur 
Presseerklärungen, sondern auch noch mehrseitige und genau 
ausformulierte Entscheidungen, von denen eine gar eine Vorlage an den 
EuGH auf den Weg schickt?

So mag sich Klein-Fritzchen die Justiz vorstellen, aber hätten Sie da 
nicht Zweifel, wofür die Verhandlungsgefechte überhaupt stattfanden, 
wenn der Senat die Dinge doch in so kurzer Zeit schon so ausformuliert 
präsentieren kann?
Die Wirklichkeit ist eben anders. Der Senat hat sich natürlich bis zur 
Verhandlung die Rechtssache gründlich angesehen, es gibt auch regelmäßig 
einen Entscheidungsvorschlag (Votum) des Berichterstatters. Der Senat 
verkündet aber am Verhandlungstag die Entscheidung nur in ihren 
Grundzügen und benötigt danach etliche Zeit, damit sich die fünf an der 
Verhandlung teilhabenden Richter auf einen gemeinsamen Text einigen 
können, den Sie dann zu unterschreiben haben.

Die Frage kann also gar nicht lauten "warum nicht sofort", sondern nur 
"bis wann?"

Die ständige Rechtsprechung greift immer wieder auf eine Entscheidung 
des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zurück, auf 
die man im Internet auch mehrfach als Zitat
(z.B. bei 
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.pyGericht=bgh&Art=en&sid=f2c7817269498066e813050b3fd7075f&nr=57920&pos=0&anz=1)
stößt und die z.B. in der Neuen Juristischen Wochenschrift des Jahres 
1993 auf S. 2603 abgedruckt ist.
Sie findet sich aber auch als schlichter Text im Internet unter 
http://www.betriebsraete.de/Gem.Sen.OGB/GmS-OGB%201-92.txt

Darin hat dieser Spruchkörper, in den alle Obersten Gerichtshöfe des 
Bundes Teilnehmer entsenden (weshalb er auch sehr selten zusammentritt) 
ausgeführt:

"Ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil ist i. S. 
des § VwGO § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand 
und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung 
schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und 
der Geschäftsstelle übergeben worden sind."
Dieser Rechtsgrundsatz gilt, da ihn der GmSOGB so entschieden hat, auch 
für die Zivilgerichte, die nach der ZPO verfahren welche die gleichen 
Grundsätze kennt.

(siehe weiteres auch bei 
http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Text=GmS-OGB%201/92)

Ich möchte für alle Beteiligten hoffen, dass der I. Zivilsenat des BGH 
von dieser Frist nicht sehr viel nutzt, es besteht aber nun rechtlich 
und tatsächlich kein Anlass, ihn und das ganze Gericht am Tage der 
Verhandlung für einen fehlenden Text zu schmähen.

Dietrich Pannier

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