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Re: [InetBib] Theorie und Praxis der Stellenbesetzung



Sowohl in Zeiten in denen ich mich selbst beworben habe, als auch in denen, in denen ich in Auswahlkommissionen saß, habe ich die Erfahrung gemacht, dass dreißig Bewerbungen auf eine Stelle nichts außergewöhnliches sind. Bei zu wenig Bewerbungen, wird nicht selten neu ausgeschrieben. Das bedeutet, dass Bewerber in unseren Bereichen sich durchschnittlich dreißig mal bewerben müssen um endlich eine Stelle zu bekommen. Dass das frustrierend ist, ist klar, hat aber fast nichts mit dem Arbeitsmarkt zu tun. Das war schon vor vierzig Jahren so. Die Stellenausschreibungen werden ja schon so zugeschnitten, dass die möglichst optimale Bewerberzahl entsteht.

Ärgerlicher ist es, wenn Auswahlkommissionen sich wie Mäzenaten gerieren, die so tun, als hätten sie einem armen Arbeitslosen etwas zu gönnen, anstatt sich darum zu kümmern, dass eine neue Kraft die bisherige Mannschaft optimal ergänzt. So habe ich schon erlebt, dass wir eine Frau einstellen wollten, die Frauenbeauftragte aber ihr Veto einlegte. Es menschelt eben überall – apropos "Lotto-Faktor" ;-)

MfG

Walther Umstätter


Am 07.02.2013 16:04, schrieb Eric Steinhauer:
Liebe Frau Ecks,

eine Stellenbesetzung ist leider keine mathematische Gleichung, die
zu einem guten Ergebnis führt, wenn man ordentlich rechnet. Es gibt
immer einen "Lotto-Faktor", auch und gerade für den Arbeitgeber. Ihre
WG-Erfahrungen kann man da gut übertragen.

Der Nasenfaktor, ob also jemand "reinpasst", ist natürlich immer da;
es wäre unredlich, das zu leugnen. Die Frage ist nur, welchen
Stellenwert man diesem Faktor einräumt. Im Grunde kann man jeden
fachlich geeigneten Bewerber und jede geeignete Bewerberin in ein Team integrieren. Neue Charaktere sind da sogar eine Bereicherung. Aber man
muss aufpassen, dass man ungewöhnliche Leute auch zum Zuge kommen
lässt. Dazu gehört zum einen, dass man sich selbst und seine eigenen
Bewertungen kritisch beobachtet. Dazu gehört zum anderen, dass man
immer mit mehreren Personen eine Auswahl vornimmt. Hier ist es gut,
dass der Personalrat eine externe Rolle spielt und ganz bewusst einen
"Nasenfaktor" relativiert und hinterfragt.

Vielleicht noch ein paar Worte dazu, was man ja oft hört, dass die
"bösen Leute mich nicht genommen haben":
Aus Sicht von Bewerbenden sollte ein Bewerbungsverfahren durchaus
"sportlich" gesehen werden. Richtig bewerben und sich richtig
präsentieren muss man lernen. Es ist völlig normal, wenn man hier
mehrere Absagen kassiert, soweit man bereit ist, daraus die richtigen
Schlüsse zu ziehen, wenn man auch den Mut hat, Feedback einzufordern
(das ist nicht leicht!). Ich bin immer wieder erstaunt, wie schlecht
vorbereitet manche Bewerber in ein Gespräch gehen. Wie wenig sie sich
gedanklich auf die neue Stelle eingelassen haben. Im Nachgang gab es
in einigen Fällen teilweise gute Feedback-Gespräche; und es war schön,
zu sehen, dass nach einiger Zeit auch diese Leute gut untergekommen
sind.

Am Ende kann man eine Auswahlentscheidung immer kritisieren. Was
machen Sie etwa, wenn sich auf eine Beförderungsstelle ein bewährter
und motivierter Kollege bewirbt und sich im Auswahlverfahren auch eine
fachlich vielleicht sogar ein wenig besser geeignete externe
Bewerberin, die Sie aber nicht kennen und deren Arbeitsqualität Sie
nicht einschätzen können, befindet?

Egal, wie Sie sich entscheiden werden, Sie werden immer kritisiert:

Wenn der Kollege nicht genommen wird, wird er sagen: Typisch, Frauen
werden vorgezogen. Und Sie haben einen enttäuschten Mitarbeiter im
Haus, der der neuen Kollegin sicher nicht freundlich und
aufgeschlossen begegnen wird.

Wenn Sie den Kollegen nehmen, wird die Bewerberin sagen: Typisch, ich
wurde diskriminiert, die nehmen sowieso nur ihre eigenen Leute.

Wenn Sie jetzt sagen, dass man "natürlich" die Frau nehmen müsse,
weil die eben besser sei, kann man das so sehen. Wenn ich aber den
Kollegen befördere, belohne ich einen guten Mitarbeiter UND habe eine
neue Stelle frei, auf der eine Berufsanfängerin vielleicht eine Chance
bekommt.

Sie sehen, die Dinge liegen oft recht komplex. Damit man zu fairen
und vertretbaren Lösungen kommt hilft im Grunde nur ein transparentes
Verfahren und eine Beteiligung mehrerer, voneinander unabhängiger
Personen bei der Auswahl.

Viele Grüße
Eric Steinhauer

--
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