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[InetBib] Ein eBook ist kein Buch!



Liebe Liste,

dass ein paar Stunden lang frei verfügbarer Verlagscontent eine größere Diskussion lostreten, hätte ich nicht gedacht. Ob man darin die stimulierende Kraft von Open Acces erkennen kann? Wer weiß ...

Herr Dietz hat eine schlichte Sachfrage gestellt, nämlich die, ob man die Datei der Vampyrologie in Bibliotheken zur Verfügung stellen darf. Ausgehend davon hat sich eine Diskussion um die Bucheigenschaft dieser Datei entzündet. Dabei wurde versucht, den Begriff "Buch" zu definieren.

Ich halte eine solche allgemeine Definition für sinnlos. Der Grund liegt in dem schlichten Umstand, dass wir seit über 2.000 Jahren mit dem Wort Buch (liber, /???????/, ???, ????, etc.) etwas benennen, was sich in dieser Zeit von der Schriftrolle zur gedruckten Massenware in seiner medialen Dinglichkeit doch sehr gewandelt hat. Offenbar hielt man es nicht für nötig, die dabei aufgetretenen Diskontinuitäten semantisch zu markieren.

Das bedeutet aber nicht, dass es diese Diskontinuitäten nicht gibt und dass zwischen einer Schriftrolle und einer Inkunabel medial keinen Unterschied existiert. Wenn man also einen Begriff wie "Buch" bestimmen möchte, so kann man das ohne einen Kontext und ohne einen Bezug auf bestimmte Vergleichspunkte gar nicht sinnvoll tun. Das hat schon Friedrich Nietzsche gewusst, der in seinem Buch (!) "Zur Genealogie der Moral" bereits bemerkte, dass "definierbar ... nur das [ist], was keine Geschichte hat". An dieser Stelle ist es interessant, dass der Alltagssprachgebrauch auch den Wandel vom analogen zum digitalen Text semantisch offenbar ebenfalls nicht besonders hervorheben möchte, wie in dem Wort "eBook" deutlich wird.

Bezogen aber auf die Frage von Herrn Dietz, kann man ganz klar sagen, dass die Datei der Vampyrologie im benutzungsbezogenen bibliothekarischen Kontext KEIN Buch ist, denn sie kann nicht wie ein herkömmliches Buch in der Bibliothek zur Verfügung gestellt werden. Das hat seinen Grund in dem fehlenden Trägermedium, an dem die Bibliothek Eigentum erwerben könnte mit der Folge, dass sie es dann weiterverbreiten dürfte. Durch den Link hat die Bibliothek allein eine Kopie, die sie nach den Vorschriften des UrhG nutzen kann, hier also nach § 53 UrhG.

Die Bibliothek darf die Datei NICHT öffentlich zugänglich machen, dürfte aber für den eigenen wissenschaftlichen Gebrauch die Datei abspeichern und weitere Vervielfältigungen anfertigen; gleiches gilt für Privatpersonen, die auf Nachfrage auch an Freunde und Bekannte die Datei weitergeben dürfen. Für mehr Nutzung hätte die Datei mit einer CC-Lizenz oder einer vergleichbaren Bestimmung versehen sein müssen, was aber nicht der Fall ist. Ob die Datei, sofern sie für den eigenen wissenschaftlichen Gebrauch zulässigerweise abgespeichert wurde, auch am elektronischen Leseplatz nach § 52b UrhG genutzt werden könnte, ist fraglich. Mit Blick auf die Zweckbezogenheit der Kopie in § 53 UrhG wird das verneint. Die gegenteilige Ansicht ist aber auch vertretbar, sofern die Verlage (Hallo, Herr Ulmer!) durch ihre Klagen nicht zu einer restriktiven Schrankenhandhabung Anlass geben.

Die Frage von Herrn Dietz hat mich doch etwas verwundert, da der Unterschied zwischen einem gedruckten Buch und einer schlichten Datei dem Grunde nach jedenfalls unter "Informationsspezialisten" Allgemeingut sein sollte; das Internet und seine juristische Ökologie sind so neu ja nicht ... ;)

Viele Grüße
Eric Steinhauer

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