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Re: [InetBib] Fwd: Podcasts on Stoic philosophy (Marcus Aurelius) and Pre-Socratic philosophy (Empedocles)



Sehr geehrter Herr Umstätter,


ich gebe zu, daß ich mich in Fragen der Kosten und ökonomischen
Vertwertbarkeit von Teilchenbeschleunigern etwas zurückhalten sollte und
will auch gar keine Tunnel zwischen Kreuzberg und Charlottenburg graben,
die eventuell als illegale Schmuggelroute sowieso geschlossen werden
würden. Grenzstreitigkeiten zwischen Kreuzberg und Charlottenburg sind
zumindest hier in Berlin bereits legendär, ich werde bei Besuchen in
Charlottenburg, das ich zugegebenermaßen manchmal gegen jede Loyalität
betrete, manchmal gefragt, wie ich es denn geschafft habe, aus dem Ausland
bis nach Charlottenburg zu kommen. Ich sage dann im Regelfall, daß das auch
für uns Kreuzberger ab dem dritten universitären Diplom prinzipiell nicht
ganz unmöglich ist.

Abgesehen von Teilchenbeschleunigern sind jedoch mit großer
Wahrscheinlichkeit die Kosten des Unterhalts und Betriebs von Laboren, die
für jedes Studium der Physik Pflichtprogramm sind, ebenso wie die
Anschaffung entsprechender Geräte, deutlich teurer als alles, was
PhilosophInnen jemals auch nur beantragen würden. Auf universitärem Niveau
reichen neben den Büchern ein Laptop pro StudentIn oder DozentIn, der auch
bereits sehr betagt sein kann, da Textverarbeitung (und Internet) wirklich
nicht viel Rechenleistung verlangt.

Allerdings wäre durchaus mein Votum, die Beamtenbesoldungsdifferenz
zwischen Ost und West einmal neu zu überdenken, zumindest hier in Berlin
ist es einfach absurd, daß MitarbeiterInnen der HU weniger verdienen als
MitarbeiterInnen der FU und TU. Daß in Duisburg und Salzgitter mehr
verdient wird als in Halle sehe ich auch nicht ein. Aber dieses Thema wird
wohl frühestens nach der Bundestagswahl sinnvollerweise thematisch werden
können, zumindest denke ich nicht, daß die Bundesregierung jetzt darüber
debattieren geschweige denn rechtskräftig beschließen möchte.

Was Ost-West-Beziehungen betrifft wird hier in Berlin übrigens auch eine
wichtige Tradition gepflegt: Die beiden zwangsvereinigten Bezirke Kreuzberg
und Friedrichshain treffen sich einmal im Jahr an der Oberbaum-Brücke, um
eine Schlacht zu schlagen. Erlaubt sind allerdings nur Bio-Waffen:
Bio-Eier, Bio-Mehl, Bio-Tomaten, Bio-Auberginen. Die materielle
Verschwendung bei dieser Kriegsführung ist dabei noch nicht von
VolkswirtschaftlerInnen berechnet worden, zumindest, soweit ich das weiß.
Die Schneeballschlachten derselben Parteien im Winter im Görlitzer Park
sind im Vergleich dazu kostengünstig (Facebook-NutzerInnen zwischen 20 und
30 Jahren haben keine Mehrkosten dadurch), auch wenn ich nicht weiß, wer
die Riesen-Techno-Boxen, die das Ganze bedröhnen, herbeischafft und den
Strom dafür bezahlt. Aber nicht nur aus Kreuzberger Lokalpatriotismus
heraus ist und bleibt klar: Kreuzberg gewinnt immer. Dies ist zumindest die
Unsrige Geschichtsschreibung, die empirisch gut belegt werden kann.
Entscheidungen der Weltpolitik gehen schließlich immer zum eigenen Vorteil
aus.

Ein Witz, den ich sehr gerne erzähle, auch wenn ich als Philosophin dann
mich selbst kritisiere, geht wie folgt:

Was ist der Unterschied zwischen MathematikerInnen und PhilosophInnen?

Ganz einfach:
Ein Mathematiker braucht für seine Arbeit: Papier, Bleistift, Mülleimer.
Ein Philosoph braucht für seine Arbeit: Papier, Bleistift.


Insofern ist selbst die Mathematik teurer, auch wenn die Anschaffungskosten
von Mülleimern aufgrund der langen Haltbarkeit eher gering sein dürften,
auf den 20-Jahres-Plan gerechnet. Was Archivierungskosten von Papier in der
Philosophie betrifft, darüber schweige ich lieber.


Um noch etwas zu der Sonntagsdebatte zu sagen: Ich jedenfalls habe bisher
noch nicht im Akademischen Senat den Antrag gestellt, daß wegen der
Rücksichtnahme auf den Kirchgang von Theologie-ProfessorInnen grundsätzlich
am Sonntagmorgen in meiner Universität keine Konferenzen und Vorträge
stattfinden sollen. Auch wenn die universitätsinterne kirchenrechtliche
Debatte sicherlich viel zur Allgemeinbildung beitragen würde, überlasse ich
diese Frage kircheninternen Diskussionsforen, und es ist mir einfach
schnurz, wenn ich bezeugen kann, daß an einem bestimmten Sonntagmorgen ein
Theologie-Professor einen Vortrag auf einer öffentlich angekündigten
Konferenz hielt oder gar seinen Mitarbeiter telefonisch malträtiert hat.


Mit freundlichen Grüßen



Naomi Anne Kubota


Am 29. Juli 2013 10:10 schrieb h0228kdm <h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>:

Sehr geehrte Frau Kubota,

zunächst habe ich Zweifel daran, dass „PhilosophInnen“ „Im
marktwirtschaftlichen Wettbewerb“ „viel, viel billiger“ als
 „PhysikerInnen“ sind, zumal mir nicht bekannt ist, dass beispielsweise bei
TV-L Entgeltgruppe 13 zwischen Physik und Philosophie unterschieden wird.
Hinzu kommt, dass es in der Marktwirtschaft nicht nur wichtig ist was bei
der Finanzierung billig ist, sondern auch darauf, was an (geistigem) Gewinn
dabei erzielt werden kann. Ich habe Sie zwar sicher richtig verstanden,
dass Sie durch Ihren Hinweis auf den „Bereich der Teilchenbeschleunigung“
deutlich machen wollen, dass Sie den finanziellen Aufwand und insbesondere
den Gewinn dort noch nicht ganz nachvollziehen können. Dafür habe ich auch
großes Verständnis, da Sie damit in der Gesamtbevölkerung sicher nicht
allein sind. Ich würde aber dringend davor warnen, etwas was man noch nicht
versteht, der Philosophie gegenüber gleich als minerweritg anzusehen. Es
kann auch einfach nur daran liegen, dass man sich damit erst genauer
beschäftigen muss, auch wenn das einiges an Zeit erfordert, bis man dazu
fundiertes zu Papier bringen kann.

Auch wenn jeder normale Mensch berechtigt glaubt zu wissen, was eine Masse
von 5 Kg ist, wenn er einen entsprechenden Wassereimer tragen musste, so
ist es schon eine recht fundamentale (auch philosophisch wichtige) Frage,
wie sich Massen aus Raum und Zeit ergeben, und dass Masse nur eine
spezielle Energieform ist. (Immerhin ging es bei CERN um die Higgs-Bosonen
und bei den Teilchenbeschleunigern dieser Welt um die Atomenergie.)

Ich entsinne mich, wie mich mal Geisteswissenschaftler massiv angegriffen
haben, weil sie einen Aufsatz von mir über die Halbwertzseit der Literatur
gelesen hatten, und mir klar machen wollten, dass das nur für
Naturwissenschaften gelten könne, weil in der Philosophie Plato
beispielsweise nie veraltet. Als ich ihnen dann vorgerechnet habe, dass das
bedeuten würde, dass Fachreferenten der Philosophie weniger Erwerbungsetat
brauchten, wurden sie sehr viel Vorsichtiger in ihrer Argumentation. In
Wirklichkeit wäre es natürlich ein „Fehlweg“, wenn sich Philosophen nicht
grundsätzlich auf den neusten Stand des heutigen Wissen, und damit der
heutigen Philosophie, bringen könnten. Die allgemeine Interdisziplinarität
der Wissenschaft, die man im Bradford`s Law of Scattering sehr schön
beobachten kann, gebietet dies.

MfG
Walther Umstätter

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