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Re: [InetBib] peer review



Guten Morgen Frau Kubota,
:-)
Im Mund Verbieten war ich noch nie gut... Allerdings esse ich auch nicht immer 
umbestellte Speisen auf... Bei dieser 2.  Sprachdidaktikmail bin ich bald 
geplatzt..und ganz doof ist, wenn Sie politisch nicht ganz ungefährliche 
Begriffe den eigentlichen Themen beimischen. Man will schließlich, sollte man 
mal angegriffen werden, wenigstens fuer etwas aufgeknüpft werden, was man 
selber gesagt hat...und nicht durch die lustigen Ontologien, die sich durch 
sowas bilden
Naja.
Bzgl Ihrer Bedenken zum Evaluierungswahn und den Bewertungsschemata als 
Anzeiger von Wissenschaft stimme ich Ihnen im Großen und Ganzen zu, auch wenn 
sie nicht neu sind. Es wehren sich aber zu wenige, insbesondere Professoren 
dagegen, möglicherweise, weil sie jetzt endlich oben angekommen sind in dem 
System. Man sehe sich mal neuere HGs an.. Das Berichteschreiben nimmt noch mehr 
zu. Andererseits brauchen Makrosysteme Steuerung und die Politik 
Entscheidungshilfen.
Da haben sich aber Beratersysteme gebildet mit anderen Interessen... Es gibt 
schon Verwaltungen, die sich bibliometrischer Verfahren bestimmter Marktplayer 
bedienen um Forschungsevaluation zu betreiben. Diese Systeme sind ursprünglich 
durchaus zielfuehrend gewesen, heute sind das aber mehr und mehr 
Marktbereiniger.
Als Bibliothek steht man da vor einem unlösbarem Problem. Man will den 
Entscheidern, der Wissenschaft, solche Fachinformationsdienste bieten, aber 
nicht blind an der Marktbereinigung teilnehmen, zumal sie bzgl. Preisgestaltung 
dieser Anbieter uns selber trifft. Zudem sind es auch oft Kleinzeitschriften 
etc., in denen frisch gedacht wird.. Eine Wissenschaft, die erst mal alle 
abstrusen Ideen eliminiert, macht sich zur leblosen Maschine.

Da hilft insgesamt nur Open Access...ganz beharrlich vor sich hin....
Schoene Gruesse


Von meinem iPad gesendet

Am 07.08.2013 um 05:43 schrieb "Naomi Kubota" 
<naomi.anne.kubota@xxxxxxxxxxxxxx>:

Sehr geehrte Damen und Herren,


was off-topic-Diskussionen betrifft: Wenn sich jemand von einer ganz
bestimmten Person gestört fühlt, bestehen ja durchaus Möglichkeiten, den
Spam-Filter entsprechend einzustellen.
e
Ich möchte die Frage von "peer review" und quantitativen Kriterien bei der
Beurteilung wissenschaftlicher Publikationen gerne prinzipiell diskutieren.

Was h-Faktoren und Zitierindices betrifft:

Ich halte das für den größten Unsinn überhaupt. Z.B. in der Mathematik sind
wegen der quantitativen Erhebungen, wie oft welcher Artikel zitiert wird,
sogenannte "Zitier-Kartelle" entstanden, mit anderen Worten: Zitierst Du
mich, zitier ich dich. Für Laien nicht überprüfbar, da die das
Fachchinesisch sowieso nicht verstehen, dürfte aber deutlich sein, daß
wissenschaftlich ausgebildete MathematikerInnen von Statistik und
quantitativen Erhebungen einige Ahnung haben... Mit solchen Kriterien
sollen dann Karrieren entschieden werden.

Was die "Rankings" von wissenschaftlichen Zeitschriften betrifft:

Auch Unsinn. In der biologischen Forschung führt das z.B. dazu, daß eine
Fachzeitschrift, die ein gutes Ranking haben möchte, im großen und ganzen
solide Arbeit leistet, aber ab und zu einen Artikel publiziert, der
ziemlicher Schwachsinn ist. Dann tritt die ganze Phalanx der drittklassigen
WissenschaftlerInnen an, um energisch gegen diesen Artikel in einem
erstklassigen Journal Gegen-Artikel zu publizieren. Das sorgt zuverlässig
dafür, daß die Fachzeitschrift sehr oft zitiert wird, damit steigt das
Ranking - wegen eines Artikels, der zum "Fortschritt der Wissenschaften"
wirklich gar nichts beiträgt.

Auch GeisteswissenschaftlerInnen sind durchaus im Laufe der Zeit in der
Lage, gute Copy-und-Paste-Techniken zu erlernen, damit aus einem Buch
mehrere werden, die sich fast nur im Titel unterscheiden, jedenfalls so gut
wie gar nicht im Gehalt. Da sowieso niemand Zeit hat, die ganze Literatur
durchzulesen, sieht die Bibliographie wunderbar lang aus, was vor allem bei
DFG-Bewerbungen sehr hilft (z.B. Beantragung von
Sonderforschungsbereichen). Ich nenne diesen strukturellen Druck
"Beschäftigungstherapie für ProfessorInnen". Als ob die nichts Besseres zu
tun hätten, vom Bäumevernichten zwecks Papierherstellung ganz zu schweigen.
Es nimmt auch unnötig Platz in den Bibliotheken weg. Die meisten wirklich
wichtigen Bücher in den Geisteswissenschaften entstanden oft nach einer
Forschungszeit von ca. 10 Jahren. Da wäre meine Devise: Mehr Lesen, mehr
Denken und weniger Publizieren. Dann wird die Forschung besser, weil
gehaltreicher.

Zuletzt zu der Frage der peer review:

In einem Gebiet, das klein genug ist, daß sich mehr oder weniger alle
"wichtigen" Personen weltweit sowieso kennen, zumindest in Schriftform und
in bezug auf die Themen der Forschungspublikationen, ist die ganze Idee,
ein Artikel werde nach "objektiven, wissenschaftlichen" Kriterien
begutachtet, ziemlicher Humbug. Abgesehen von der Frage, daß natürlich
Schulen entstehen und daß einem Artikel oder einer Beurteilung angesehen
werden kann, aus welcher Schule das kommt (was ist dann "wissenschaftliche
Objektivität"?), ist es oft auch möglich, de facto herauszufinden, wer den
Artikel geschrieben hat. Telefonanrufe werden von den KollegInnen ja in der
Regel nicht aufgezeichnet, und ich kenne keinen Fall, wo jemand wegen
solcher Fragen vor Gericht gegangen wäre. Daß solche peer reviews dann der
größeren Wissenschaftlichkeit verhelfen, wage ich zu bezweifeln.

In der Regel ist es immer noch so, daß erfahrene, gestandene
WissenschaftlerInnen gut beurteilen können, ob ein Artikel oder Buch eine
gute Idee solide ausarbeitet oder nicht. Diese Beurteilerei mit
vermeintlich anonymen Gutachten trägt zu dieser Frage rein gar nichts bei
und hält eher ProfessorInnen mit ständigen Evaluationen beschäftigt, statt
daß die mal mehr lesen, nachdenken und gute Ideen entwickeln.

(Auf vergleichbarer Ebene ist nur zu Bedauern, daß alle drei Jahre
Cambridge Oxford evaluiert und alle drei Jahre Oxford Cambridge evaluiert.
Ein department verändert sich nicht so schnell, und die ständige
Herumschreiberei an Gutachten hält die WissenschaftlerInnen eher davon ab,
ihre Zeit auch mal sinnvoll zu verwenden. Die kennen sich sowieso alle
gegenseitig, die bloße Papierform, per Bürokratie dazu genötigt zu werden,
etwas darüber zu schreiben, daß auch die KollegInnen ihre Jobs behalten
sollen, ist auf dem Misthaufen neoliberaler Theoriebildung gewachsen. Gute
wissenschaftliche Arbeit hat nichts mit marktwirtschaftlichen "Gesetzen" zu
tun.)

Früher war es auch in Deutschland völlig üblich, daß einE HerausgeberIn
einer Fachzeitschrift, der/die viele Forschungsjahre hinter sich hatte,
Artikel auf Plausibilität und Form prüfte und dann entschied, ob das
publiziert wird oder nicht. Der Ruf einer Zeitschrift ist in der Fachwelt
langfristig gefestigt und bekannt, und auf Forschungsebene wissen früher
oder später alle, an wen sie sich mit welcher Publikation/Frage zu wenden
haben.

Diese ganze Herumevaluiererei und Herumquantifiziererei hat keine
Verbesserung wissenschaftlicher Forschung gebracht und gehört abgeschafft.

Herr Professor Dr. Heil von der BBAW (Althistoriker) kann da mehr Details
erläutern.

Übrigens gibt es z.B. in den USA zahlreiche Fälle, in denen nicht nur die
DoktorandInnen eine tenure track-Stelle bekommen, bevor die Promotion
publiziert ist (das ist der Normalfall), sondern auch bis zu zehn Jahre an
der Druckfassung feilen, bis sie als Buch herauskommt - oder auch gar
nicht. Trotzdem bekommen die Leute tenure.

Mit konstruktiven Grüßen


Naomi Anne Kubota
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