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Re: [InetBib] Artikel "Der Text ist tot. Es lebe das Wissen!"



Liebe Kollegiinnen und Kollegen,

ich befürchte, dass die Aussage "Der Text ist tot. Es lebe das Wissen!" für sich betrachtet, zwei Begriffe etwas ungenau benutzt, da menschliches Wissen fast nur durch die Syntax unserer Sprache (bzw. durch geschriebene Texte) aus unserem assoziativ arbeitenden Gehirn zu anderen menschlichen Gehirnen transportiert werden kann. Immerhin hat man lange geglaubt, dass wir nur in Sprache denken und damit Wissen erzeugen können. Wie jeder gelernte Dokumentar aber weiß, denken wir in Begriffen, die wir erst mit syntaktisch vernetzten Benennungen (u.a. Brocasches Zentrum) assoziieren müssen. Dass dabei Texte mit Bildern, mathematischen Gleichungen, chemischen Formeln oder auch Computerprogrammen ergänzt werden können, ist sicher eine wichtige Errungenschaft. Wobei allerdings die Frage entsteht, ob wir bei Computerprogrammen nicht auch von Texten sprechen müssen. Immerhin benutzen bislang solche Programme sogenannte Computersprachen.

Wenn wir Wissen klar als begründete Information definieren, enthalten die meisten Bilder zwar viel Information („Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“) aber fast kein Wissen, weil ein Standbild keine Kausalität darstellen kann. Erst Bilderreihen (klassisches Beispiel der Kreuzweg in Kirchen für Analphabeten, die die Bibel nicht lesen konnten) und insbesondere Filme können Wissen, soweit es visualisierbar ist, darstellen. Auch bei Comics sieht man deutlich, dass es ohne Text nicht geht. Insbesondere bei abstrakten Themen, sind bildhafte Darstellungen oft eher verwirrend. Es sei hier nur kurz an das alte Verbot von etlichen Kirchenvätern erinnert, Gott als Schöpfer des Universums abzubilden. Dass die Darstellung als weiser Mann mit Bart schon zu unzähligen Irreführungen (insbesondere bei Atheisten) geführt hat, ist hinlänglich bekannt. Einen solchen Schöpfer Gott gibt und gab es sicher nicht, nur die Malerei hatte oft keine Alternative. Dagegen kann die Frage, wie unser Universum entstand, bislang nur in Texten, insbesondere mathematischen Gleichungen vermittelt werden. Wie kam die vorhandene Gesetzmäßigkeit in unser Universum? Darüber ist schon über Jahrtausende nachgedacht, diskutiert und geschrieben worden, aber ohne Text ging und geht es nicht. Während es kein Problem ist, einem solchen Kreator einen Namen zu geben, neudeutsch einen Placeholder in entsprechende Texte einzufügen, verbieten sich zweidimensionale Bilder, beispielsweise vom Big Bang, von selbst.

„Schon bei J.C. Maxwell begann durch die Mathematisierung der Probleme bei den elektromagnetischen Wellen ein wachsendes Verständnis, das aber unter Abnahme der Bildhaftigkeit erfolgte.“ (Zwischen Informationsflut und Wissenswachstum S. 233; 2009) Damit wurde die Logik der Mathematik immer mehr zur Basis unseres heutigen Wissens und unserer Vorstellungen. Es sei hier nur an die Dualität des Lichts als Welle UND Teilchen erinnert. Insofern bauen wir unsere ASCII- und Unicode-Texte immer weiter aus, und lassen sie mit Sicherheit nicht sterben.

Dass die Digitalisierung unserer heutigen wissenschaftlichen Modelle und Expertensysteme eine immer wichtigere Rolle spielt und spielen wird, steht außer Zweifel, dass damit aber die Rolle von Texten in der menschlichen Kommunikation verloren gehen könnte, erscheint mir höchst abwegig.

MfG
Walther Umstätter
P.S.: Man darf nur hoffen, dass der Text dieser Publikation von Herrn Ceynowa, möglichst wenig mit dem Titel zu tun hat ;-)

Am 2013-11-21 16:22, schrieb Klaus Zehnder:
Hallo.
Soweit, dass der Text tot ist, ist es ja noch nicht.
Schon in den 70er Jahren meinten viele, Buchtexte würden durch Comics abgelöst.
Und man hätte meinen können, jemand übersetzt Goethes Werther
eventuell in eine Comicgeschichte: wäre recht bemerkenswert geworden,
wenn Werther sich lediglich in Sprechblasen wie "urrg" und "mampf" und
"uff" ausgedrückt hätte oder durch ein Symbol wie :-) mit einem
Herzchen.
Per youtoube-Video wäre der Pistolenschuss, mit dem er sich ein Ende
setzte, natürlich viel nachwirkender für den Betrachter. Heute gibt es
das in Zeitlupe und auch von Seiten der austretenden Kugel her. Siehe
z.B. den Film "Wiegenlied des Totschlags" usw. usf. Oder gewisse
aktuelle You toube - Videos von Wikileaks (die ich sonst wirklich
nicht erwähnt hätte: bitte nicht ansehen!!).
So gesehen sind Texte auch eine Möglichkeit, auf Distanz zu gehen und
nicht im Erleben zu zerfließen.
Und sich richtig bange machen, dass die Buchregale mal leer sein
würden, braucht man heute noch nicht. Es werden so viele Bücher
gedruckt, dass ich mir persönlich den Tod von Texten gar nicht
vorstellen kann, jedoch bei mancher Buchmesse ging mir schon einmal
der Gedanke durch den Kopf, zugegeben, aber nur aus visueller
Erschöpfung!
Auch ebooks enthalten Texte.
Eine Welt jenseits des Textes geht natürlich, wenn man sich per Email
unterhält, gar nicht, sofern man digitalen Text ebenfalls als Text
versteht und nicht als etwas Neues, textloses. Texte sind ja
geschriebene oder getippte Worte. Kann man zu digitalen Worten noch
Text sagen? Ich denke doch, auch wenn dies eine Auslegungssache sein
dürfte, basierend auf einer gemeinsamen Betrachtungsweise und einer
entsprechenden Übereinkunft.
Luthers Worte kann man natürlich besser "stahn" lassen, wenn die
Textseite richtig gut gedruckt ist, mit Druckpresse und so weiter, am
besten, man würde sie in Stein meißeln wie bei den Römern. Dann halten
sie noch länger "unverrückbar".
Aber Ausdrucksformen gibt es ja viele, zum Glück. Nicht nur
schriftliche Texte. Auch gesprochene.
Der gelesene Text ist natürlich derjenige, an welchem sich ein
Bibliothekar wohl am meisten erfreut.
Also ich bin neugierig auf den avisierten Beitrag mit den toten Texten
(wer hat sie umgebracht? stellt ein Digitalisieren ein Umbringen dar),
auch wenn es vielleicht darauf hinaus laufen wird, dass man zum
Ergebnis kommt: "der Text ist tot, es lebe der Text" (?). Es darf ja
mal spekuliert werden - hoffentlich an dieser Stelle ganz ohne
Abgeltungssteuer!
Text hat mit Sprache zu tun. Sprache mit Kommunikation und mit
Gedanken. Gedanken mit Ideen. Ideen mit Inspirationen, diese wiederum
mit Kommunikation oder zumindest mit dem Wunsch nach solcher. Wer was
sagen will, der braucht eben was zu sagen,  klar. Ist ja nichts
Schlimmes.
Es gibt natürlich auch eine non-verbale, multimediale Ausdrucksweise,
und die Entgrenzung von Texten und Textschreibregelungen interessiert
viele, vor allem die Comic-Heft-Leser, aber auch solche, die es
textlich gerne nicht so genau nehmen wollen, es muss ja nicht
unbedingt die Lektüre von Asterix sein (hatte der nun wirklich nichts
mit Cleopatra, ohne Zaubertrank?)

Ich weiss: das Thema ist wichtig. Und die Zukunft der Bibliotheken und
des Buches ist ein tägliches Thema voller Zukunftsbedenken um das in
Papier nieder gelegte Wort. Und Wichtiges muss man - zumeist - sehr
ernst nehmen. Und niemand soll sich verspottet oder mißverstanden
fühlen, das ist immer zurecht wichtig.
Wir wissen ja um die Science fiction- Ideen aus Filmen, in denen das
gesprochene Wort vertilgt wurde, (siehe:/Fahrenheit 451/ -- Wikipedia
<http://de.wikipedia.org/wiki/Fahrenheit_451>
de.wikipedia.org/wiki/*Fahrenheit*_*451*?
Der dystopische Roman /Fahrenheit 451/ von Ray Bradbury erschien
erstmals 1953 im Verlag Ballantine Books (heute Random House) und
wurde seitdem in *...)* oder die Geschichte in George Orwells Roman
1984, wo privates Lesen zu Folter und noch Schlimmerem führte. Auf dem
Umweg über eine reizende Liebesgeschichte, die natürlich mit
ursächlich wurde. (Soweit ich mich an die Abiturslektüre noch richtig
erinnere.) "Man" hatte ja natürlich nur den Diktator zu lieben.

Eine text- und lesefreie Zeit sei jedem gegönnt, die anderen Medien
verlangen auch ihr Recht.
Und manchmal ja auch andere Menschen... Man selbst vielleicht auch noch.
Dennoch: dieser Beitrag soll das Thema nur berühren, jedoch hat er
nicht den Anspruch, fachlich mit dem avisierten philosophischen Text
zu konkurrieren, zumal er mir noch nicht bekannt ist und ferner kein
ausgebildeter Philosoph bin. Das Glück ist aber, dass über
intellektuelle Themen jeder Mitteleuropäer kraft seiner Natur mitreden
kann. Pisa hin oder her. Denn Mitteleuropäer haben Bildung und das
Streben danach bereits in ihren Genen, wenn sie auf die Welt kommen.
Und wäre es anders, müsste man sie dazu bringen... Der
Wirtschaftsstandort braucht das. Und jeder von uns auch.
Ich wollte lediglich etwas dazu beitragen, dass wir nun nicht alle
gleich auf die Friedhöfe rennen und nach dem Grab der toten Texte
suchen. Denn müssten wir mit den Texten nicht auch gleich die Dichter
beerdigen? Für alle alle Zeiten? Und unter den Texten fänden sich dann
die Überbleibsel der alten Dichter und Denker.
Verzeihung, es war ein harter Tag voller digitaler Texte, und wo
dieser Tag sich befand, das wissen Sie alle ja auch: zumeist am
PC-Display.
Vielleicht gibt es irgendwann eine Zukunft der Zukunft, und statt
Bücher zu digitalisieren reanalogisiert man PC-Displays und
PC-Datenbanken und pdf-Dateien. Wie das aber real vor sich gehen soll
(ohne Zerstörung! Veränderungen sollen ja gewaltfrei vor sich gehen!)
und ob es mal passieren wird, das wird unsereins wohl nicht mehr
erleben.
Derzeit ist nur noch - dies abschließend - fest zu stellen, dass das
Projekt "umfassende Digitalisierung" noch sehr weit gehen muss, um zum
bibliothekarischen Ziel zu gelangen.
Soweit, dass jedermann ein Buch auswendig lernen muss, um die
Datensicherheit zu gewährleisten, aufgrund "windiger" und "nicht
verläßlicher" Digitalisierungen des Buches, ist es ja noch nicht, auch
die Software- und Hardwarearchitekten versuchen diesen
"Bibliotheks-GAU" zu verhindern.
Wie hätte zum Schluss eines Beitrages Kurt Tucholsky gesagt?
"Entschuldigung. Da war eine Idee von jemandem. Und da war ein weisses
Blatt, wenn auch nur digital. Und ich kam leider nicht drum herum,
dies ausfüllen zu wollen, um auch einen Beitrag mit zu leisten, was
ich hiermit - wie Sie bemerken werden - getan habe.
Hoffentlich schadet es niemandem, auch nicht retour!

Mit freundlichen Grüßen

Klaus Zehnder


Am 20.11.2013 13:17, schrieb Steinhauer, Eric:
http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2013-11/28667817-philosophie-zeitschrift-hohe-luft-mit-einer-auflage-von-25-000-exemplaren-seit-zwei-jahren-erfolgreich-am-markt-007.htm gibt auskunft über die thesen. in der bahnhofsbuchhandlung in hamm gab es den titel gerade nicht zu kaufen ....
schöner gruß aus dem zug
eric steinhauer


________________________________________
Von: Inetbib [inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx]&quot; im Auftrag von &quot;Michael Schaarwächter [Michael.Schaarwaechter@xxxxxxxxxxxxxxxxx]
Gesendet: Mittwoch, 20. November 2013 12:40
An: Internet in Bibliotheken
Cc: Klaus Ceynowa
Betreff: Re: [InetBib] Artikel "Der Text ist tot. Es lebe das Wissen!"

Hallo Herr Ceynowa et al,

der Beitrag wird sicher auch noch zum kostenlosen Zugriff zur Verfügung gestellt werden, da diese E-Mail ansonsten der Werbefreiheit in InetBib
widerspräche [1]? Ich freue mich, wenn Sie den Link nachreichen.

Mit freundlichen Grüßen,
Michael Schaarwächter

[1] http://www.inetbib.de/faqtechnik.html#werbung

Bayerische Staatsbibliothek schrieb am 20.11.2013 12:08:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

gerne möchte die Bayerische Staatsbibliothek Sie auf folgenden Beitrag aufmerksam machen:

Klaus Ceynowa, "Der Text ist tot. Es lebe das Wissen!" (2014)
In: ...

--
   Michael Schaarwächter
   Bibliotheks-IT

   Technische Universität Dortmund
   Universitätsbibliothek
   Vogelpothsweg 76
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