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Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels




Liebe Liste, geehrter Dr. Upmeier,

den Unterschied zwischen Freihand und Magazin kenne ich schon, ich wollte 
lediglich überspitzt formulieren, was mir bei der Diskussion durch den Kopf 
ging.

Abgesehen von den rechtlichen Bedingungen (die mir zu wenig geläufig sind), 
scheint es mir in der Diskussion um zwei verschiedene Aspekte zu gehen: 1. Die 
Kennzeichnung von Werken als zweifelhaft durch die Bibliothek und 2. Die 
Entfernung zweifelhafter Werke aus dem Bereich des unkontriollierten Zugriffs 
einer Bibliothek. Ad 1: Das Ansinnen der Bibliothek, Werke für den Leser 
inhaltlich zu markieren oder zu kommentieren, stellt für mich eine 
Unterschätzung von Wissenschaft, vor allem aber deren durchaus langlebiger 
Erinnerungstradition, dar; blieb z. B. im 18. und 19. Jahrhundert der 
"Ossian"-Zweifel noch weitestgehend im akademischen Kreis, so reicht heute 
Google jedermann, also auch einem ersten Semester, als Gedächtnis. Ad 2: Viele 
Unibibliotheken sind auch Landes- oder Staatsbibliotheken, richten sich also an 
den Bürger, akademisch oder nicht. Der Bürger muss auch aus reiner Neugier oder 
Schadenfreude zum Buch greifen dürfen; ein solchermaßen begehrtes Werk 
nachträglich(!) seitens der Bibliothek aus Besorgnis um den Leser (aber wohl 
mehr ums sich selbst?) vom Freihandbereich ins Magazin zu tun, empfinde ich als 
eine gewisse Geringschätzigkeit des Bürgers.

Herzlich,
Felicitas Noeske
 

Gesendet: Freitag, 27. Juni 2014 um 15:20 Uhr
Von: "Upmeier Arne Dr. TU Ilmenau" <arne.upmeier@xxxxxxxxxxxxx>
An: "'Internet in Bibliotheken'" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels
Liebe Liste,

ich habe offenbar mit der Verwendung des Ausdrucks "geschlossenes Magazin" in 
meiner Mail bei einigen Lesern ein Missverständnis ausgelöst. Mit dem 
geschlossenen Magazin ist nur gemeint, dass das Buch nicht länger im 
Freihandbereich steht, sondern über den OPAC bestellt werden muss. Es wird dann 
zur freien Ausleihe bereitgestellt. Es handelt sich also keinesfalls um einen 
"Giftschrank". - Das Umstellen in einen "Giftschrank" würde ja auch allem 
widersprechen, was ich sonst in meiner Mail geschrieben und in den verlinkten 
Interviews gesagt hatte. Mir geht es ja gerade darum, dass auch solche Texte 
zugänglich bleiben.

Bei dieser Gelegenheit noch eine kurze Erwiderung zu den datenschutzrechtlichen 
Erwägungen von Eric Steinhauer (wobei der "Datenschutz-Hysteriker" von Klaus 
Graf kaum einer Kommentierung bedarf: Datenschutz ist wichtig und der Einsatz 
dafür sollte keiner Rechtfertigung bedürfen). So sehr ich den ethischen 
Überlegungen von Herrn Rösch und Herrn Umstätter auch beipflichte: Mit der 
Abwägung Recht gegen Ethik ist es so eine Sache. Es gibt gute ethische Gründe 
(außer im Falle extremster Ungerechtigkeit), sich zunächst ans Recht zu halten 
und Fragen, wie etwas ethisch sein sollte, zunächst an den Gesetzgeber zu 
richten.
Aber: auch juristisch bin ich in diesem Fall anderer Auffassung als Steinhauer. 
Er geht davon aus, der Titelentzug sei ein Verwaltungsakt, bei dem der Autor 
der Arbeit der einzige Betroffene sei. Daher dürfe der zugrunde liegende 
Verwaltungsakt nur ihm bekannt gegeben werden. Ich sehe das anders: Bei der 
Entscheidung zum Titelentzug handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit 
Drittwirkung, der der betroffenen Öffentlichkeit bekanntgegeben werden darf 
(und sollte). Die öffentliche Bekanntgabe kann einfach durch die Mitteilung an 
die eigene Hochschulbibliothek erfolgen, die als Minimum dann einen 
entsprechenden Eintrag im jeweiligen Verbundkatalog vornimmt. Es besteht 
nämlich nicht nur ein rechtliches Interesse der jeweiligen Fakultät, nicht mit 
erschlichenen Prüfungsleistungen assoziiert zu werden (z.B. VGH Kassel BeckRS 
1999, 23273), sondern auch ein Interesse der Öffentlichkeit, wissen zu können, 
wer welchen Titel zu Recht oder Unrecht führt (§ 132a StGB). Last not least 
ergibt sich die Berechtigung, den Umstand eines Titelentzugs öffentlich zu 
machen, e contrario aus der Veröffentlichungspflicht (!) bei Dissertationen. 
Der Hochschulschriftenvermerk in der Vorlage steht nämlich nicht aufgrund einer 
freiwilligen Angabe des Verfassers darin, sondern weil er sich aus 
Prüfungsrecht ergibt.

Also unverändert meine, auch juristische, Meinung: Fragliche Texte nicht aus 
dem Bestand nehmen, aber über den Umstand eines Titelentzugs deutlich 
informieren.

Einmal mehr: viele Grüße,
Arne Upmeier





-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Annette 
Kustos
Gesendet: Donnerstag, 26. Juni 2014 10:43
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels

Liebe Liste,
Bibliotheken haben aus meiner Sicht keinesfalls die Aufgabe, "Stellen" im 
Bereich von Prüfungs- oder Promotionswesen von irgendwas zu informieren. Wofür 
Bibliotheken so zuständig sind, kann man gerade wieder sehr wohl formuliert in 
einem juristischen Text nachlesen. Ich bin auch nicht begeistert, wenn 
Bibliothekare im Sinne einer angeblichen "Öffentlichkeitsverpflichtung" solches 
zum Gegenstand machen. Wir schaffen Öffentlichkeit, Nutzung und Bewahrung 
publizierter Informationen für bestimmte Zwecke der Wissenschaft, Bildung und 
Kultur. Bzgl. Giftschrank sind wir zum verschlossenen Verwahren von 
Publikationen verpflichtet, die aufgrund eines GESETZES nicht so ohne weiteres 
jedermann zugänglich gemacht werden dürfen, z. B. des Jugendschutzes etc. Der 
Vorrang eines Gesetzes für Eingriffe in das Recht anderer ist eine äußerst 
wertvolle Angelegenheit.
Eine rechtliche Grundlage für das Entfernen von falschen Informationen oder 
bloßen Behauptungen (im Grunde ist eine ghostgewritete oder durchplagiierte 
Diss eine bloße Behauptung eigener Autorenschaft, teilweise inhaltlich aber gar 
nicht falsch!) gibt es Gott sei Dank nicht. Man bedenke auch, was dies nach 
sich zöge, wenn die öffentliche Meinung sich mal irrt oder missliebige 
Wissenschaft nicht hören mag..
Ich wäre ungern freiwillig der verlängerte Arm von je nach Zeitgeist 
geforderter Texthygiene.

Freundliche Grüße
A. Kustos
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von 
Felicitas Noeske
Gesendet: Mittwoch, 25. Juni 2014 21:04
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels


Sehr geehrter Herr Meier,

warum sollten Druckwerke, bei deren Verfasser ein Titelentzug erfolgte, ins 
"geschlossene Magazin"? Seit Urzeiten sind Schriften doch voller Irrtümer und 
Fehler, auch voller Schummeleien - und gehören allein deshalb doch ans Licht, 
oder? Irrtümer, Fehler und Schummeleien verbreiten sich auch ohne Giftschrank; 
und nichts bereitet mehr Vergnügen, als anderen in Vergangenheit und Gegenwart 
auf die Schliche gekommen zu sein; oder irre ich mich da?:-)

Herzlichen Gruß,
Felicitas Noeske
 

Gesendet: Montag, 23. Juni 2014 um 11:53 Uhr
Von: Joachim.Meier@xxxxxx
An: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels 
Von einem Titelentzug erfahren Bibliotheken, die die betroffene Diss. im 
Bestand haben, wenn überhaupt nur zufällig (es sei denn, es handelt sich um 
prominente Personen).

Der Titelentzug erfolgt durch die Universität, die den Titel verliehen hatte.
Das zuständige Gremium darf also nicht vergessen, die eigene UB über den 
Titelentzug zu informieren.
Die UB müsste ihren Bibliotheksverbund und die DDB informieren, damit der 
Hinweis auf Titelentzug in die Stammdaten der Verbundkataloge eingepflegt wird 
und bestenfalls alle die Diss. besitzenden Bibliotheken informieren, damit 
diese im Exemplar den Hinweis anbringen und das Exemplar evtl. in das 
geschlossene Magazin verlagern.

Ich vermute, dass der skizzierte Meldeweg so oder ähnlich nicht existiert und 
für die hoffentlich wenigen Fälle erst eingerichtet werden muss.
Das müsste dann auch international erfolgen, da Titelentzug kein rein deutsches 
Phänomen ist.

Besten Gruß
Joachim Meier
____________________________________________________
Dr.-Ing. Joachim E. Meier
Referatsleiter Q.11, Wissenschaftliche Bibliotheken Physikalisch-Technische 
Bundesanstalt (PTB) (http://www.ptb.de) PF 3345 Tel. +49-531-592-8131
38023 Braunschweig Fax. +49-531-592-8137 GERMANY E-mail: Joachim.Meier@xxxxxx 
____________________________________________________



Von: "Upmeier Arne Dr. TU Ilmenau" <arne.upmeier@xxxxxxxxxxxxx>
An: Internet in Bibliotheken <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>,
Datum: 21.06.2014 15:14
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels 
Gesendet von: "Inetbib" <inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>



Lieber Herr Dr. Kuhn,

ich schließe mich der Meinung von Herrn Prof. Steinhauer und möchte Sie 
bestärken, das fragliche Buch zugänglich zu halten. Allerdings würde ich schon 
einen Vermerk in Katalog und /oder Buch empfehlen. Auch an unsere Bibliothek 
ist in den letzten Tagen die Bitte gegangen, ein Buch zurückzugeben, das wir 
vorher im Wege des Schriftentausches erhalten hatten. Als Anregung hier meine 
gestrige Antwort:

"Sehr geehrte Frau XX,
haben Sie vielen Dank für den Hinweis auf den Titelentzug bei Herrn XY.
Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir die korrumpierte 'Dissertationsschrift' 
aus grundsätzlichen Erwägungen nicht aus dem Bestand nehmen wollen. 
Insbesondere das Beispiel der 'Dissertation' von Theodor zu Guttenberg hatte 
gezeigt, dass auch Plagiate von zeithistorischer Bedeutung sein können - im 
Falle 'zu Guttenberg' sogar sicher über den Wert des originären Inhalt hinaus. 
Würden solche Schriften aus den Regalen verbannt, wäre auch die Entscheidung 
des Fakultätsrates zum Titelentzug nicht mehr nachvollziehbar. Außerdem würden 
korrekte Verweise in späteren wissenschaftlichen Publikationen leer laufen, 
wenn einmal veröffentlichte Titel depubliziert würden. Wichtig ist uns jedoch, 
umfassend über den Titelentzug zu informieren, damit niemand, der das Buch 
künftig in die Hand nimmt, es unwissentlich für 'bare Münze' nimmt. Wir haben 
daher am Buch und beim entsprechenden Katalogeintrag jeweils einen Hinweis auf 
den Titelentzug angebracht. Außerdem wird es in unser geschlossenes Magazin 
umgestellt, damit niemand versehentlich am Regal darauf stößt, ohne den Hinweis 
zur Kenntnis zu nehmen."

Die Frage des Umgangs mit Plagiatsschriften war bereits vor einiger Zeit Thema 
in diversen Presseartikeln, z.B.:
http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html[http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html][http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html[http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html]]

http://www.goethe.de/wis/bib/fdk/de8708106.htm[http://www.goethe.de/wis/bib/fdk/de8708106.htm]

Eine Rechtspflicht der Bibliothek, solche Werke zu entfernen, schwärzen oder 
zurückzugeben gibt es nicht.

Mit besten Grüßen zum Wochenende,

Arne Upmeier


---
Dr. Arne Upmeier

Universitätsbibliothek Ilmenau
Dezernent Benutzung
Fachreferent für Politik, Recht und Wirtschaft Langewiesener Straße 37
98693 Ilmenau

Tel.: 03677/69-4534




-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von 
Steinhauer, Eric
Gesendet: Freitag, 20. Juni 2014 23:39
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels

Lieber Herr Kollege,

die Antwort lautet ganz klar: Nein!

Die Bibliothek ist kein "Grundbuchamt" für Doktortitel. Ich bin sogar dagegen, 
den Promotionsvermerk im Katalog zu löschen, denn die nachträgliche Aberkennung 
ändert nichts am Inhalt der Vorlage, deren exakte Beschreibung das Ziel der 
Katalogisierung ist.
Die Aberkennung des Titels ist allein das persönliche Problem des Betroffenen.

Allenfalls eventuell noch vorhandene Tauschexemplare sind von der Aberkennung 
betroffen. Hier sollte die Bibliothek diese im Wege des Schriftentausches nicht 
mehr als Dissertation anbieten.

Viele Grüße
Eric Steinhauer



_E_______________________________________
Von: Inetbib [inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx]&quot; im Auftrag von 
&quot;Kuhn, Karl-Heinz [kuhn@xxxxxxxxxxxxx]
Gesendet: Freitag, 20. Juni 2014 14:35
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels

Liebe Kolleginnen und Kollegen,



bitte erlauben Sie eine Frage zum Umgang mit Dissertationen, deren Verfasser 
der Doktortitel im Nachhinein entzogen wurde.



Kann eine Universitätsbibliothek dazu verpflichtet werden, ihr Exemplar einer 
Dissertation, das sie durch Tausch oder auf einem anderen Weg (Geschenk, Kauf) 
erhalten hat, auszusondern oder an die Einrichtung, von der sie ein Exemplar 
erhalten hat (z.B. Tauschstelle der UB, an der die Promotion stattfand), wieder 
zurückzugeben?



Herzlichen Dank und freundliche Grüße

sendet



Dr. Karl-Heinz Kuhn



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