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[InetBib] Datenschutz und Titelentzug



Liebe Liste,

toll, dass es nach langer Zeit endlich einmal wieder eine gute Fachdiskussion hier auf der Liste gibt! :))

Bei der Frage, wie man als Bibliothek auf einen Titelentzug reagiert, kommt sicher dem Katalog eine entscheidende Rolle zu, denn dort findet sich die Information, dass eine bestimmte Arbeit eine Dissertation ist, sofern und soweit dies aus der Vorlage erkenntlich ist. Die "Wahrheit" also, die der Katalog enthält, ist, dass in einem konkret vorliegenden Buch steht, es sei eine Dissertation. Es ist nicht Aufgabe des Kataloges, das Bestehen oder Nichtbestehen von Titelführungsbefugnissen oder dergleichen zu dokumentieren.

Wenn ich beim Vorliegen eines Titelentzuges darauf im Katalog reagieren möchte, habe ich drei Möglichkeiten:

1. Nix tun: Das entspricht den Katalogregeln, bereitet aber ein gewisses Unbehagen (das gebe ich gerne zu).

2. Den Titeltentzug vermerken: Den Katalogregeln entsprechend bleibt der Hochschulschriftenvermerk bestehen, allerdings zerstöre ich den Eindruck, hier liege noch eine "echte" Dissertation vor. Problem: Ich muss personenbezogene Daten verarbeiten. In diesem Fall bin ich an das Datenschutzrecht gebunden. In Ermangelung einer speziellen gesetzlichen Grundlage gibt es hier nur zwei Möglichkeiten: Der Betroffene willigt ein (unwahrscheinlich), oder: ich verarbeite eine öffentlich bekannte Tatsache. Im letzten Fall ergibt sich aber das Problem, dass die Verarbeitung dieser Information zu meinen Aufgaben gehören muss. Eine gesetzliche Aufgabebeschreibung von Bibliotheken, die so ein Handeln deckt, kenne ich nicht. Nimmt man die Katalogregeln als Indiz, für das was Bibliotheken tun, so spricht das GEGEN einen entsprechenden Zusatz im Katalog. Ohne eine klare gesetzliche Grundlage halte ich daher einen solchen Zusatz derzeit für datenschutzrechtlich NICHT zulässig. Wäre ich Datenschutzbeauftragter, würde ich einen entsprechenden Eintrag beanstanden.

3. Den Hochschulschriftenvermerk entfernen: Das entspricht zwar nicht den Katalogregeln, bereitet aber keine Probleme mit dem Datenschutz. Allerdings ergibt sich ein Folgeproblem: Ohne Hochschulschriftenvermerk bekommt das Buch vielleicht sogar eine "Aufwertung", weil es jetzt wie eine wissenschaftliche Monograhie erscheint und nicht bloß als Dissertation, also als von der Qualität her doch meist überschaubare wissenschaftliche Anfängerarbeit.

Das führt zur einer radikalen Lösung: Die Arbeit einfach aussondern. Hier aber meldet sich das schlechte Gewissen der Bibliothek als Gedächtnis, weil man eben auch die "Kultur des Plagiierens" irgendwie dokumentieren möchte. Weitere Gründe, solche Arbeiten aufzuheben, lassen sich leicht denken.

Zu allem Überfluss hat die Hochschule, die den Titel verliehen hat, "Wissenschaftspflege" als öffentliche und gesetzliche Aufgabe, so dass sie aufgrund dieser Tatsache vielleicht sogar die Pflicht hat, die betroffenen Kreise über den Titelentzug zu informieren. Allerdings muss sie hier natürlich das Datenschutzrecht und die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen beachten. Wir wären für die Frage, was man mit den Arbeiten in der Bibliothek tun soll, wieder am Anfang.

Das zur Zeit korrekteste Vorgehen mit Blick auf den Datenschutz erscheint mir: Die Hochschule informiert alle Bibliotheken, die die betreffenden Arbeit im Bestand haben, über den Titelentzug. Alternativ könnte sie als Gegenstück zur Publikationspflicht diese Meldung auch dem betroffenen "Doktor" zur Auflage im Sinne einer Nebenbestimmung des den Titel entziehenden Verwaltungsakts machen. Datenschutzrechtlich sauber reagiert die Bibliothek darauf nach Nr. 3 oder durch Aussondern, wobei die Aussonderung die vermeintlich sicherste Art ist, die Aufgabe der Pflege der Wissenschaft zu erfüllen.

Ich persönlich würde aus Gründen der korrekten Dokumentation Nr. 2 bevorzugen, wobei hierfür allerdings erst in den entsprechenden Hochschulgesetzen eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden müsste. Die könnte auch allgemein sein in dem Sinne, dass Hochschulen über wissenschaftliches Fehlverhalten die Öffentlichkeit informieren und dieses Verhalten im Interesse einer sauberen wissenschaftlichen Praxis auch dauerhaft dokumentieren dürfen, soweit es sich auf wissenschaftliche Veröffentlichungen bezieht.

Die Diskussion in INETBIB, die vor allem wissenschaftsethische Überlegungen angeführt hat, zeigt sehr schön, dass eine solche Regelung angemessen und auch verhältnismäßig ist, nur muss sie, damit man sich entsprechend verhalten kann, erst einmal geschaffen werden. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was rechtlich erwünscht, und dem, was rechtlich erlaubt ist.

Abschließend vielleicht noch eine Beobachtung: Wir verstehen wissenschaftliche Publikationen vor allem als einen öffentlichen Kommunikationsakt und legen daher Wert darauf, dass Fehler und Täschungen öffentlich diskutiert und dokumentiert werden. Das Recht der Graduierung betrachtet demgegenüber fast ausschließlich den Doktoranden und dessen Recht zur Titelführung. Von daher hat die Frage des Entzuges einen in der Sache eigentlich abwegigen eher "privaten" Charakter. An dieser Stellung müsste das Recht sicher nachgebessert werden.

Viele Grüße
Eric Steinhauer

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Prof. Dr. Eric W. Steinhauer
Dezernent für Medienbearbeitung
Fachreferent für Allgemeines, Rechts-, Staats- und Politikwissenschaft
Fernuniversität in Hagen - Universitätsbibliothek
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