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Re: [InetBib] Keine Sonntagsöffnung mehr für Bibliotheken? - Milchkühe und arme Hunde



Liebe KollegInnen, sehr geehrter Herr Becker,

die nun eine Woche währende Diskussion hat mit dem Beitrag von Herrn Becker
eine Dimension bekommen, die mich doch dazu bringt in diese etwas schräge
Diskussion einzusteigen.

Selbst losgelöst von den Funktionen kann ich von einem Kommentar eines
FH-Dozenten eine Sach- und Fachlichkeit erwarten, die seiner eigentlichen
Funktion gerecht wird. Leider konnte ich in Ihrem Kommentar Herr Becker
nichts vom vorgenannten erkennen. 

?Nur wer seine LeserInnen als KundInnen sieht? ? hat bis heute keinen
wissenschaftlichen Beleg für die Nutzbarkeit des KundInnenbegriffs im
bibliothekarischen Raum erbracht. Mir ist wohl bereits aufgefallen, dass
meine Fachwissenschaft es tunlichst vermeidet in die Diskussion um den
KundInnenbegriff fern betriebswirtschaftlicher Nebelkerzenwerferei
einzusteigen. Unbekannt war mir aber, dass man selbst auf der Ebene der
FH-Profs. Texte verfasst, deren Inhalt sich auf Bausteine eines
BWL-Bullshit-Worthülsengenerators beschränken. 
?Nur wer seine LeserInnen als KundInnen sieht, kann es als
selbstverständlich  ansehen, diesen unter bestimmten Rahmenbedingungen die
Türen auch sonntags zu  öffnen.? ? ehrlich? Das ist eine Nullaussage, quasi
der einleitende Satz zum folgenden fachlichen Nichts. In diesem einen Satz
manifestiert sich dabei trotzdem das ganze Missverständnis der
Bibliothekswissenschaft, herrschaftliches Verhalten im Öffentlichen Dienst
als durch den KundInnenbegriff aufgelöst oder überhaupt angegriffen zu
betrachten. Im nächsten Satz aber folgt noch das Sahnehäubchen auf dem
fachlichen Nichtigskeitsirrsinn: der Verweis auf den kommerzfreien
Bildungsort. 

Wäre es nicht so traurig, ich hätte herzlich gelacht. 

Spätestens nachdem der dbv, in offensichtlich mit der ekz abgestimmten
Pressemitteilungen, den ?Kaufbutton? der ekz öffentlich verteidigt, dabei
aber wissentlich den Punkt der Provisionen für die teilnehmenden
Bibliotheken ausklammert, möchte ich aus bibliothekarischen Verbänden nie
wieder ein Wort über Kommerzfreiheit hören, denn es ist schlicht geheuchelt.
Und noch ein Wort zum Bildungsort: einerseits ist es doch etwas fragwürdig,
einen Ort an dem ich mich bilden kann direkt als Bildungsort zu bezeichnen,
denn dann habe ich bspw. vor der Touristeninfo mit freiem WLAN bald viele
Bildungsorte aka Bänke stehen, andererseits wird die Wahrnehmung Gerichte
würde Bibliotheken auf eine Ebene mit kommerziellen Einrichtungen wie
Videotheken stellen beklagt. Wenn wir in die Lobbybroschüren des dbv gucken,
dann wissen wir doch warum die Gerichte uns auf diese Ebene stellen, nämlich
weil wir selbst mit dieser Ebene argumentieren. Zudem versucht die
Bibliothekswissenschaft, was man ja bereits mehrfach beobachten konnte,
einen Begriff ? hier nun den Bildungsbegriff ? soweit zu banalisieren, dass
man ihn möglichst geschickt mit weiterem fachlichen Nichtigkeiten,
wenngleich wohlklingenden Nichtigkeiten, zu umgeben. Eine schöne Strategie,
durchaus auch eine verständliche Strategie, aber eine die auf Dauer nicht
verfängt. Zur Bildungseinrichtung ist es von der Medienverleihstation mit
Animationsanteil doch ein weiter Weg. Ob dieser durch die Möglichkeit der
Sonntagsöffnung befördert wird weiß ich nicht. Man kann darüber ja
diskutieren, aber an dieser Diskussion besteht ja offensichtlich kein
Interesse. Andernfalls kann ich den verzweifelten Versuch alle
Bibliothekstypen in einer Diskussion, mit all ihren verschiedenen Zielen und
Bedürfnissen, in eine Hülse zu pressen nicht nachvollziehen. Die Tatsache,
dass die FreundInnen des KundInnenbegriffs dabei all ihre sonst
hervorgehobenen Zielgruppen- und Bedürfniseinrichtungsaspekte vergessen ist
möglicherweise auch selbsterklärend. 

Sonntagsöffnung ist ein gesellschaftliches Thema mit unendlich vielen und
differenziert zu betrachtenden Aspekten. Es wäre doch nett wenn man diesem
Thema in seiner Tiefe gerecht würde. 

Jetzt ein kleiner Schwenk zum BIB. Die dann nachgeschobene Pressemitteilung
des BIB zur Sonntagsöffnung betont in ihrer Oberflächlichkeit dann leider
auch noch mal die mangelnde Auseinandersetzung mit dem Thema, spricht im
Übrigen nicht für mich als BIB-Mitglied, aber das kenne ich ja schon vom
?code of ethics? des dbv, bietet mir aber ? oh Wunder moderner
Kommunikationsformen ? ein Forum zur Diskussion an ? natürlich NACHDEM man
öffentlich für alle MitgliederInnen Stellung bezogen hat ? ein Treppenwitz
der Verbandsgeschichte.

Womit ich bei der Verbandsgeschichte wäre: Rücktritte und Kündigungen
scheinen im BIB ja aktuell auf der Tagesordnung zu stehen (hier wäre eine
zeitnahe kleine Info für uns MitgliederInnen auch ganz nett, aber das nur am
Rande). Ich kann mich in dieser Form nicht guten Gewissens öffentlich von
meinem Berufsverband und explizit von seinem (Rest-)Vorstandsmitglied Tom
Becker vertreten lassen. Dementsprechend ist das ja auch irgendwie nicht ?
mehr ? mein Berufsverband. Die monatliche Zeitschrift für Bibliotheksprosa
(BuB) wird mir da nur am Rande fehlen, der fachliche Verlust ist da ja
überschaubar. Unnötig zu erwähnen, dass ich selbiges bereits nach dem
Beitrag bei forumoeb bezüglich der aktuellen Kampagne ?Netzwerk Bibliothek?
und der von Jochen Dudek aufgeworfenen Frage nach der Überbetonung unserer
digitalen Leistungsfähigkeit sagte.

Wer es nötig hat sich seine KollegInnen, im Scherz oder nicht, erträglich zu
trinken sollte vielleicht solche Texte vor dem Genuss des Kölsch verfassen
und dann zukünftig glücklicherweise nicht mehr für mich als BIB-Mitglied
sprechen.

Beste Grüße

Peter Jobmann

-- 
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