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[InetBib] Spitzenstücke aus der Schweinfurter Bibliothek Otto Schäfer verscherbelt



Im Portal Kulturgutschutz Deutschland ist seit November
2014 ein merkwürdiger Eintrag "Kolorierte und illustrierte
Handschriften und Drucke" einsehbar, der die vorläufige
Eintragung eines Konvoluts von 194 Einheiten in das
Hamburger Länderverzeichnis des national wertvollen
Kulturguts betrifft: "Handschriften und Drucke des 15. und
16. Jahrhunderts mit z.T. kolorierten Holzschnitten und
Kupferstichen illustriert, verschiedentlich reich in Holz
oder Leder gebunden; Drucker u.a. Gutenberg aus Mainz, Sorg
aus Augsburg, Reger aus Ulm, Grüninger aus Straßburg,
Lotter aus Wittenberg und Feyerabend aus Frankfurt". Bis
auf eine kurze Notiz in Archivalia blieb dieser durchaus
brisante Verwaltungsvorgang in der Öffentlichkeit
unbemerkt. Die detaillierte Liste der Objekte mit 199
Positionen sei in den Akten der Freien und Hansestadt
Hamburg, Kulturbehörde – Staatsarchiv (Az. ST6341/01)
einzusehen. Der zuständige Sachbearbeiter Thomas Schmekel
im Staatsarchiv Hamburg hat mir noch im November bestätigt,
dass die Liste öffentlich sei und mit einer Publikation
wohl im Hamburger Transparenzportal zu rechnen. Diese
Veröffentlichung ist aber nie erfolgt, und nun war zu
erfahren, dass die Bände nach Bayern transportiert wurden
und München daher zuständig sei.

Welche Schätze der an eine Hamburger Spedition und den
bekannten Handschriftenantiquar Jörn Günther gerichtete
Bescheid vom 18. November 2014 betrifft, zeigt der Download
(PDF) der Liste. Jedem Kenner ist klar, dass die Annahme
der Hamburger Behörde, es handle sich um Stücke aus dem
Museum Otto Schäfer in Schweinfurt, offenkundig zutreffend
ist. Es geht um die Zimelien der einzigartigen Sammlung,
wobei das umfangreiche Fragment der Gutenberg-Bibel nur die
bedeutendste der knapp 70 Inkunabeln ist. Die meisten der
in einem Bericht über den Besuch der
Pirckheimer-Gesellschaft in Schweinfurt erwähnten
Spitzenstücke sind vertreten. Nr. 1 ist etwa eine
niederösterreichische Sammelhandschrift aus dem Katalog
Drucke, Manuskripte und Einbände des 15. Jahrhunderts.
Bearbeitet von Manfred von Arnim (1984), Nr. 372. Nr. 146
ist das bekannte Beutelbuch der Katharina Röder aus Kloster
Frauenalb von 1540. Nr. 119 ist eine der Forschung
anscheinend unbekannte Handschrift "Ebran v. Wildenberg:
Chronik der Herzöge Andreas v. Regensburg: Chroniken der
Fürsten aus Bayern" (in einem Ottheinrich-Einband).

Man darf durchaus von einem "Ausverkauf" der Sammlung Otto
Schäfer sprechen, die bereits durch erhebliche Verkäufe
1994/95 dezimiert worden war (siehe Fabian-Handbuch). Auch
bei den exemplarisch im Fabian-Handbuch der historischen
Buchbestände erwähnten bedeutenden Buchtiteln zeigt sich
eine große Übereinstimmung mit der Hamburger Liste. Das
angehaltene Konvolut sei "eine wirklich aufregende, mit
größter Kennerschaft zusammengetragene Sammlung, die im
Land und zusammen bleiben muß", meinte ein Experte mir
gegenüber.

Das Vorgehen des Eigentümers Otto G. Schäfer (Sohn des
namengebenden Sammlers), der die Spitzenstücke seiner
öffentlich zugänglichen Sammlung klammheimlich Jörn Günther
verkaufte, darf man durchaus skandalös nennen. Dazu passt,
dass Schäfer mich am Telefon angelogen hat, als ich mich
als betroffener Wissenschaftler nach einem der auf der
Liste stehenden Bände erkundigte, nämlich nach der Nr. 4
mit Richenbach-Einband, der dem Schwäbisch Gmünder Kleriker
Jörg Ruch gehörte, über den ich im Internet 2002 einen
kleinen Artikel publiziert hatte. Auch als ich vorgab, ein
Verkaufsgerücht gehört zu haben, tat Schäfer so, als
befände sich der Band nach wie vor im Gewahrsam der
Bibliothek.

Wir brauchen dringend eine öffentliche Diskussion über die
Liste national wertvollen Kulturguts, die ich als virtuelle
Kunst- und Wunderkammer der Bundesrepublik Deutschland
bezeichnet habe, über die man sich nur wundern kann. Man
muss den Mut anerkennen, mit dem das Hamburger Staatsarchiv
erstmals ein solches Transportgut bei der Ausfuhr aus der
EU (Günther hat sein Antiquariat ja in die Schweiz verlegt)
mit einer vorläufigen Eintragung angehalten hat. Grundlage
war der nach der EG-Verordnung über die Ausfuhr von
Kulturgütern gestellte Antrag. Die vorläufige Eintragung
soll der Prüfung dienen, ob es sich um national wertvolles
Kulturgut handelt. Hamburg war überzeugt, dass mindestens
einige Stücke definitiv national wertvolles Kulturgut
darstellen und hat daher die vorläufige Unterschutzstellung
veranlasst. Da Bayern nicht für seinen Mut gegenüber dem
Kunsthandel bekannt ist, bewegliche Kulturgüter dreist
vernachlässigt und die Bayerische Staatsbibliothek als
maßgebliche Fachbehörde nach meinen Erfahrungen ebenfalls
keinerlei Interesse an Kulturgutschutz hat, wird man die
Rückverlagerung nach Bayern als "schmutzigen Trick" werten
dürfen. Kulturgüter sind einmal mehr Opfer des deutschen
Föderalismus!

Zum Interesse der Wissenschaft an Kulturgütern in privater
Hand habe ich mich in meinem Beitrag "Nachruf auf die
Bibliothèque Internationale de Gastronomie in Lugano"
ausführlicher geäußert. Dass es sich bei der Schweinfurter
Bibliothek Otto Schäfer um eine unikale Kollektion handelt,
die ebenso wie eine weltweit einzigartige Käfersammlung
unbedingt auf der bayerischen Liste des national wertvollen
Kulturguts stehen müsste, erscheint mir sicher. Auf den
Schutz solcher wirklich hochrangiger Gesamtheiten aber
pfeift der Freistaat: Hat er doch im März 2014 aus der
berühmten Pommersfeldener Bibliothek nur eine willkürlich
anmutende Auswahl von Handschriften vorläufig auf die Liste
gesetzt.

Im Interesse der Wissenschaft müsste ein möglichst
vollständiger Ankauf der jetzt angehaltenen Schweinfurter
Stücke (bzw. weiterer Bestände der Bibliothek Schäfer) für
eine öffentliche Sammlung etwa durch die Kulturstiftung der
Länder finanziert werden.

Die vor allem mit Stiftungsgeldern ins Werk gesetzte
Digitalisierung ausgewählter Bücher der Bibliothek Schäfer
durch das Münchner Digitalisierungszentrum betraf nicht
wenige der Werke des verkauften Konvoluts. Aber eben nicht
alle. Der beträchtliche Schaden für die Wissenschaft wäre
geringer, wenn die verscherbelten Pretiosen komplett
digitalisiert vorliegen würden.

Die Schweinfurter Bibliothek geriert sich als ehrenwerte
und seriöse Institution, getragen von einem als "Stiftung"
bezeichneten eingetragenen Verein, der aber vermutlich nur
das abnickt, was der Vereinsvorsitzende Otto G. Schäfer
will. Öffentliche und kirchliche Schweinfurter
Büchersammlungen befinden sich inzwischen als Leihgaben in
der Bibliothek. Dass man in intransparenter Weise und
offenkundig ohne Information der bayerischen Behörden die
herausragenden Zimelien verkauft hat, zeigt, wie wenig
ehrenwert und seriös das Museum Otto Schäfer in
Wirklichkeit agiert. 

Klaus Graf

Version mit Links:
http://kulturgut.hypotheses.org/413

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