[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [InetBib] Open Access



Sehr geehrter Herr Umstätter,

ich stimme Ihren Überlegungen zu. Inzwischen ist mir die Quelle wieder
eingefallen, woher die Meldung "nur jeder 7. Artikel wird wieder zitiert"
von etwa 1990 stammte. Das waren die Mathematical Reviews der American
Mathematical Society. Damals erfassten sie den Zeitraum 1945-1990,
inzwischen wurden rueckwaerts viele Journale bis 1900 eingescannt und
katalogisiert. Und bei den Math. Rev. wurde es anhand der referierten
Bestaende aus den Quellenlisten errechnet.
Insofern war das Bemuehen um die moeglichst vollstaendige Erfassung der
mathematischen Fachliteratur aus US-amerikanischer Sicht erkennbar.

Natuerlich gab und gibt es auch hier Erfassungsluecken, z.B. die Literatur
in den kleineren Laendern des Ostblocks und auch russische Journale der
zweiten Reihe bis 1990 (die A.M.S. gab Sammelbaende uebersetzter russ.
Artikel in jener Zeit heraus, nur eine Auswahl).

Dass trotzdem nicht alles trotz Akribie erfasst werden kann, zeigt ein
inhaltlicher Vergleich zum kleineren Konkurrenten Zentralblatt schon als
Stichprobe nach Schlagwoertern. Noch vor dem Sprachenproblem. Und das
Sprachenproblem wird zunehmen, leider.

Mit freundlichen Gruessen
Michael Frank.
--------------------------------



Am Sa, 19.09.2015, 19:41 schrieb h0228kdm:
Sehr geehrter Kollege,


inzwischen scheint mir OA ein zunehmend lukratives Geschäftsmodell zu
sein, bei dem meine Sorge um die Qualität der Wissenschaft weiter wächst.
Ein Problem, dass in der Projektforschung ebenfalls diskutiert wird,
weil zu viele Projekte bekanntlich scheitern.

Wenn um 1990 eine Zeitschrift mit 150 verkauften Exemplaren, zumeist an
Bibliotheken,
existieren konnte, so musste sich der Herausgeber permanent um die Qualität
Gedanken machen,
denn Bibliotheken mussten (und müssen) immer prüfen, was abbestellt werden
kann. Wenn dagegen (insbesondere junge) Autoren beim publish or perish
ihre Publikationen zunehmend bezahlen, um in ihre Zukunft zu investieren,
dann geht das auf Kosten der Qualität, weil immer öfter nur noch die
Publikationen gezählt werden, und weil die Gefahr wächst, dass diese
Autoren das schreiben, was im Peer Review akzeptiert wird.


Sie haben völlig recht, dass die Uncitedness ein interessantes Maß dafür
ist, wie viel gelesen wird, auch wenn ich Zweifel habe, dass 1990 "jeder 7.
Fachartikel in Journalen jemals woanders wieder zitiert" wurde, weil
es heute fast unmöglich ist alle Journale der Welt wirklich zu erfassen,
und weil genauere Untersuchungen dem entgegen stehen. Die meisten
Untersuchungen dieser Art wurden im Science Citation Index gemacht, und
der hat zwar die wichtigsten Zeitschriften (insbesondere im Bereich
Biochemie und aus US-Amerikanischer Sicht - auch Mathematik ist nicht
der Fokus des SCI) erfasst, aber eigentlich nur einen Kernbereich. E.
Garfield hat sich 1973 Gedanken über die Uncitedness gemacht, aber die
Uncitedness IV (I - III s. E. Garfield) vergessen, bei der Autoren
bestimmte Arbeiten absichtlich nicht zitieren, um sie aus verschiedensten
Gründen möglichst unbekannt zu lassen. Die meisten
Schätzungen über die Uncitedness sind ohnehin irreführend, da oft schon
nach nur zwei Jahren gezählt wurde, da nicht berücksichtigt wurde in
welcher Sprache, in welcher Zeitschrift (mit welchem Impact Factor)
publiziert wird, und in welchen bzw. wie vielen Quellen nach Zitationen
gesucht wurde.

Im Gegensatz zu der verbreiteten Annahme, dass englischsprachige
Zeitschriften an Bedeutung gewinnen, gibt es immer mehr andere
Zeitschriften in der Welt, da immer mehr Länder in immer mehr Sprachen
sich heute an der globalen Wissenschaft beteiligen. Man schätzt, dass 1900
etwa 90% in Englisch, Französisch und Deutsch waren, wenn es heute noch
50% sind, können wir froh sein. Auch daran kann man sehen, was wir
alles nicht mehr lesen und diskutieren (können).

Noch schlimmer ist, dass immer mehr Firmen ihr Wissen geheim halten und
nur ihre Werbung publizieren. Einige publizieren auch patentfähige Ideen in
völlig unbekannten Zeitschriften und wenig benutzten Sprachen, damit sie
niemand findet. Falls die Konkurrenz dann ein Patent beantragt, lässt sich
das entsprechend verhindern. Auch eine interessante Form der Uncitedness.


MfG


Walther Umsätter



Am 2015-09-17 17:52, schrieb michael.frank@xxxxxxxxxxxxxxx:

Sehr geehrter Kollege,
Sehr geehrte Kollegin,


da Open Access bedeutet, die Initialkosten und die
Dauerdatenhaltungskosten von den AutorInnen zu nehmen, ist es ein
Geschaeftsmodell. Es ist nicht verboten, als UnternehmerIn taetig zu
werden und fuer sein Geschaeft zu werben. (Das ist wie in Rom: Bei
schoenem Wetter "Selfie,selfie!", bei Regen "Umbrella? Umbrella?".)

Nach der Wende 1990 wurde mir einmal erzaehlt, die Auflage eines
verlagsgebundenen neuen Journals haette eine Rentabilitaetsschranke von
150 verkauften Exemplaren je Auflage - damals fast ausschliesslich an
Bibliotheken. (Das kam aus dem Umfeld der UEbernahme der Zeitschrift
fuer Analysis und ihre Anwendungen, Uni Leipzig, durch einen Unternehmer,
 der mehrere Zeitschriften uebernahm und laengere Zeit fuehrte. Aber
nicht von ihm.)

Ihre Beobachtung zur immer knapperen Zeit zum Lesen gehe ich mit. Das
ist aber nicht neu als Erscheinung. 1990 wurde in der Mathematik nur noch
 jeder 7. Fachartikel in Journalen jemals woanders wieder zitiert - und
 Mathematik ist ein Gebaeude von Ideen, weniger eine Diskussion mit
verschiedenen Meinungen. (Die Zahl ist mir aus Gespraechen in Erinnerung
und hatte mich damals als junger Wissenschaftler stark beeindruckt. Wer
publiziert schon 6 Artikel von 7 gern fuer die runde Ablage. Eine exakte
 Quelle kenne ich nicht. - Bei mir persoenlich ging es deutlich
guenstiger aus.)

Drittmitteleinwerbung wird m.E. erst dann interessant, wenn man
promoviert ist. Und auch dann bekommt man diese nicht ohne Nachweis der
wiss. Publikation(en). (Der Fall Schneider als Bauunternehmer in Leipzig
und anderswo war an die Zeit gebunden. Geworbene Drittmittel generieren
nicht automatisch noch mehr Drittmittel. Es ist ein harter Kampf um
jedes Projekt.)


Soweit meine paar abendlichen Gedanken am Rande des OEsterr.
Bibliothekartags. Wir wollten ja diskutieren ... ;-)


Mit freundlichen Gruessen
Michael Frank. (kein Troll)
------------------------------------



Am Do, 17.09.2015, 17:19 schrieb h0228kdm:

Darf ich fragen, ob hier in INETBIB noch mehr Teilnehmer den Eindruck
 haben, dass die Open Access Entwicklung immer mehr dahingehend
missbraucht wird, dass Internetteilnehmer aufgefordert werden,
Beiträge zu irgend
welchen Zeitschriften mit xxx Impact Factor, Peer Reviewed und indexed
 in yyy zu liefern. Ich bekomme solche Angebote inzwischen fast
täglich, und werde das Gefühl nicht los, dass diese Entwicklung für
einige Verlage ein lukratives Geschäft geworden ist.

Ich weiß allerdings noch nicht, ob dies ein systematischer Versuch
von professionellen Trollen ist, die Open Access Entwicklung zu
torpedieren, oder ob immer mehr Trittbrettfahrer ein für sie neues
Geschäftsmodell
entdeckt haben.

Da die Publikationen in solchen Zeitschriften ja Peer Reviewed sind,
konnte ich bislang noch nicht feststellen, dass die Publikationen
dieser Zeitschriften so viel anders sind, als das, was mich auch in
vielen anderen Zeitschriften nicht wirklich interessiert ;-)

Übrigens habe ich auch den Eindruck, dass nicht nur in INETBIB die
Diskussionsfreude abgenommen hat, auch gängige Zeitschriften werden
immer weniger wirklich gelesen und kritisch hinterfragt. 1. Weil es
immer mehr Angebote gibt, für die niemand mehr die Zeit hat, sie
wirklich zu lesen. 2. Weil immer mehr Zeitschriften missbraucht werden
um Werbung zu transportieren. 3. Scheint es so zu sein, dass die Zahl
an Publikationen
für das berufliche Fortkommen langsam an Bedeutung verliert, während
die Einwerbung von Drittmitteln an Bedeutung gewinnt.
4. Könnten einige Bibliotheken nicht die wichtigsten Zeitschriften
abbestellen, wenn deren Bedeutung nicht langsam abnimmt.

Außer dem Heer an Berufstrollen (Troll-Armee, u.a.) und Lobbyistn
wird immer seltener fachlich ernst diskutiert. So frage ich mich
zunehmend, was Bibliothekare heute lernen müssen, wenn der Trend zu den
Makerspaces
in Bibliotheken zunimmt.

MfG



Walther Umstätter




Am 2015-09-17 15:15, schrieb markus schnalke:


Hallo.



[2015-09-17 15:02] Michael Schaarwächter
<Michael.Schaarwaechter@xxxxxxxxxxxxxxxxx>



danke für die erneute Anregung, über die Zukunft der Liste
nachzudenken. Die Stellenanzeigen in InetBib sind sicher nicht
das einzige, was diese Liste trägt, aber sie sind schon zu einem
wesentlichen Anteil geworden.

Hier eine kleine Auswertung meines Archives seit:



$ scan f -form '=%{date}'
Wed, 7 Nov 2012 17:25:00 +0100



Insgesamt:



$ folder
l/inetbib+ has 7563 messages  (1-7565); cur=7565

Und hier die Anzahl der Stellenanzeigen/Stellenausschreibungen/
Stellenangebot und Ausbildungen (ohne die Antworten darauf):



$ scan | egrep -i 'stellena|ausbildung' |
egrep -vi 're:|aw:' | wc -l 2152



Das sind rund 28 Prozent.




(In den letzten 365 Tagen waren es 823 von 2551 und damit rund
32%.)




markus schnalke

--
http://www.inetbib.de




--
http://www.inetbib.de




-- 
http://www.inetbib.de


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.