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Re: [InetBib] Über die Schutzfristen für verwaiste Werke




-------- Weitergeleitete Nachricht --------
Betreff:        Re: [InetBib] Über die Schutzfristen für verwaiste Werke
Datum:  Wed, 21 Oct 2015 10:58:29 +0200
Von:    Harald Müller <hmueller.mpil@xxxxxx>
An:     Klaus Zehnder <klaus.zehnder@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx>



Lieber Herr Zehnder,

das Urheberrechtsgesetz schützt in erster Linie die Interessen einer
kreativ tätigen Person, und zwar bis zu 70 Jahre nach deren Tod. Sie
möchten ein solches Werk "verwerten", sie möchten also einen Nutzen aus
einer fremden Leistung erwirtschaften? Im Verb "verwerten" steckt
nämlich als Kern der "Wert". Dazu gibt es diverse Möglichkeiten, z. B.
Sie bemühen sich um die Zustimmung des/der Nutzungsrechtinhaber, d.h.
Übertragung von Nutzungsrechten. Das geht heute auch über eine freie
Nutzungslizenz (CC-Lizenz), die ich ausdrücklich befürworte.

Ansonsten müssen Sie warten, bis das Werk gemeinfrei geworden ist (70
Jahre post mortem). Dazu sollten Sie natürlich wissen, wann der Urheber
verstorben ist. Im Jahr 2015 betrifft dies alle vor 1945 verstorbenen
Urheber. Theoretisch ist es denkbar, dass ein etwa 1895 erschienenes
Werk heute noch geschützt ist, weil der Urheber noch mehr als 50 Jahre
danach gelebt hat.

Die neue Regelung über verwaiste Werke soll nun ausschließlich
Bibliotheken ermöglichen, Werke im Internet zugänglich zu machen, deren
Rechteinhaber nicht bekannt/auffindbar ist. Eine sonstige Verwertung ist
nicht gestattet. Welche Rolle schwebt eigentlich Ihrer Bibliothek "als
betroffener Verwerter" vor? Ihre Wortwahl klingt etwas verdächtig.

Eine weitere Variante bietet Ihnen die neue Regelung über vergriffene
Werke in § 13d Urheberrechtswahrnehmungsgesetz. Diese Bestimmung räumt
Ihnen wesentlich umfangreichere Möglichkeiten ein, für die Sie aber
bezahlen müssen.

Jetzt hoffen wir mal, dass Ihnen hiermit etwas geholfen wird.

MfG

Harald Müller

Am 20.10.2015 um 15:23 schrieb Klaus Zehnder:
Hallo an die inetbib-Nutzenden,

gehe ich fehl in der Annahme,

dass weder im Urheberrechtsgesetz noch in der EU-Richtlinie 2012/28/EU
vom 25.10.2012  Regelungen oder Vorschläge über spezielle
Schutzfristen für die Sonderregelungen für verwaiste Werke vorhanden
sind,

mit der Folge,

dass man eigentlich nicht immer wissen kann, wann nach §§ 64, 69 UrhG
die 70 jährige Schutzfrist, beginnend mit Ablauf des Kalenderjahres
des Todes des Urhebers oder des längstlebenden Mit-Urhebers,
abgelaufen ist?

Wie kann man denn dann wissen, wann ein verwaistes Werk gemeinfrei
geworden ist, man es also ohne diese einschränkenden Verwertungsregeln
die für verwaiste Werke gelten, verwerten kann? Klar, dass man dann
die Orphan-Works-Novelle benötigt, aber sie benötigt man ja nur,
solange der Ablauf der Schutzdauer eines Urheberrechtsschutzes nicht
offensichtlich ist.

Die Folge dürfte sein:

Wenn es keine Sonderregelung zur Schutzdauer gibt, dann muss man als
betroffener Verwerter einfach das Risiko des eventuellen Eintritts der
Gemeinfreiheit selber tragen, wenn man mehr machen möchte als was in
den §§ 61 ff UrhG für zulässig erklärt wird.

Sind Sie auch dieser Ansicht? (Versuch einer Crowd-Sourcing-Anfrage).

Viele Grüsse

Klaus Zehnder




--
Dr. Harald Müller
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