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[InetBib] Von Sci-Hub über die IFLA Vouchers zu Marc Ribot



Sehr geehrter Herr Graf

Aus Athen danke ich Ihnen vielmals für die Eulen und für das Zusammentragen der 
Informationen und das Kommentieren ( https://archivalia.hypotheses.org/55814 )! 
Es ist spannend, wie Sie den alten Hut Fernleihe auf Sci-Hub prallen lassen. 
Welche Konsequenzen sich aus dem Zusammenprall ergeben, ist eine ebenso 
spannende Frage. Wie auch die Frage, warum Sci-Hub und vergleichbare 
Dokumentsammlungen erst jetzt so gross herauskommen? Weil sie nicht mehr so 
versteckt sind wie vor Jahren? Weil es zu einem Thema in den grösseren Medien 
geworden ist? Oder weil sich die Fernleihe mancherorts (USA?) verschlechtert 
hat? Oder weil die Leistungsfähigkeit auch der besten Fernleihe die Bedürfnisse 
der Wissenschaft nicht mehr angemessen befriedigen kann? Vor mehr als 15 Jahren 
gab es Napster. Klar: andere Technik, andere Inhalte, aber auch eine Form von 
filesharing und immerhin waren damals doch viel grössere (Musik-)Dateien von 
einem weniger leistungsfähigen Netz und weniger leistungsfähigen PCs zu 
bewältigen. Warum also jetzt? Weil die Existenz der Fernleihe auf das 
Etablieren eines Filesharing im Bereich wissenschaftlicher Dokumente 
«epochenverschleppend» gewirkt hat?

Qualitativ habe ich mit der herkömmlichen Fernleihe kaum ein Problem gehabt, 
etwas mit dem von Ihnen Zitierten .
«In many places ILL is awful. Let's be quite honest. Another form. Asks a lot 
of information. May have a different login. May take 2-3 weeks to arrive. It 
may be fax quality. May be a cost associated. In one sociology class I was in 
as a student they were going off on how bad it was: wrong article, missed 
several pages, illegible copies. the one guy put his request in like 5 times 
before getting a full, readable copy.»
. Vergleichbares habe ich in den 20 Jahren, in denen ich die Fernleihe nutze, 
nie erlebt - weder in deutschen, tschechischen oder schweizerischen 
Bibliotheken.
 
Quantitativ und hinsichtlich der Leistungskraft sehe ich auch kein Problem: 
Zumindest ausgehend von Wissenschaftlern, die das, was sie per Fernleihe 
bestellen, auch zumindest ansatzweise und in groben Zügen intellektuell 
verarbeiten, wenn nicht gar verstehen wollen, sehe ich den limitierenden Faktor 
eher in der Aufnahmefähigkeit des Rezipienten als in der Leistungsfähigkeit und 
Schnelligkeit der Fernleihe. Wenn es allerdings darum geht, aus der Literatur 
in grossem Umfang Daten herauszusaugen, sieht das sicher anders aus.
 
Vielen Dank für das Zusammentragen der drastisch unterschiedlichen Konditionen, 
zu denen die Fernleihe angeboten wird: Dem negativen Ende des 
Fernleihe-Spektrums ließe sich noch hinzufügen, dass bis vor wenigen Jahren die 
Stadtbibliothek Ulm (keine ganz kleine Bibliothek) gar keine Fernleihe anbot. 
Das lasse der angespannte Haushalt der Stadt Ulm nicht zu (oder so ähnlich), 
wurde damals auf der Website der Stadtbibliothek Ulm mitgeteilt. Armes Ulm! Die 
Ulmer mit Fernleih-Bedürfnis und ohne Zugehörigkeit zur Uni Ulm durften dann 
über die Donau ins gelobte Land, den Freistaat Bayern, pilgern, um ihre 
Fernleihen in der Stadtbücherei Neu-Ulm zu bestellen (was dort auch tadellos 
funktionierte). - Der Impuls für Sci-Hub hätte also vor einigen Jahren auch aus 
Ulm statt aus Kasachstan kommen können .

Übrigens schön, dass Sie die IFLA Vouchers erwähnen! Der von Ihnen genannte 
Preis von EUR 17 betrifft die Bearbeitungsgebühr einer Gutscheinbestellung und 
nicht die Gutscheine selbst. Und niemand (keine Bibliothek) wird immer wieder 
einen einzelnen Gutschein bestellen, sondern immer eine grössere Anzahl pro 
Bestellung ordern. Die Vouchers selbst haben Nennwerte von EUR 8/CHF 12 (Full 
Voucher) und EUR 4/CHF 6 (Half Voucher).  Ich bin ein grosser Fan der Idee 
hinter den IFLA-Vouchers und wenn es schon darum gehen soll, die Kosten für die 
Fernleihe zu senken, warum nicht über ein so ur-analoges Zahlungsmittel wie die 
IFLA-Vouchers? Mit den zwei Werten 4 und 8 Euro ist man recht flexibel und die 
Kosten zur Verwaltung der Gutscheine sollten bibliotheksintern ein gutes Stück 
niedriger ausfallen als das Schreiben von Rechnungen und Kontrollieren des 
Zahlungseingangs etc.

Zu guter Letzt nochmal zurück zur Musik und zu
@Joachim Eberhardt: 
« [.] so wie beim Thema Musik auch gelungen ist, Kunden zur Nutzung legaler 
Angebote zu bewegen, in dem diese besser geworden sind.»

Welche legalen Angebote meinen Sie, Streaming-Services wie Spotify? Wie 
gestaltet sich dieses legale Angebot aus Sicht von MusikerInnen? Was sagt uns 
BibliothekarInnen beispielsweise die heftig ausgefochtene Kontroverse der 
beiden Ikonen der US-Independent-Musik Marc Ribot und Steve Albini um Copyright 
und Streaming-Services, die gipfelte in dem Wortwechsel:

«So I [i.e. Marc Ribot] posed the question online:  "are you willing to sign a 
Creative Commons license placing your entire catalogue in the public domain? Or 
are you just another. hypocrite.?"
Albini responded: "Your challenge that I put everything in the public domain is 
of course a needle I'm not going to indulge."»

Nachzulesen hier: The Beef About Copyright Continues with Steve Albini Vs. Marc 
Ribot, Part.? Crap, We Lost Track. By Brad Cohan ( 
http://noisey.vice.com/blog/steve-albini-vs-marc-ribot ) 
Ein lesenswerter Artikel zu Spotify, in dem auch Marc Ribot seine Sichtweise 
schildert, hier: Revenue Streams. Is Spotify the music industry's friend or its 
foe? By John Seabrook. In: The New Yorker, November 24, 2014 ( 
http://www.newyorker.com/magazine/2014/11/24/revenue-streams ). 
Zu Marc Ribots Engagement für die Content Creators Coalition (CCC/C3) siehe 
hier http://marcribot.com/ccc.

Mit besten Grüssen
Florian Ruhland
______
 
Florian Ruhland
Wissenschaftlicher Bibliothekar
Tel: +41 52 631 2742
florian.ruhland@xxxxxxxxxxxxxxxx
 
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