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Re: [InetBib] PokemonGo-freie Zone in Nordenham



Danke Herr Jobmann,

Sie haben mich darauf hingewiesen, dass ich doch den lokalen Kontext
deutlich machen sollte.

Auf unseren Bibliotheks-T-shirts steht der Slogan "It takes a village to
raise a child". Das ist sozusagen unsere "Mission". Wir haben uns seit
vielen Jahren mit praktisch allen gesellschaftlichen Akteuren vernetzt.
Kern ist ein Vernetzungsgremium, der Präventionsrat der Stadt, in dem alle
Sozial-, Sport- und Jugendverbände, Schulsozialarbeiter etc etc vertreten
sind. Ich war zehn Jahre lang nebenamtlich der Geschäftsführer dieses über
30-köpfigen Gremiums, das sich monatlich trifft. Wir bemühen uns dabei
ständig, "in den Schuhen anderer zu laufen", andere Perspektiven zu sehen.
Heute moderiere ich eine AG Medienpädagogik, die auf Grund der
Hilflosigkeit der Schulen beim Umgang mit Cybermobbing eingerichtet wurde.
Im Vorstand der Kinder- und Jugendfarm, die wir 2000 mit gegründet haben,
sitzen noch heute Mitarbeiter*innen der Bücherei.

Wir haben seit 1997 einen öffentlichen Internetzugang, waren die erste OEB
in Deutschland mit einem Blog (den wir allerdings nur noch sporadisch
bespielen). Ich habe noch vor einiger Zeit Fortbildungen für Kolleg*innen
zu Social Web gegeben. Ich bin nun kein Gamingexperte, habe aber ein
Spielpädagogikausbildung in Remscheid gemacht.

Wir sind die einzige Bibliothek, die ein lokales Netzwerk des "Hauses der
kleinen Forscher <http://www.haus-der-kleinen-forscher.de/de/ueberuns/>" -
des größten MINT-Projektes im Vor- und Grundschulbereich koordiniert.
Offensichtlich sind sich die ach so technik-affinen, trend-bewussten
Bibliotheken zu schade diese Bildungsarbeit an der Basis zu leisten. (Die
Spitze musste sein, das ist nämlich nicht "ohne"...) "Maker" ist ja so viel
schicker...

Wir haben vor diesem Hintergrund einen sehr hohen Stellenwert in der Stadt
und eine Stimme, die sehr wohl wahrgenommen wird. Der nicht unwichtige
Nebeneffekt: in diesem Sommer hat der Kulturausschuss des Stadtrates bei
Etatberatungen wieder einstimmig beschlossen, dass die Bücherei auch in
Zukunft gebührenfrei bleibt.

Wir haben also ein klares Profil und können daher auch mal gegen den Trend
denken...


Mit freundlichen Grüßen

Jochen Dudeck
Stadtbücherei Nordenham
An der Gate 11
26954 Nordenham
04731 923210

http://www.stadtbuecherei-nordenham.de
Blog: http://nordenhamerbuecherei.wordpress.com

Am 20. Juli 2016 um 10:45 schrieb Peter Jobmann <peter.jobmann@xxxxxxxxxxx>:

Hallo in die Runde,

mal ganz ketzerisch gefragt:

Wieso wird hier und bei Facebook eigentlich so viel im Sinne der
Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes argumentiert. Mir war schon
bewusst, dass das angesichts des Kaufbuttons der Onleihe und Themen wie
Bestsellerservice etc. eher ein Marketinggag ist, aber aktuell ist doch die
offizielle Lesart des Bibliotheksverbandes, sie findet sich seit Jahren in
beinahe jeder Zuschreibung, die Rolle Öffentlicher Bibliotheken als quasi
letzter kommerzfreier Ort in der Kommune.

Bedauerlich sind bei dieser "Diskussion" insbesondere zwei Punkte:

1. Die Weigerung beinahe aller kommentierenden KollegInnen die Aktion im
Kontext der lokalen Arbeit zu betrachten. Es herrscht offensichtlich die
irrige Annahme, die Kommunikation zwischen einer Bibliothek und der
Stadtgesellschaft beschränke sich auf Schilder an der Bibliothekstür und
damit auch auf Bilder bei Facebook. Ein Blick auf die Homepage der
Stadtbücherei Nordenham ordnet diese Aktion relativ sichtbar und einfach in
einen lokalen Kontext bzw. in bereits bekannte Kommunikations- und
Aktionsformen ein. So betrachtet bleibt es ganz sicher diskussionswürdig,
war ebenso sicher nicht der einfachste Weg, und ist aber noch viel sicherer
mit wesentlich weniger Hektik und Ablehnung zu betrachten.

2. Die gefühls- und marketingorientierte Sichtweise auf bibliothekarische
Arbeit gewinnt weiter an Fahrt. Was sich hier erneut zeigt, ist die
inhaltsleere Glückseeligkeitssucht des wahllos auf jeden Hype
aufspringenden Bibliothekszirkusses. Die Überbetonung der Bibliothek als
Treffpunkt und die damit verbundene Notwendigkeit Hypes nutzen zu müssen um
sichtbar zu sein, ist dabei nur ein Aspekt. Mir ist aber offensichtlich der
Teil der Fachdiskussion entgangen, der die zentrale Aufgabe der Vermittlung
von Informationen als redundant erklärt hat. Die Annahme freie Zugänge zu
Informationen würden ausreichen um Offenheit zu garantieren ist dabei
ebenso überheblich und bildungsbürgerlich, wie es einst gute Literatur
definierende BibliothekarInnen waren. Man kann Verantwortung, Kritik und
Spaß gleichzeitig vermitteln und man darf gernen über den Hype hinaus
Fachliteratur nutzen.

Festzuhalten bleibt: Nordenham hat es geschafft eine Diskussion zu vielen
Punkten auszulösen, die angesichts der Form und des Inhalts der (Facebook-)
Kommentare aus der Bibliothekswelt mehr über uns selbst aussagt, als über
das Spiel. Aber es gab eine Diskussion. Ich werbe dafür sich ehrlich zu
fragen, welche andere Bibliothek überhaupt eine Diskussion angestrengt hat.
Auch die am Pokémon-Hype orientierte Handlungsempfehlung der Fachstelle aus
NRW hat erst auf Nachfrage Links zu Datenschutz etc. betreffenden Seiten in
ihren Artikel eingefügt. Es war also offensichtlich nicht mal Teil einer
möglichen Handlungsstrategie.

Zum Abschluß noch die Frage: wie kommt man darauf die Erklärung einer
Pokémon freien Zone als Ausschluß ganzer Zielgruppen zu werten? Die armen
MusikerInnen, die beim Verbot von Handys in ihren Veranstaltungen quasi
niemanden mehr erreicht. Ich empfehle da ein bisschen mehr Lockerheit.

Es ist nicht in Ordnung, als Bilbiothek unkritisch gesellschaftliche
Entwicklungen zu begleiten. Wir können Standpunkte einnehmen und
Diskussionsflächen bieten, also ein demokratischer Ort sein. Das macht uns
durchaus angreifbar. Ist das ein Problem?

Peter Jobmann



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.