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[InetBib] Homo ludens ... Pokemon Go



Der Form nach betrachtet, kann man das Spiel also zusammenfassend eine
freie Handlung nennen, die als »nicht so gemeint« und außerhalb des
gewöhnlichen Lebens stehend empfunden wird und trotzdem den Spieler
völlig in Beschlag nehmen kann, an die kein materielles Interesse
geknüpft ist und mit der kein Nutzen erworben wird, die sich innerhalb
einer eigens bestimmten Zeit und eines eigens bestimmten Raumes
vollzieht, die nach bestimmten Regeln ordnungsgemäß verläuft und
Gemeinschaftsverbände ins Leben ruft, die ihrerseits sich gern mit
einem Geheimnis umgeben oder durch Verkleidung als anders von der
gewöhnlichen Welt abheben.
Johan Huizinga, Homo Ludens, S. 22


Die schönen Zeilen oben aus dem AKI-wiki als Ergänzung zur aktuellen
Diskussion, speziell zur lesenswerten Mail von H. Eichler.



2016-07-21 1:36 GMT+02:00 Prof. Eichler, Uni Hamburg
<gert.eichler@xxxxxxxxxxxxxx>:

Eine direkte und eine allgemeine Antwort - direkt: Danke für diese
Spiel-Diskussion! Allgemein: Spielen ist Gattungseigenschaft spätestens des
Menschen, Kindheit entstand um der spielerisch-explorativen Eroberung der
natürlichen, sozialen, kulturellen (Um-)Welt willen (Kindheit und Jugend).
Erwachsene entwickeln Kultur in der Pflege des Spielelements in allen
Kulturbereichen, wobei die Spiele immer differenzierter werden, den
Kulturbereichen (weiter Kulturbegriff) inhärent sind (provozierendes
Beispiel: Börsenspiel... oder gefälliger: Politik... oder ganz einsichtig:
Theaterspiel). Zum Bücherspiel:

Der HOMO LUDENS kann nicht oft genug diskutiert werden, ist Spiel doch
Kulturentwicklung (Huizinga). Wo da Pokemon (richtig benannt?) einzuordnen
ist, kann ich mangels Befassung noch nicht einschätzen. Dürfte also noch
nicht mit diskutieren. Möchte aber an eine bekannte These erinnern: Das
Medium Buch gerät in der Konkurrenz zu elektronischen Medien zunehmend in
eine Verteidigungssituation; Bibliotheken (insbesondere Stadtbibliotheken)
in der Folge in die Situation der Anpassung an wohl nicht erwartete und
geliebte Nutzererwartungen und entsprechendem Verhalten - mit der Folge
unkontrollierten Verlustes ihrer originären Aufgaben. Wer wagt es, zu
beurteilen, wie elektronische Medien Kinder prägen, auch bei aller
engagierten Medienpädagogik, soweit es sie gibt... Die aktuellen Befunde zur
körperlichen, psychischen und szialen Verfassung von Kindern sind nicht
ermutigend.

Schnell wird man als gestrig eingeschätzt, wenn die klassische Spielwelt der
Kinder benannt wird, mit mindestens 100 von Kindern an Kinder
weitergegebenen Spielen, mit einer über lange Zeit gewachsenen
Kinder-Spielkultur, die heute weitgehnend tot ist. Nicht Pokemon scheint das
Problem zu sein (wiewohl hier wegen des analogen Bezuges viel Spannendes
verborgen zu sein scheint), sondern die erzwungene Bereitstellung digitaler
Medien in Bibliotheken (auch vieles nützlich, aber nicht alles). Vollends
problematisch wohl die zunehmende Einschätzung der elektronischen Spiele als
'Spielkultur', wie in vielen Bibliotheken heute üblich, mit Verweis auf die
stattliche 'Sammlung Spielkultur'!

Bibliotheken sollten eng mit (Grund-)Schulen kooperieren, um das Buch in
einer Augenhöhe mit Handy, Notebook, Tablet und Verwandtem zu vermitteln.
Kinder sind begeisterungsfähig, dieses Feld sollte nicht allein den
elektronischen Spielzeugen überlassen bleiben! Von Kindern gestaltetes
eigenes Buch, parallel zu Spiel- und Lerninhalten, die in das Buch Eingang
finden, Klassenbibliothek, eigene kleine Buchsammlung (Kinder sammeln gern),
vernetzte Buch- und Internetrecherche für Lehr- und Lerninhalte, Einzel- und
Klassenpräsentation in den sozialen Medien - das sind einige Vernetzungen
realen (heute analog genannten) Lebens, Spielens, Lernens mit digitalen
Welten. Anders, das ist Fortsetzung der obigen These, wird es wohl nicht
gehen, wenn die unverwechselbaren, individuell und kulturell unverzichtbaren
Qualitäten des Buches nicht weitgehend verloren gehen sollen.

Es ist nicht leicht, diese Aufgabe anzunehmen - aber wann war
Kulturentwicklung einfach? Bücherspiele sind begeisternd, Kids sollten die
Gelegenheit bekommen, soweit nicht schon geschehen!

Grüße eines (analogen) 'spilari'


s.a.

"Es ist wieder soweit. Goldgräberstimmung. Die Bildungs-Kolonialisten
stechen in See, um als Erste PokemonGo zu besiedeln. Die ganz
Innovativen brüllen laut: „Wir müssen die Menschen da abholen, wo sie
stehen!“. Es klingt wie eine Drohung. Die Jagd ist eröffnet. Es geht
darum den ersten Tweet zu publizieren, den ersten Blogeintrag zu
schreiben. „15 ways to use PokemonGo as an educational tool!“,
„PokemonGo – What education should be!“ etc. Es ist ein Trauerspiel."

aus dem blog amsellen com, gesehen via facebook

-- 
MfG, Karl Dietz
blog.karldietz.de
twitter.com/karldietz


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