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[InetBib] Call for Papers: internationale Tagung "Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart"



Internationale Tagung

8. – 10. November 2017, Wien

Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart

veranstaltet vom tfm – Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft 
(Universität Wien) in Kooperation mit S:PAM – Studies in Performing Arts and 
Media (Ghent University)



Spätestens seitdem Weltwirtschaftskrise, Terrorbekämpfung, Massenflucht und 
Migration gravierende globale Herausforderungen darstellen, erweist sich die 
von der Theaterwissenschaft bereits seit geraumer Zeit postulierte Wiederkehr 
des Tragischen im Theater der Gegenwart (vgl. z.B. Dreyer 2014, Lehmann 2014, 
Rokem 2000) als unübersehbar. Mag die inflationäre Bezugnahme auf Aischylos, 
Sophokles und Euripides auf den ersten Blick erstaunen, so deutet sie doch auf 
ein historisches Phänomen hin: Tragödienbearbeitungen erfreuen sich besonders 
in „Zeiten des Verfalls“ (Benjamin 235) großer Beliebtheit. Ebenjenem „Verfall“ 
scheint aber auch die dramaturgische Partikularität der Fragmentiertheit 
geschuldet, die die gegenwärtigen produktiven Rückgriffe auf das Tragische 
tendenziell prägt. So zeichnen sich aktuelle Tragödienbearbeitungen häufig 
durch einen zersetzenden wiewohl schichtenden Umgang mit den antiken 
Referenztexten aus. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang etwa an Arbeiten von 
Volker Braun (Demos. Die Griechen Die Putzfrauen, 2015), Anne Carson 
(Antigonick, 2012), Elfriede Jelinek (jüngst Die Schutzbefohlenen, 2013-2016 
und Wut, 2016), Ewald Palmetshofer (die unverheiratete, 2014), Yael Ronen 
(Antigone, 2007), Roland Schimmelpfennig (Die Bakchen, 2016) oder Lot Vekemans 
(Zus van, 2005). Andererseits stechen Stückentwicklungsprozesse ins Auge, die 
sich aus der kombinierenden Befragung unterschiedlicher (historischer) 
Tragödienbearbeitungen konstituieren, wie es etwa Produktionen von Felicitas 
Brucker (Ödipus, 2015), Romeo Castellucci (Ödipus der Tyrann, 2015), Jan Fabre 
(Mount Olympus, 2015), Stephan Kimmig (Ödipus Stadt, 2012), Martin Kušej und 
Albert Ostermaier (Phädras Nacht, 2017), Ersan Mondtag (Iphigenie, 2016), René 
Pollesch (Bühne frei für Mick Levcik!, 2016) oder ZinA Choi (Iphigenia in 
Exile, 2016) tun.


Ausgehend von diesen Beobachtungen fragt die geplante Tagung danach, welche 
Spuren das Tragische in gegenwärtigen Theaterproduktionen und -texten 
hinterlässt und will den ästhetischen Verfahren nachgehen, die auf 
inszenatorischer und textproduktiver Ebene damit einhergehen. Nimmt man mit 
Walter Benjamin an, dass jede „Fortschreibung“ der Tragödie dem geschichtlichen 
(Tradierungs-)Kontinuum entspringt (vgl. Benjamin 226), so wäre danach zu 
fragen, welchen Geschichtsbegriff die rezent auszumachende Wiederkehr des 
Tragischen postuliert und welche politischen Implikationen sich daraus ergeben.

Angedacht ist eine Auseinandersetzung mit (u.a.) folgenden Fragen: Wie wird 
Tragödie aktuell im Theater(-Text) gedacht? Wie verhält sich dieses Verständnis 
zu den drei fundamentalen Tragödientheorien, die die europäische Philosophie 
hervorgebracht hat, bzw. zu den Prozessmodellen der Teleologie (Aristoteles), 
der Dialektik (Hegel) und des Zyklus (Nietzsche), denen sie verpflichtet sind 
(vgl. Ette 87)? Ist der Begriff des Postdramatischen für die Beschreibung der 
gegenwärtig auszumachenden künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem 
Tragischen ausreichend oder bietet es sich an, weitere Konzepte dafür fruchtbar 
zu machen – etwa die Gedankenfigur einer „Zeit von Koexistenz“, die Ulrike Haß 
in Anlehnung an Gilles Deleuze und Félix Guattari für die Analyse von Texten 
vorschlägt, die an vergangene Theatertraditionen andocken (vgl. Haß 121 ff.)? 
Wie verhalten sich die gegenwärtigen Tragödien-Befragungen zum „Gestus einer 
allegorischen Zertrümmerung des antiken Vorbilds“ (Primavesi 155), der den 
Tragödienfragmenten Hölderlins, Kleists und Büchners eingeschrieben ist? Wie 
gehen das Theater und die dafür entstehenden Texte in der Nachfolge Einar 
Schleefs ganz aktuell mit der „verschütteten Geschichte des Chors“ (Heeg 394) 
um und welche Rückschlüsse lassen sich daraus hinsichtlich eines Denkens von 
Gemeinschaft und Individuum ableiten? Wie wirkt sich die gegenseitige 
Einflussnahme von performativer Praxis und philosophischer Theorie in Hinblick 
auf den Tragödienbegriff aus?


Die interdisziplinär ausgerichtete Tagung adressiert TheoretikerInnen und 
PraktikerInnen aus dem Bereich der Darstellenden Künste sowie Geistes- und 
SozialwissenschafterInnen (Theater- und (vergleichende) Literaturwissenschaft, 
Klassische Philologie, Philosophie, Gender Studies etc.). Konferenzsprachen 
sind Deutsch und Englisch.

Es wird um Themenvorschläge in Form von Abstracts mit einem Umfang von max. 400 
Wörtern nebst Kurzbiografie gebeten, die bis 31. Mai 2017 an 
silke.felber@xxxxxxxxxxxx zu übermitteln sind. Die Verständigung über 
angenommene Beiträge erfolgt bis Ende Juni. Eine Publikation (peer reviewed) 
der Tagungsbeiträge ist vorgesehen.


Keynotes

Ulrike Haß (Ruhr-Universität Bochum)

Hans-Thies Lehmann (Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt)

Freddie Rokem (Tel Aviv University)


Konzept

Silke Felber (Universität Wien), Charlotte Gruber (Ghent University)


Literatur

Benjamin, Walter: Ursprung des deutschen Trauerspiels. In: Ders.: Abhandlungen. 
Gesammelte Schriften I.1. Hg. v. Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. 
Frankfurt am Main: Suhrkamp 2013 (= suhrkamp wissenschaft 931), S. 203-430.


Dreyer, Matthias: Theater der Zäsur. Antike Tragödie im Theater seit den 1960er 
Jahren. Paderborn: Fink 2014.

Ette, Wolfram: Die Tragödie als Medium philosophischer Selbsterkenntnis. In: 
Feger, Hans (Hg.): Handbuch Literatur und Philosophie. Stuttgart / Weimar: 
Metzler 2012, S. 87-122.


Haß, Ulrike: „Wie ist es möglich, Theater ausschließlich mit Texten 
aufzustören?“ E-Mail-Wechsel mit Monika Meister. In: Janke, Pia / Kovacs, 
Teresa (Hg.): Postdramatik. Reflexion und Revision. Wien: Praesens 2015, S. 
119-128.


Heeg, Günther: Tragik. In: Fischer-Lichte, Erika / Kolesch, Doris / Warstat, 
Matthias (Hg.): Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart / Weimar: Metzler 
2014, S. 388-394.


Lehmann, Hans-Thies: Tragödie und dramatisches Theater. Berlin: Alexander 
Verlag 2014.


Primavesi, Patrick: Tragödie, Fragment und Theater. In: Bierl, Anton / 
Siegmund, Gerals / Meneghetti, Christoph / Schuster, Clemens (Hg.): Theater des 
Fragments. Performative Strategien zwischen Antike und Postmoderne. Bielefeld: 
transcript 2009, S. 147-164.


Rokem, Freddie: Performing history. Theatrical representations of the past in 
contemporary theatre. Iowa City: University of Iowa Press 2000.



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.